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- Jean-Paul Belmondo
Ein kragenoffenes Hemd, wichtig wie eine offene Frage
Er war ein Star der Leichtigkeit: Zum Tod der französischen Filmlegende Jean-Paul Belmondo
Die Knautschzone ist Verdichtungsgelände. Falten sind Spurensicherung. Immer wieder hat man das Gesicht von Jean-Paul Belmondo mit einer solchen Knautschzone verglichen. Eine Klischeemetapher. Verweis auf das Gefurchte – als eine Art Schnittmusterbogen der gelebten Erfahrung? Das Faszinierende an diesem Franzosen: Äußere Zeichen für gegerbte, raue Existenz bezogen bei Belmondo ihre Wirkung daraus, dass er just das Gegenteil lebte. Er war ein Star der Leichtigkeit, ein Abenteurer wider das Schwere, ein Botschafter der Lust – auf umfassenden Genuss und ungebremste Galanterie. Das Lederne und scheinbar Zerlebte legten sich ihm zwar beizeiten übers Erscheinungsbild, aber er wurde zum Prototyp jenes Freiheitlichen, der schnell alle Gelegenheiten seiner Laufbahn ergreifen konnte, weil er keine Gelegenheit ausließ, sich im Leben wohlzufühlen.
Belmondo war ein Barde, der Bube blieb. Sein Spiel offenbarte einen geradezu kreatürlichen Widerstand gegen den Action-Helden einer maschinell gearteten Kino-Moderne. Der als Schließmuskelmann in Vollendung durch selbst besorgte Trümmer stampft, empfindungslos wie ein steinerner Apoll. Einem umgerüsteten Erzengel gleich, der vom Schwert auf zeitgemäßere Waffensysteme umgerüstet hat – Arten und Abarten des Terminators fahren in den Tod wie in eine Garage. Gegen so etwas haben Belmondos Gestalten stets den fläzigen Charme eines Berührbaren gesetzt; wo er siegte, blieb er vor allem unschlagbar in jener aufrichtig hergezeigten Gabe, Angst zu empfinden: Mut ist Notwehr, Flucht ein Tempotanz. Wahrlich, ein sohlenheißer Straßenjunge, ein Streuner und Stromer (»Cartouche, der Bandit«, »Das Superhirn«).
Seine Kunst liebte jene Nebel, hinter denen Gesetzesschutz und Gesetzesbruch eine schlierige Kumpanei aushandeln. Das bleibt Frankreichs großer Beitrag für die Kultur des französischen Kriminalfilms: sich der besserwisserischen Festschreibung des Guten und Gerechten auf Ermittlerseite und des von vornherein Schäbigen und Verwerflichen auf Gejagtenseite zu verweigern. Belmondo war ein Protagonist dieser Ästhetik (»Der Profi«). Der alte US-amerikanische Gangsterfilm war gleichsam nach Frankreich ausgewandert, in die Ödnis der Pariser Außenbezirke oder in die genässten Kai-Straßen alter Hafenstädte, wo sich ohnehin die Grenzen zwischen Kino und Wirklichkeit verloren und wo Jean-Pierre Melville oder Louis Malle und René Clément ihre Sets aufbauten. Belmondo inmitten. Etwa als Gangster »Borsalino« neben Alain Delon. Delon war immer das ewige bewegungsarme Gletschereis, Belmondo der freudvoll flirrende und lustvoll verglühende Sekundengott. Auch Regisseure wie François Truffaut, Alain Resnais (»Stavisky«) und Claude Sautet zeigten ihm den Weg. Vor allem: Jean Luc Godard. In dessen intellektueller Welt bewegte sich Belmondo als das, was er stets blieb: als Spieler. Locker, schlendernd (»Die Millionen eines Gehetzten«, »Das Geheimnis der falschen Braut«).
Bildhauer wollte der 1933 Geborene werden, wie sein Vater. Die Schauspielschule absolvierte er lustlos, aber erfolgreich. In späten Jahren Theaterbetreiber und vorwiegend Bühnenspieler, gepeinigt von Herzoperationen und einem Schlaganfall – aber ungebrochen zäh. Die Nouvelle Vague, den Film noir hatte er einst wie eine Bar betreten, die Zigarette im Mundwinkel. Er stellte sich mit ungekünstelter Leichtigkeit, erotischer Melancholie und vergnügter Angriffslust zur Verfügung. Mehr tat er nicht – und bezwang alle und alles. An der Seite von Romy Schneider und Jeanne Moreau, Catherine Deneuve und Anne Girardot.
So entstand ein Lebensfilm, in dem Godards legendär geheimnisvolles Stück »Außer Atem« und die turbulent-luftigen »Abenteuer in Rio« (Regie: Philippe de Broca) gut miteinander auskamen. Berückende Glaubwürdigkeit und Attraktivität des Darstellers kamen aus völliger Abwesenheit von Vergrübelung. Belmondo hielt ein kragenoffenes Hemd für ebenso wichtig wie eine offene Frage. Vielleicht sogar für wichtiger. Und auch eng ansitzende Jeans können ja ein weites Feld sein. Ach, wer herrschen will, muss sich manchmal auch augenzwinkernd benutzen lassen. Und wenn ein Schauspieler fantastisch gut ist, vergisst man mitunter, wie der Film heißt, aber nicht, warum man ins Kino ging.
»Außer Atem«: Der gejagte Kleinkriminelle Michel und die US-Amerikanerin Patricia, eine Sternschnuppenliebe in Paris. Godard schuf eine der berührendsten Sterbeszenen der Filmgeschichte. Michel irrt angeschossen durch die Stadt, bricht zusammen. Er schaut auf Patricia, die ihn an die Polizei auslieferte: »Du bist zum Kotzen!« Die junge US-Amerikanerin fragt: »Was heißt das, kotzen?« Wendet sich um und ab. Die Liebe nicht erkaltet, sondern hochgefiebert zum Verrat. Belmondo und Seberg hatten Godards Geist in ihre Körper geholt: innig zu sein und zugleich eine gar zu tiefe Einfühlung in Geschichte und Gestalt hart zu verweigern. Ein höchst schöpferischer Gewaltakt, um Menschen in einem Film auszusetzen wie in einem Dschungel: Sei, was du kannst, aber sei vor allem verloren und fremd in dem, was du betreibst. Sterbend liegt Belmondos Michel auf dem Straßenpflaster. Schließt sich selber die Augen.
Jean-Paul Belmondo sagte mal: »Ich blicke in die Kamera, um im dunklen Kinosaal ein Gesicht zu suchen, das mir gefällt.« Nun ist der Schauspieler, der 2016 in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhielt, im Alter von 88 Jahren in Paris gestorben.
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