Der Protest der Zaghaften

KP-Chef Gennadi Sjuganow kritisiert Fälschungen der Dumawahl nur vorsichtig. Die Parteibasis reicht das nicht.

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Am letzten Tag der Dumawahlen waren Moskaus Kommunisten überrascht - und ziemlich begeistert: Nach Auszählung aller in den Wahllokalen abgegebenen Stimmen lagen die Kandidaten der KPRF in sechs von fünfzehn Wahlkreisen deutlich vor der Konkurrenz von der Regierungspartei Einiges Russland. Viele oppositionell gestimmte Hauptstädter und Protestwähler waren der Empfehlung von Alexej Nawalny zum klugen Abstimmen gefolgt und hatten zum ersten Mal für die KP gestimmt. Einiges Russland schien in der wichtigsten Stadt des Landes massiv zu schwächeln.

Doch die Ernüchterung folgte am nächsten Morgen: Mit der Bekanntgabe des Resultats der elektronischen Abstimmung büßten die Kommunisten ihren Vorsprung ein. Teilweise führten die Kreml-Kandidaten nun mit der dreifachen Stimmenzahl vor den Kommunisten. »Sie hätten gewonnen, wenn die berüchtigte Onlineabstimmung nicht eingeführt worden wäre«, empörte sich Juri Afonin, der Vizevorsitzende der Partei in der Presse. »Wir erkennen das System der elektronischen Stimmabgabe nicht an.« Auch Parteichef Gennadi Sjuganow erzürnte sich über das Verfahren. »Das ist unakzeptabel, erst recht in der Hauptstadt unseres Staates«, so der 77-Jährige. Die E-Wahl sei »reine Pfuscherei«. Nun gelte es, den Wählerwillen zu verteidigen wie einst Moskau gegen die Deutschen.

Noch am selben Abend organisierte die Moskauer Parteiführung eine Kundgebung auf dem Puschkin-Platz, an der auch Anhänger anderer Oppositionsparteien teilnahmen. Vor gut 200 Protestierenden kündigte Moskaus KP-Chef Waleri Raschkin eine Klage gegen die Zentrale Wahlkommission an und ging hart mit Wladimir Putin ins Gericht. Der unabhängige Sozialist Michail Lobanow, der für die KPRF kandidierte, gründete mit liberalen Oppositionspolitikern ein parteiübergreifendes Komitee zur Annullierung und Abschaffung der Onlineabstimmung. Die Polizei ließ die Teilnehmer der Kundgebung unbehelligt, es kam zu keinen Festnahmen.

Die Sicherheitskräfte schlugen erst nach der Ankündigung einer weiteren Protestaktion für den vergangenen Sonntag los. In der Woche vor der Veranstaltung wurden mindestens 60 Aktivisten, städtische KP-Abgeordnete und Mitglieder der Moskauer Parteiführung vorübergehend festgenommen. Die Vorwürfe: Aufruf zu Protesten und die Teilnahme an einer nicht zugelassenen Veranstaltung. Mit dem Durchgreifen zieht der Kreml eine rote Linie: Erklärungen, Unterschriften und eine mündliche Nichtanerkennung der Wahlergebnisse sind zulässig - Protest auf der Straße jedoch keineswegs.

Auf diese Linie schwenkte umgehend Parteichef Gennadi Sjuganow ein, der seinen Einspruch nun vorsichtiger formuliert - und nicht gegen die Festnahmen der KP-Mitglieder protestierte. Kommunisten müssten »in diesen harten Zeiten maximale Zurückhaltung« und »Standhaftigkeit« zeigen, beschwichtigte der KP-Chef die Parteibasis. Außerdem verhandele Sjuganow bereits mit dem Chef der Präsidialadministration Anton Wajno über einen möglichen Deal zur Lösung des Konflikts, berichtet das oppositionelle Nachrichtenportal Meduza. Der Kreml werde die Ergebnisse der Onlinewahl nicht annullieren. Sjuganow versuche daher nun, einflussreiche Parlamentsposten für die KP herauszuschlagen. Auch zur der zweiten Protestaktion seiner Partei am vergangenen Wochenende auf dem Puschkinplatz erschien Sjuganow daher nicht. Stattdessen nahm er an einem Treffen von Wladimir Putin mit den Chefs der in der nächsten Duma vertretenden Parteien teil.

Bei der kommunistischen Parteibasis und vielen Protestwählern trifft Sjuganows Kuschelkurs indes auf starke Ablehnung. Der Politikwissenschaftler Abbas Galjamow spricht von einem sich zuspitzenden Generationenkonflikt und warnt vor einer Radikalisierung der KP-Anhänger. Die junge Generation habe die Wahlen mit viel Engagement vorbereit und wolle die Fälschungen nicht hinnehmen, erklärt Galjamow in einem TV-Interview. Gegenüber dem Kreml werde eine härtere Gangart erwartet. Zudem sei die bisher verpönte Zusammenarbeit mit Nawalny-Anhängern für viele Jüngere in der KP kein Tabu mehr. Dies zeigte auch die Moskauer Protestkundgebung am vergangenen Sonnabend, zu der über 1000 Teilnehmer kamen. Neben Forderungen nach einer Annullierung der Onlineabstimmung riefen die Protestierenden auch »Putin ist ein Dieb« - bisher eine klassische Losung des Nawalny-Lagers.

Dass der Protest gegen die vermuteten Wahlfälschungen weitergeht, demonstrierte am Montag Michail Lobanow mit einer Klage gegen die Wahlergebnisse. Alle 15 Moskauer KPRF-Kandidaten wollen dieser nun folgen.

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