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Keine Linke ist auch keine Lösung
Wie denken Wähler der Linkspartei über Ursachen und Konsequenzen des Wahldesasters? Eine Spurensuche
Manchmal ist etwas Trost nötig. Der Linkspartei, die gerade so im Bundestags geblieben ist, geht es gerade so. »Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen«, twitterte der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, wohl um seine Genossen zu ermutigen. Ein Satz, der Goethe zugeschrieben wird, der aber genauso gut aus einer Baumarktreklame stammen könnte. Yippie-jaja-yippie-yippie-yeah! »Es gibt immer was zu tun«, hieß ein Werbespruch der bekannten Heimwerkerkette. Ein anderer: »Wir haben nie gesagt, dass es einfach ist.«
Solche Slogans könnte sich Die Linke auf die lädierte Parteifahne schreiben, wenn sie in den nächsten Wochen versuchen muss herauszufinden, warum sie so tief abgestürzt ist. Weshalb aus hochfliegenden Regierungsplänen eine Existenzfrage wurde. Darüber streiten und grübeln jetzt Genossen, Wahlstrategen, Parteienforscher, Medien. Manche mit einfachen Antworten, manche erkennbar ratlos. Und was sagen die Wählerinnen und Wähler, diejenigen, die in diese Partei Hoffnungen setzen? Das wollten wir wissen und fragten auf Twitter, wie es Linke-Wählern mit diesem Ergebnis geht, welche Ursachen sie dafür sehen, welche Erfahrungen sie mit der Linkspartei machen, was sie von ihr erwarten. Eine Spurensuche über das soziale Netzwerk.
Als wäre es ein Entweder-oder
Es war wie ein Stich ins Wespennest. In kurzer Zeit meldeten sich Dutzende Menschen mit Meinungen und Gesprächsangeboten. »Ich denke, es musste passieren, damit diese Partei sich besinnt und herausfindet, was für eine linke Partei sie sein will«, kommentiert Ursula Bub-Hielscher das Wahlergebnis. Für die anstehende Auseinandersetzung in der Linkspartei findet es die 70-jährige Journalistin und Filmemacherin aus Berlin wichtig, dass »endlich mal in Ruhe und offen über die nationalistische Ecke der Partei gesprochen« wird. Nach dem Wahlkampf falle hoffentlich »diese Angespanntheit weg, die Sorge, dass man nichts ansprechen darf bei den Freund*innen, die Parteimitglieder sind«.
»Die Linke hat es sich selbst eingebrockt, das macht es aber auch nicht besser«, findet Katrin Schliemann aus Braunschweig. Für die 53-jährige Verwaltungswirtin »ist keine Partei rechts von den Linken mehr wählbar«, und auch diese sind für sie »ein Kompromiss. Die Partei Die Linke muss sich klarer positionieren beim Klimaschutz sowie bei allen sozialen und LGBTQ*-Themen.«
Damit sind Fragen angedeutet, die viele Linke-Wähler bewegen, wie auch immer sie dazu stehen. Die Auseinandersetzung um politische Schwerpunkte und Kernkompetenzen, auch darum, welche Milieus wie angesprochen werden sollen, spielten schon während des Wahlkampfs eine Rolle – befeuert nicht zuletzt durch Sahra Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten«. »Ich persönlich«, bekennt Marco Götz aus Würzburg, der mit der Erststimme die Linke-Kandidatin wählte und seine Zweitstimme an die Partei Die Partei »verschenkte«, wie er schreibt, »bin wohl einer der berühmt-berüchtigten städtischen Lifestyle-Linken.« Der 31-jährige Student wünscht sich eine echte sozialdemokratische Politik von der SPD, »aber der Zug ist schon lange abgefahren«. Falls sich Die Linke weiter »mehr mit sich selbst beschäftigt, als zentrale Themen zu adressieren (Mietwucher, Verschleiß im Gesundheits- und Schulsystem usw.), werde ich meine Stimme weiter ›verschenken‹«.
