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Der rote Nawalny
Der kommunistische Nachwuchsstar Nikolai Bondarenko kämpft um einen Sitz in der Duma
Nikolai Bondarenko nervt. Mal inszeniert er im Saratower Gebietsparlament eine symbolische Beerdigung des lokalen Haushalts mit roten Nelken und einem weißen Pappsarg, mal kommt er mit einem Megafon zur Sitzung, um seine Gegner niederzuschreien, dauernd unterbricht er die einschläfernden Reden der Konkurrenz von Einiges Russland mit sarkastischen Zwischenrufen. Kein Wunder, dass ihm oft das Rederecht entzogen wird. Sogar zu einem Handgemenge kam es wegen des hitzköpfigen Populisten schon.
Der 36-Jährige aus Russlands Süden ist einer der populärsten und radikalsten Oppositionspolitiker Russlands - und der medial bekannteste Vertreter einer jungen Generation von Kommunisten, die ihre Anhänger vor allem im Internet mobilisieren. Mit Bondarenko will die an chronischer Überalterung leidende kommunistische Partei (KPRF) bei jüngeren Wählern punkten. Aber auch bei Älteren kommt die hemdsärmelige Art des Charismatikers gut an: In einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum landete Bondarenko im Juli auf Platz 10 der Politiker, denen die Russen am meisten vertrauen - noch vor Moskaus einflussreichem Bürgermeister Sergej Sobjanin und Ex-Präsident Dmitri Medwedjew.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Der Kommunist aus dem Internet
Bekannt wurde der Linke vor allem durch seine Umtriebigkeit in sozialen Medien wie Instagram, Tiktok und dem in Russland beliebten Messengerdienst Telegram. Die meiste Energie steckt der KPRF-Abgeordnete allerdings in seinen im Mai 2018 registrierten Youtube-Kanal Dnjewnik Deputata (Tagebuch des Abgeordneten). Mehr als 800 Clips hat er bereits gedreht und hochgeladen. 1,6 Millionen Abonnenten verfolgen, wie Bondarenko für die Sanierung maroder Straßen und baufälliger Wohnungen kämpft oder bei Vorortbesuchen in Saratower Dörfern über die marode Infrastruktur flucht. Auch Protestaktionen gegen niedrige Sozialleistungen und unfähige Lokalpolitiker zeigen die Filme, die Bondarenko zu einem der einflussreichsten politischen Blogger Russlands gemacht haben. Sogar die KPRF-Parteiführung lässt sich mittlerweile von Bondarenko zu ihrem Aufritt im Internet beraten.
Zur Politik kam der in Saratow geborene Jurist nach dem Studium. 2009 trat er der KPRF bei und saß zwei Jahre später bereits in der Saratower Stadt-Duma - als jüngster Abgeordneter. 2017 wurde er ins Gebietsparlament gewählt, wo er seitdem durch beißende Kritik an der Regierungspartei Einiges Russland auffällt. So bezeichnete er beispielsweise die Staatsfunktionäre in der Debatte um die Rentenreform als »Kleptokraten, die man zur Verantwortung ziehen müsse«. Auch die Ausgaben für den Einsatz im Syrienkrieg und die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2018 verurteilte Bondarenko, der selten eine Saratower Protestkundgebung versäumt. Auch vor Kontakten zur außerparlamentarischen Opposition und Nawalny-Anhängern schreckt er nicht zurück, was die KPRF-Führung nicht sehr gern sieht.
Landesweite Berühmtheit erlangte der Oppositionelle 2018 durch einen Schlagabtausch mit der Arbeitsministerin des Saratower Gebietes. In der hitzigen Diskussion um das lokale Existenzminimum von 3500 Rubel (etwa 40 Euro) hatte diese behauptet, mit dem Geld können man gut leben - von »Makkaroni und Hühnchen«. Bondarenko nahm sie beim Wort und versuchte einen Monat lang, mit der Summe auszukommen. Am Ende des gut dokumentierten Selbstversuchs wog er siebeneinhalb Kilogramm weniger und die Ministerin musste ihren Hut nehmen. Zwei Jahre darauf sorgten Aufnahmen eines Lokalabgeordneten von Einiges Russland für Schlagzeilen, der sich so über Bondarenkos provokatives Auftreten ärgerte, dass er eine Prügelei in der Gebietsduma anzettelte.
Ein Showdown an der Wolga?
Dass er auch vor politischen Schwergewichten nicht zurückschreckt, bewies Bondarenko Anfang Februar mit seiner Ankündigung, bei den kommenden Parlamentswahlen gegen Wjatscheslaw Wolodin anzutreten. Der einflussreiche Sprecher der Duma hatte wenige Tage zuvor angekündigt, als Direktkandidat für Einiges Russland in Saratow zu kandidieren. »Ich möchte der Gegner des stärksten und einflussreichsten Politikers von Einiges Russland in diesem Wahlkreis sein«, erklärte Nikolai Bondarenko voller Selbstbewusstsein. »In diesem Fall wäre das Wolodin.« Russische Medien rätselten anschließend darüber, ob es zu einem politischen Showdown zwischen dem hitzköpfigen Provinzabgeordneten und dem mächtigen Putinvertrauten kommen würde. Wolodin kündigte sogar an, sich öffentlich bei der KPRF zu beschweren, sollte diese Bondarenko nicht als seinen Gegenkandidaten nominieren.
Einiges Russland schlägt zurück
Bondarenkos Saratower Parlamentskollegen von Einiges Russland bewiesen allerdings weniger Sportsgeist als der Duma-Sprecher: Nach der Ankündigung von Bondarenkos Kandidatur versuchten sie wochenlang, dem unbequemen Kommunisten sein Mandat als Abgeordneter zu entziehen. Zuerst wurde Bondarenko im Flur seines Wohnhauses festgenommen und in einem achtstündigen Gerichtsverfahren zu einer Geldstrafe von 20 000 Rubel (etwa 230 Euro) verurteilt. Der angebliche Tatbestand: Der 36-Jährige soll im Januar an einer Veranstaltung von Saratower Nawalny-Anhängern teilgenommen haben. Dies streitet er allerdings vehement ab. Er habe die Proteste in seiner Rolle als Abgeordneter besucht, um sich selbst ein Bild von der Demonstration und dem Verhalten von Polizei und Protestierenden zu machen. Nur wenige Tage nach Verhängung der Geldstrafe unternahm Einiges Russland den nächsten Versuch, Bondarenko zu stoppen, und zeigte ihn als korrupt an - wegen der Einnahmen aus dessen Youtube-Kanal. Als Abgeordneter dürfe er keine Nebeneinnahmen erzielen, so die Argumentation. Der Saratower Staatsanwalt folgte dieser Sicht jedoch nicht und erhob keine Anklage. Zuletzt wollte ein Mitglied der Kommunisten Russlands Bondarenko aufhalten. Im Namen der Kleinstpartei, die als Spoilerpartei von Kremls Gnaden gilt, klagte er gegen die Zulassung des Politikers zur Parlamentswahl. Bondarenko unterhalte Kontakte zu den mittlerweile als terroristisch eingestuften Stäben Alexej Nawalnys und verbreite extremistische Videos. Anfang September zog der Mann die Klage ohne Angaben von Gründen zurück.
Das erwartete Duell fällt trotzdem aus. Denn die KPRF-Führung knickte ein und schickt nun den farblosen Saratower Parteichef Alexander Anidalow gegen Wolodin ins Rennen. Bondarenko kämpft unterdessen fast unbeachtet von den überregionalen Medien in einem weniger prominenten Saratower Wahlkreis um seinen Einzug in die Duma.
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