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»Man wird auf Schritt und Klick überwacht«
Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piraten) über die Datensammlung durch Behörden und Unternehmen, biometrische Daten und das Recht auf digitale Anonymität
Seit Beginn der Corona-Pandemie werden von staatlichen Institutionen und Behörden als auch von privaten Einrichtungen umfangreiche persönliche Daten gesammelt, oft mit fragwürdigem Effekt. Beunruhigt Sie das?
Ja, auch wenn wir die heftigsten Beispiele der Bewegungsverfolgung außerhalb Europas gesehen haben. In der EU haben wir aber zum Beispiel die Auswertung von Bewegungsdaten anhand von Funkzellendaten, den Einsatz von Drohnen oder von Apps zur Überwachung von Quarantäne. Deswegen liegt die Sorge ganz klar auf der Hand, dass hier Überwachungsmechanismen eingeführt werden, die die Dauer der Pandemie überdauern.
Drohnen zur Überwachung von Quarantänemaßnahmen – ist das nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen?
In der Tat. Dass man die digitale Technik nutzt, um zum Beispiel Kontakte nachzuverfolgen, macht schon Sinn. Es darf aber nicht dazu missbraucht werden, die komplette Bevölkerung zu überwachen. Zum Beispiel ist in Russland bekannt geworden, dass dort öffentliche Überwachungskameras mit Gesichtserkennung gekoppelt werden, um Verstöße gegen Quarantäneanordnungen festzustellen. Diese Gesichtsüberwachungssysteme sind extrem fehleranfällig, das heißt, sie schlagen dauernd bei Unschuldigen an. Da kann es leicht zu Verwechslungen kommen. Und vor allem führen sie zu einem Gefühl der ständigen Beobachtung und Verfolgung. Und das ist für eine freie Gesellschaft schädlich und nicht mit ihren Werten vereinbar.
Nun ist Russland nicht die EU. Sie warnen trotzdem davor, dass auch in der Europäischen Union immer mehr biometrische persönliche Daten gesammelt und gespeichert werden. Ist das tatsächlich eine Gefahr?
Die Gefahr liegt darin, dass hier eine Gewöhnung eintritt. Dahingehend, dass es normal sein soll, sich mit Fingerabdruck, Iris-Scan, Gesichtserkennung, sogar mit Implantaten unter der Haut jederzeit zu identifizieren. Nicht nur beim eigenen Handy oder der Banking-App, auch beispielsweise bei Türöffnungssystemen oder Anwesenheitslisten. Im Europäischen Parlament zum Beispiel soll die Anwesenheit der Abgeordneten bei Plenartagungen nicht mehr durch Unterschrift, sondern durch einen Fingerabdruck kontrolliert werden. Eine solche Gewöhnung an die ständige Erfassung und Verarbeitung biometrischer Daten ist aber äußerst bedenklich, weil Anonymität auch in der Öffentlichkeit eine sehr wichtige Rolle spielt, um unsere Freiheit zu schützen. Wenn ständig nachverfolgbar ist, wo wir wann gewesen sind, kann man mit diesen Informationen letzten Endes jeder und jedem einen Strick daraus drehen. Sei es, dass der prominente Politiker oder Richter eine Affäre hat. Sei es, dass jemand Alkoholprobleme hat oder einen Psychotherapeuten aufsucht. Also Dinge, mit denen man selbst höchste Amtsträger erpressen kann. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass private Bewegungen und Lebensabläufe auch privat bleiben.
Ein Fingerabdruck, um das Handy zu entsperren, ist doch aber sehr bequem.
Der Skandal um die Pegasus-Spionagesoftware hat uns gerade noch einmal gezeigt, dass unsichere Technik dazu führt, dass Demokratieaktivisten, Menschenrechtler und Journalisten mundtot gemacht werden können. Und unsichere Technik ist eben zum Beispiel auch, wenn es nur den Fingerabdruck braucht, um ein Handy zu entsperren. Meinen Fingerabdruck beispielsweise kann jeder bekommen, der ein Glas in die Hand bekommt, aus dem ich getrunken habe. Der Pegasus-Skandal sollte uns eine Warnung sein: Wir müssen sichere Zugangsmechanismen etablieren, wie zum Beispiel eben persönliche Kennwörter oder Gegenstände, die man mit sich trägt, und nicht auf biometrische Daten setzen.
Wo und wann ich mich mit Kennwörtern eingeloggt habe, kann aber auch zurückverfolgt werden.
Das ist völlig richtig. Wir müssen deswegen dafür sorgen, dass es gerade im Internet ein Recht auf Anonymität gibt. Darum geht es auch bei dem geplanten Digital Services Act, also bei dem Digitale Dienste Gesetz, für das ich Berichterstatter des Innenausschusses im Europäischen Parlament bin. Das heißt, dass wir Internetdienste, bei denen eine Identifizierung nicht absolut nötig ist, auch anonym nutzen können, ohne uns zu identifizieren. Wie bei sozialen Netzwerken, bei denen es ganz wichtig ist, dass zum Beispiel ein Whistleblower auch anonym veröffentlichen und Informationen herausgeben kann. Oder denkt man zum Beispiel an Wikileaks, da war es natürlich auch essentiell, dass die Aktivisten, die dahinterstehen, anonym bleiben und nicht verfolgt werden konnten. Ein Recht auf Anonymität könnte übrigens auch dafür sorgen, dass Frauen und Kinder sich besser schützen können. Denn viele wollen im Netz nicht erkennbar sein als Frauen und Kinder, weil das dazu führen kann, dass man verfolgt, gestalkt oder als Kind anzüglich angesprochen wird.
Die großen Digitalkonzerne werden nicht davon begeistert sein, Anonymität im Internet zu gewährleisten. Schließlich nutzen sie die Daten für gezielte Werbung.
Das ist auch ein Aspekt, den wir mit dem Digital Services Act bekämpfen wollen. Man wird im Internet auf Schritt und Klick überwacht, jede Seite, die ich aufrufe, jeder Suchbegriff wird rückverfolgbar festgehalten. Das kann zwar hilfreich für Strafverfolgungsbehörden sein, vorausgesetzt, es wird nicht flächendeckend und nicht gegen Unschuldige aufgezeichnet. Aber die Unternehmen nutzen diese Daten natürlich in erster Linie dazu, um gezielt Werbung zu platzieren. Und zunehmend werden die Internetnutzer auch im politischen Bereich manipuliert, was Wahlen oder Abstimmungen angeht. Aus den privaten Datenströmen können Nutzerprofile abgeleitet werden, die wiederum Aufschluss über die Persönlichkeit geben können und Vorhersagen über das zukünftige Verhalten, eben auch bei politischen Entscheidungen, zulassen. Oder es werden sehr gezielt politische Botschaften platziert. Das ist ein Missstand, der die demokratische Meinungsbildung und Mitbestimmung aushebelt. Und das wollen und müssen wir ändern.
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