Manche meinen, in der Linkspartei gebe es »keine offene Debattenkultur«. Das schreibt etwa Marcel Geismar, der derzeit als IT-Praktikant arbeitet. »Kritik, wie von Sahra Wagenknecht geäußert, wird im Keim erstickt«, meint der 33-jährige Stuttgarter. Dabei zeige sich nun, »wie Teile ihrer Kritik absolut berechtigt und gerechtfertigt waren«. Franziska Ruth aus Leipzig, die Wagenknechts Aufstehen-Bewegung »unsäglich gefunden hatte«, fühlte sich seit dem Corona-Ausbruch durch »die affirmative Haltung der Linken zu patriarchalem Paternalismus und Autoritarismus der Pandemiepolitik verstört und politisch heimatlos und verstand erstmals die Motivation von Nichtwählern«. Seit 2020 begann Wagenknecht ihr jedoch zu imponieren: »Sie gab mir das Gefühl, nicht völlig ungehört und unrepräsentiert zu sein. Obwohl ich die Widersprüchlichkeit in der Linken sehe und auch mag, habe ich diesmal eher Wagenknecht gewählt, auch wenn ich manche ihrer Takes überhaupt nicht teile.«
Zu diesen »Takes« dürfte gehören, was Markus Stottut an Wagenknechts Kritik an den so genannten Lifestyle-Linken (»was auch immer das sein möge«) falsch findet – dass bestimmte Fragen »so dargestellt werden, als wäre es ein Entweder-oder«, meint der 31-Jährige Göttinger, der beim Malteser Hilfsdienst arbeitet. »Als könnte man nur gendern, wenn die Klassenfrage vergessen wird. Als würden alle Arbeiter*innen sofort AfD wählen, wenn man Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und Ungleichheit zu Kernthemen macht.«
Sahra Wagenknecht selbst hält angesichts des Wahlergebnisses an ihrer Kritik fest und sagte in einem Interview mit der Tageszeitung »Die Welt« unter anderem, die Linke laufe Gefahr, zu einer Partei des Fridays-for-Future-Milieus zu werden. Die Leipziger Fridays-for-Future-Gruppe beantwortete das mit der Bemerkung: »Mach so weiter, Sahra, und deine Partei schaut sich den Bundestag in vier Jahren nur noch von außen an.« Andere fordern Wagenknecht auf, sich bei den Lifestyle-Linken im Leipziger Stadtteil Connewitz dafür zu bedanken, dass sie überhaupt noch im Bundestag sitzt – ein Hinweis auf das Leipziger Direktmandat, das sich auch aus den vielen Linke-Stimmen in Connewitz speist und gemeinsam mit zwei Direktmandaten in Berlin den Einzug in den Bundestag rettete.
Anruf bei Gregor Gysi. Seinen Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick gewann er zum wiederholten Mal mit großem Vorsprung. Wie fühlt man sich, wenn man auf seine alten Tage noch mal die Partei retten musste? »Am Wahlabend«, sagt er, »hatte ich zwei Gründe zu trinken: aus Frustration über das desaströse Ergebnis meiner Partei und aus Freude über das Direktmandat. Aber ich habe mich beherrscht.« Letzteres ist schade, denn im Wein liegt angeblich die Wahrheit. Nun ja, so muss Die Linke nüchtern auf Ursachensuche gehen. Gysi, der einräumt, mit so einem Absturz nicht gerechnet zu haben, hält es für angebracht, dass Die Linke zuerst über die inneren, hausgemachten Gründe des Versagens nachdenkt, bevor sie sich mit äußeren Faktoren beschäftigt. »Wir haben unsere Identität als Ostpartei verloren«, sagt er, »die müssen wir unbedingt zurückgewinnen, denn ansonsten geht sie auf die AfD über«. Er selbst habe das auch nicht genügend forciert, sagt er selbstkritisch. »Aber das sollten wir wieder ändern: Wir müssen jeden Monat einen Tagesordnungspunkt zu den Problemen des Osten in den Bundestag bringen, sei es die Rente, sei es das Lohnniveau, sei es Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West.« Das passt zu den Erwartungen vieler Wähler. »Ich finde Die Linke in Ostdeutschland extrem wichtig und möchte nicht, dass sie ihre ostdeutschen Wurzeln verliert«, schrieb uns etwa Franziska Ruth.
Gysi spricht von einem Klima der Denunziation in der bisherigen Bundestagsfraktion – »das reicht mir«. Kaum gebe es Streit in der Fraktion, schicke jemand eine Nachricht in irgendeine Redaktion, so Gysi. Nichts bleibe mehr intern. »Das trägt auch zum Bild der Zerstrittenheit bei.« Das sei bei den Grünen anders – »die streiten sich auch, aber die machen das nicht öffentlich. Ich bewundere nicht viel an ihnen, aber das schon.«
Nicht die natürliche Wahl
Die Vielfalt, »die in den 90ern nach den Erfahrungen der Einheitspartei für die PDS ein Gewinn war und sie attraktiv gemacht hatte«, sei inzwischen ein Grund dafür, dass Menschen sich abwenden von der Linken, meint Gysi. »Weil sich da so viele Haltungen ausschließend gegenüberstehen. Und weil sich nicht wenige fragen, wofür wir in zentralen Fragen stehen. Also: Was ist denn nun demokratischer Sozialismus? Streiten wir beim Thema Flüchtlinge über die Zahl derjenigen, die zu uns kommen dürfen, oder über die Fluchtursachen? Und so weiter.«
Natürlich seien in der Politik Kompromisse nötig, aber es dürften eben keine faulen Kompromisse sein. Was er damit meint? »Nehmen wir das Beispiel Afghanistan. Wir waren von Anfang an gegen den Bundeswehreinsatz dort. Aber die chaotische Abstimmung unserer Fraktion über die Rückführung von Mitarbeitern und Helfern durch die Bundeswehr hat am Ende den Eindruck hinterlassen, dass wir nicht zuverlässig sind.« Und zu Wagenknecht sagt Gysi: »Ich würde nie herablassend über die Klimaaktivisten reden oder über junge Leute, für die das Gendern wichtig ist. Aber klar ist auch: Das ist nicht der Kern unserer Politik.«
Was bei Gysi mitschwingt: Welchen Platz hat Die Linke im politischen System der Bundesrepublik, was ist das unverwechselbar Eigene, das in den Augen der Wähler auch Bestand hat, wenn die SPD etwas nach links rückt? Der Politikwissenschaftler Horst Kahrs meint, dass in der Linken die Arbeit an einem Platz im Parteiensystem fehle, »der sich nicht definiert über Mängel der Sozialdemokratie und der Grünen«.
