Von links in die Duma

Der demokratische Sozialist Mischa Lobanow will als unabhängiger Kandidat ins russische Parlament

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 5 Min.

Etwa drei Dutzend jüngere Männer unter 30 Jahren haben sich an diesem heißen Sommerabend in einem Moskauer Park eingefunden, um den Wahlkampf eines Kandidaten der Kommunistischen Partei (KPRF) zu unterstützen. Die Interessenten tragen sich in Listen für Infostände ein oder melden sich für den Straßenwahlkampf. Parteikader sucht man bei dem Treffen jedoch vergeblich, auch zu den KPRF-Stammwählern gehören die Männer nicht.

Das ist weniger verwunderlich, als es zunächst scheinen mag: Auch Michail Lobanow, dem die Unterstützung der jungen Wahlkämpfer gilt, besitzt kein KPRF-Parteibuch. Dennoch tritt er für die Kommunisten bei den Dumawahlen am 17. September an - als Parteiloser kämpft Lobanow um eines der 225 Direktmandate im russischen Parlament.

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»Hinsichtlich der Wahlen verfolge ich nur ein Ziel«, erklärt der 37-Jährige fest entschlossen im Gespräch mit »nd«, »den Sieg.« Wie alle parteiunabhängigen Kandidaten musste er 18 000 Unterschriften sammeln, um sich für die Abstimmung zu registrieren.

Lobanow ist ein ziemlich untypischer Parlamentsanwärter: Der jugendlich wirkende Mathematiker ist demokratischer Sozialist, engagiert sich seit vielen Jahren in der Gewerkschaftsbewegung, wirkt in sozialen Bewegungen mit und ist im urbanen Aktivismus aktiv, der eine Selbstorganisation der Bürger zur Verbesserung ihres Lebensumfeldes anstrebt. In seinem Wahlkreis mit der Nummer 197 im Westen Moskaus verhinderte Lobanow zusammen mit mehreren Bürgerinitiativen die geplante Bebauung eines Naturreservates auf den beliebten Sperlingsbergen an der Moskwa.

Die Voraussetzungen, um im heutigen Russland eine Wahl zu gewinnen, erfüllt der 37-jährige Mathematiker und Dozent an der Lomonossow-Universität keineswegs: Weder verfügt Lobanow über ein großes Wahlkampfbudget, noch eignet er sich als willfähriger parlamentarischer Interessenvertreter für wohlhabende Geschäftsleute oder Lobbyisten aus dem Staatsapparat. Dass die KPRF ihn überhaupt kandidieren lässt, verdankt er hochrangigen Parteimitgliedern aus dem universitären Kollegenkreis, die sich erfolgreich für ihn einsetzten.

Lobanow ist trotzdem überzeugt, dass ihm der Einzug ins Parlament gelingt. »Wir sehen, dass die Voraussetzungen für Basisinitiativen und eine Bewegung gegen die herrschende Staatsmacht vorhanden sind«, erklärt er voller Optimismus. »Wir sind in der Lage, das zu stemmen.« Doch bei aller Zuversicht: Der Wahlkampf für die Duma ist für den linken Aktivisten etwas komplett Neues. »Aber das meiste hängt von uns ab, wir müssen uns also wirklich anstrengen.« Wir - das sind Lobanows energische Frau, die Soziologin Alexandra Sapolskaja, sein bunt zusammengewürfeltes Wahlkampfteam und zahlreiche Bürgerinitiativen aus seinem Wahlkreis, mit denen er seit Jahren für ökologische Stadtplanung, den Erhalt einer bürgerfreundlichen Infrastruktur und gegen zweifelhafte Bauprojekte kämpft.

Doch warum strebt ein unabhängiger Linker, der staatstragenden Parteien wie der KPRF bisher eher distanziert gegenüberstand, in die Duma? »Wir wollen die Parlamentswahlen dazu nutzen, um unsere Bewegung auf eine andere Ebene zu tragen und neue Leute hinzugewinnen«, erläutert Lobanow. Ein Sitz im Parlament biete dafür gute Bedingungen: Das Abgeordnetenmandat gewährt den Zugang zu finanziellen Mitteln und gibt den Parlamentariern das Recht, öffentliche Versammlungen durchzuführen. Für die Aktivisten wäre dies von großem Vorteil: Die Anmeldung von Demonstrationen oder anderen politischen Zusammenkünften ist einfachen Bürger seit dem vergangenen Jahr wegen Corona-Auflagen nicht mehr gestattet. Mithilfe des Parlamentsapparates will Lobanow zudem bereits bestehende Formen der bürgerlichen Selbstverwaltung und gewerkschaftliche Ansätze fördern - zunächst in seinem Wahlbezirk, perspektivisch aber im ganzen Land.

Dass sich der demokratische Sozialist für diese Ziele mit der KPRF verbündet, gefällt längst nicht jedem. Mit seiner Kandidatur gerate er automatisch in das ideologische Fahrwasser patriotischer Staatsfetischisten, fürchten selbst enge Unterstützer Lobanows. Dieser weist die Sorgen seiner Mitstreiter jedoch in ruhiger Manier zurück. Die KPRF lasse ihm freie Hand und übe keineswegs Druck auf ihn aus. Auch nur ansatzweise faire Bedingungen erwartet Lobanow bei den Duma-Wahlen nicht. So sind die bisher öffentlichen Aufzeichnungen aus den Wahllokalen auf Antrag der zentralen Wahlkommission diesmal nicht mehr für alle Interessierten zugänglich. Um Manipulationen bei der Auszählung auf ein Minimum zu reduzieren, setzen die Oppositionellen daher auf Wahlbeobachtung. In speziellen Trainings wurden Aktivisten für das Prozedere geschult, um im entscheidenden Moment gegen alle Tücken gewappnet zu sein. Lobanow kann davon ein Lied singen. Seit den Parlamentswahlen 2011 deckte er in seinem Wahlbezirk etliche Regelverstöße auf.

Der größte Vorteil des linken Wahlkämpfers besteht darin, dass ihm sein Wahlkreis bestens vertraut ist und er auf bewährte Netzwerke zurückgreifen kann. »Hier entspinnt sich ein echter Kampf«, sagt er mit leuchtenden Augen. Gleich gegen eine ganze Reihe politischer Gegner müsse er antreten: Zwei mit grün-alternativem Hintergrund, sowie Kandidaten der Partei des Wachstums, von Jabloko und der Partei Neue Leute, die als Projekt des Kremls angesehen wird. Auch die 2012 gegründeten Kommunisten Russlands, die sich als Alternative zur KP präsentieren, haben einen eigenen Kandidaten.

Als Lobanows eigentlicher Konkurrent gilt aber Jewgenij Popow. Der Moderator der polarisierenden Polittalkshow »60 Minuten« im Staatsfernsehen tritt für die Regierungspartei Einiges Russland an und genießt jegliche nur denkbare Unterstützung der Lokalverwaltung. »Aber in unserem Bezirk kennen ihn gar nicht so viele, weil hier im Vergleich zum Rest des Landes weniger Leute fernsehen«, ist Lobanow überzeugt. »Und wenn sie es doch tun, dann nicht den 1. Staatskanal.«

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