- Wirtschaft und Umwelt
- Atomkraft
Klimawandel stoppt Atomkraft
Die Kernenergie ist laut einem aktuellen Bericht weltweit weiter auf dem Rückzug
Im Jahr 2020 ist die Stromerzeugung aus der Kernenergie so stark zurückgegangen wie nie zuvor. Das geht aus dem »World Nuclear Industry Status Report« hervor, der am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Washington vorgestellt wurde. So fiel die AKW-Stromerzeugung um vier Prozent, während die erneuerbaren Energien ohne Wasserkraft um 13 Prozent zulegten. Gleichzeitig hat die operative Kernkraftkapazität Mitte dieses Jahres einen neuen Höchststand erreicht. Mehr Kapazität, weniger Leistung - das spricht auch noch für Ineffizienz.
Der Bericht zur Lage der weltweiten Atomindustrie hat eine klare Botschaft: Das von der Nuklearlobby vor einigen Jahren angekündigte Revival der Atomkraft bleibt weiterhin aus. Zwar wurde im vergangenen Jahr ein Nettozuwachs an Kernkraftwerkskapazität - neue Inbetriebnahmen abzüglich Stilllegungen - von 0,4 Gigawatt (GW) verzeichnet. Doch das ist nichts im Vergleich zu den erneuerbaren Energien, die einen Zuwachs um mehr als 250 GW erreichten. Die Bedeutung der AKW für die weltweite Stromerzeugung nimmt nach und nach ab. Und daran wird sich auch nichts ändern, denn »die Kernenergie ist auf dem heutigen Markt für den Neubau von Stromkapazitäten irrelevant«, wie der Hauptautor des Berichts, der Energieberater und Kernkraftkritiker Mycle Schneider, erläutert.
Aktuell sind 415 Atomkraftwerke weltweit in Betrieb. Das sind 23 weniger als vor 20 Jahren. Und der Kraftwerkspark ist überaltert: Die Autoren weisen darauf hin, dass 278 Reaktoren seit mehr als drei Jahrzehnten in Betrieb sind, sechs sogar seit über einem halben Jahrhundert. Da viele von diesen in absehbarer Zeit stillgelegt werden müssen, nehmen sich die 53 Reaktoren, die aktuell im Bau sind, als wenig aus. Nennenswerte Zuwächse gibt es aktuell eigentlich nur in China.
Und die derzeitigen Bauten sind auch nur ein Bruchteil der in den vergangenen Jahren in vielen Ländern angekündigten Vorhaben. Die meisten von diesen verschwinden in der Versenkung, da sie sich als schlicht unfinanzierbar herausstellen. Und beim Bau kommt es, wie etwa in Finnland und Frankreich zu bestaunen, wegen technischer Probleme zu jahrelangen Verzögerungen und explodierenden Kosten. Letztere haben sich seit der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 laut Schätzungen verdoppelt bis verdreifacht.
Der Super-GAU in Japan machte neben den Gefahren für Mensch und Umwelt auch die unkalkulierbaren finanziellen Risiken dieser Technologie deutlich. Laut dem Bericht sind die Folgekosten angesichts der immer noch instabilen Lage in Fukushima weiter gestiegen: Sie reichen von 223 Milliarden US-Dollar, die Japans Regierung veranschlagt, bis hin zu 322 oder gar 758 Milliarden Dollar von unabhängiger Seite.
Das Finanzproblem wird noch dadurch verschärft, dass die Erneuerbaren immer preisgünstiger Strom erzeugen. »Bis 2050 werden die Kosten der Photovoltaik in der EU, China, Indien und den USA voraussichtlich ein Fünftel der Kosten der Kernkraft betragen«, heißt es in dem Bericht. Unter diesen Umständen werde der Bau jedes AKW nur durch »einflussreiche, nicht-marktwirtschaftliche Interessen« angetrieben.
Seit einiger Zeit wird immer wieder über Pläne zum Bau kleiner modularer Reaktoren (SMR) berichtet. Vor wenigen Tagen kündigte etwa der polnische Bergbaukonzern an, gemeinsam mit dem US-Anlagenbauer vier Mini-Nuklearreaktoren zum Betrieb seiner Industrieanlagen entwickeln zu wollen. Doch auch bei den SMR tut sich wenig: Es fließen zwar einige öffentliche Gelder, aber die Reaktoren sind laut den Autoren bisher nicht kommerziell verfügbar und werden es auch in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht sein. Pilotprojekte in Argentinien, China und Russland seien enttäuschend verlaufen.
Als letzten Rettungsanker versucht die Atomkraftlobby AKW als klimafreundliche Alternative etwa zu Kohlekraftwerken anzupreisen. Doch gerade mit Blick auf die Erderwärmung erscheint diese Technologie fehl am Platze: »Kernkraftwerke sind anfällig für eine Reihe von direkten und indirekten klimabedingten Störungen«, heißt es im Bericht. »Dies wird sich voraussichtlich noch verstärken, da die Häufigkeit und Intensität extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und schwere Stürme aufgrund des Klimawandels zunehmen werden.«
Und so sind auch viele einstige AKW-Anhänger von ihr abgerückt: »Heute bin ich der Meinung, dass es für Japan und die Welt an der Zeit ist, die Abhängigkeit von der Atomkraft zu beenden«, schreibt Naoto Kan, der zur Zeit der Fukushima-Katastrophe Premierminister in Japan war, im Vorwort des Berichts.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.