Maximilian Köhler beschreibt die Wirkung dieses Defizits am Beispiel seiner Familie. »Meine Eltern haben die Härte und Kälte des Kapitalismus, der nach der Wende kam, sehr deutlich spüren müssen«, berichtet der 26-Jährige, der in Thüringen aufwuchs, wo seine Familie immer noch lebt, und Doktorand an der Universität Bochum ist. »Aber sie sehen Die Linke nicht als ›natürliche‹ Wahl, sondern dort braucht es Überzeugung. Dieser Umstand spricht für sich.« Köhlers Fazit: »Es mangelt massiv an der Kommunikation mit den Menschen, für die man Politik betreiben möchte.«
Dieser Mangel hat nicht nur, aber auch etwas mit den materiellen und personellen Möglichkeiten der Linkspartei zu tun. Auch in dieser Hinsicht ist das Wahlergebnis verheerend – deutlich weniger Abgeordnete bedeuten viel weniger Ausstrahlung in den Wahlkreisen, weniger Büros, weniger Geld, weniger Mitarbeiter. Der Landesverband Rheinland-Pfalz etwa, der bisher mit drei Abgeordneten in der Linke-Fraktion vertreten war, stellt künftig nur noch einen. »Unser Aufbau in der Fläche ist damit massiv zurückgeworfen«, sagte der Landesvorsitzende Jochen Bülow auf nd-Anfrage. Bülow stellt sich auf harte Zeiten ein, muss sparen, fordert aber auch von der Berliner Parteizentrale, damit bei sich selbst anzufangen.
Neue Gesichter, keine Querelen
Eine der Ursachen für die Wahlniederlage sieht er in parteiinternem Streit. Oft habe er im Wahlkampf Unverständnis über den Umgang mit Sahra Wagenknecht gehört, vor allem an dem beantragten Ausschlussverfahren. »Die ist doch eure Beste«, hätten viele gesagt. Hinzu komme der Eindruck bei vielen Menschen, dass Die Linke sich im Wahlkampf bei den potenziellen Regierungspartnern SPD und Grüne angebiedert habe: »Die große Mehrheit unserer Wähler wollte uns ja in der Regierung, aber eben nicht um jeden Preis.«
Ganz ähnlich sieht das Ali Riza Kilinc aus Berlin. Der 44-Jährige lebt seit zehn Jahren in Berlin. »Meines Erachtens soll Die Linke ihre Stärke nicht in der Anbiederung an SPD und Grünen suchen, sondern sie muss mit ihrer Authentizität, mit klaren politischen Argumenten den Weg zur sozial-politischen Gerechtigkeit und Gleichheit ebnen«, schrieb er uns.
Wobei die Antworten an uns durchaus den Eindruck bestätigen, dass Linke-Wähler auch über Einfluss auf Regierungsebene mitentscheiden wollen. Es sei nicht zuletzt die »fehlende Durchsetzungsperspektive linker Forderungen«, die Wähler abschrecke, hört man jetzt öfter. Sie habe nach langer Überlegung Die Linke gewählt, schrieb uns beispielsweise Katharina Malo. Die Idee der 27-jährigen Studentin war es, »dass es hoffentlich doch noch für Rot-Rot-Grün hätte reichen können, um eine Beteiligung der FDP und der Union zu verhindern und gleichzeitig einen linken Kurs zu stärken, den ich bei Grünen und SPD alleine nicht gesehen habe«. Pino Gambioli war da skeptischer. »Ich habe Erstimme links und Zweitstimme grün gewählt«, schreibt der Musiker aus Mühlheim am Main in Hessen. »Bisher ging auch meine Zweitstimme an Die Linke. Diesmal wollte ich meine Stimme einer Partei geben, die höchstwahrscheinlich an der Regierung beteiligt ist und nicht den Status einer profilierten Oppositionspartei hat wie Die Linke.« Ohnehin habe er »nicht an Rot-Rot-Grün unter einem Kanzler Scholz geglaubt, selbst wenn Die Linke besser abgeschnitten hätte«.
Was erwarten Linke-Wähler nun von der Partei, der sie ihre Stimme gaben? »Ich wünsche mir eine linke Partei, die diesen Namen verdient und die es schafft, wieder mehr Menschen zu interessieren«, schreibt Ursula Bub-Hielscher. »Ich bin aus Überzeugung ein Linker. Warte aber jetzt auf eine neue linke Partei, demokratische Sozialisten mit neuen Gesichtern und ohne interne Querelen«, meint Siegfried Pietsch. Er habe »aufgrund der Umfragen befürchtet, dass es Richtung Fünf-Prozent-Hürde geht«, schrieb ein Twitternutzer, der seinen Namen nicht nennen wollte. »Keine Linksfraktion kann sich das Land aber auch nicht leisten.«
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