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Das veilchenfarbene, purpurne Meer der Götter
Eine Wiederentdeckung: Vor 150 Jahren wurde der deutsch-jüdische Schriftsteller Georg Hermann geboren
Nicht immer geht die Geschichte fair mit einem Vermächtnis um. Manche, die, wie etwa Franz Kafka, zu Lebzeiten mehr oder weniger erfolglos bleiben, ziehen erst postum in die Annalen ein. Anderen ist zwar Ruhm zu Lebzeiten vergönnt, sie geraten aber nach ihrem Tod in Vergessenheit. Letzteres Schicksal war auch dem jüdischen Schriftsteller Georg Hermann beschieden. Nachdem er zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zu den viel gelesenen Romanciers seiner Epoche zählte, setzte spätestens die Zensur und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten seiner Karriere ein jähes Ende. 1933 gelang ihm noch die Flucht in die Niederlande. Aber Frieden fand er dort keinen. 1943 starb er im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Anlässlich seines 150. Geburtstags sind nun einige seiner Prosatexte wiedererschienen. Es handelt sich um Porträts intellektueller Bohemiens, Weltbetrachtungen von Flaneuren, die für Stil, Kunst und Pracht empfänglich sind - und erst zu spät die Gefahr einer ästhetizistischen Lebensweise erkennen.
So etwa in der just in einer bibliophil hergerichteten Neuausgabe von Hermanns Doppelroman »Die Nacht des Dr. Herzfeld & Schnee«. Während wir im ersten Teil eines durch die Straßen Berlins lustwandelnden Schöngeists gewahr werden, der sich an der Architektur und den Sehenswürdigkeiten der Metropole erlabt, steht das zweite Buch vor allem im Zeichen des über ihn hereinbrechenden Unglücks. Nun überschatten die Soldatentransporte des Ersten Weltkriegs seine Wahrnehmung. Verlust und Angst umgeben den inzwischen einsamen Wanderer unter dem Mond.
Was den 1871 geborenen Georg Hermann deutlich von seinen schreibenden Kollegen in den 1910er und -20er Jahren absetzt, ist seine Orientierung an einer vermeintlich noch guten Vergangenheit. Während einige Expressionisten vom neuen Menschen schwärmen und andere wie Bertolt Brecht sich mit ihren Schriften selbstbewusst in das politische Gefüge ihrer Gegenwart einmischen, sucht er den Rekurs auf das goldene Zeitalter.
Beispielgebend ist dafür sein ebenso neu herausgegebener Roman »Der etruskische Spiegel«. Erzählt wird darin die Geschichte eines Emigranten in Rom. Er sinnt dort über das Alter und die Frauen nach. Sein Bild von der Heiligen Stadt fällt dabei ambivalent aus. »Hier wächst das Kraut der Vergessenheit«, bemerkt der Protagonist, »Rom ist ein Zeitversäumer. Ich glaube, man kann dreißig Jahre hier sein und man merkt es gar nicht«. Dekadenz und Trubel säumen die Straßen. Und selbst, was wir schon als alt betrachten, muss durchdrungen werden, um die dahinterliegenden, tieferen Schichten der formvollendeten Antike bemerken zu können. »Heute herrscht hier das Christentum«, wohl insbesondere in den vielen kleinen und majestätischen Kirchen. »Trotzdem, es blieb das veilchenfarbene, purpurne Meer der Götter. Darüber blieb die Sonne Homers, die allabendlich verlöschende; das sind die Rosse Poseidons da draußen, und die schaumgeborene Schönheit aus dem Meer.«
Sich angesichts des sich in Europa ausbreitenden und in Italien mit Mussolini längst etablierten Faschismus derart zu zerstreuen, hat Folgen. Diese werden Harry Frank, so der Name der Hauptfigur, bewusst, als er sein Dasein in dem titelgebenden Instrument in die Zeit der Etrusker gespiegelt sieht. Um sich des magischen Artefakts, das ihn gänzlich zu vereinnahmen scheint, zu entledigen, will er es im Meer versenken, wobei er selbst stirbt.
Sinnbildlich wird in diesem Roman das Unterschätzen eines üblen Zeitgeistes verhandelt. Filippo Tommaso Marinettis »Das futuristische Manifest«, das den Totalitarismus bereits in Andeutungen vorwegnimmt, stellt für den Protagonisten fatalerweise eine Modeerscheinung dar.
Georg Hermanns Texte wiederzuentdecken, ist lohnenswert. Nicht nur, weil sie als Dokumente der Gesellschaftsdiagnose am Vorabend des Zweiten Weltkriegs gelten dürfen. Auch auf der Ebene der Form erweisen sie sich als bestechend. Seine langen Sätze, seine Lust an der detailreichen Beschreibung, seine plauderhafte, bisweilen auch mal ins Blumige ausschlagende Anti-Ökonomie der Sprache zeugen vom Reichtum literarischen Ausdrucksvermögens.
Man könnte den oft als »jüdischen Fontane« Bezeichneten daher durchaus als einen Impressionisten der Worte bezeichnen. Wie sie hing auch er der zeitgenössischen Idee des »neuen Sehens« an. Ihnen ging es darum, die Welt so sinnlich wie nur möglich zu erfahren, den Moment in seiner ganzen Fülle in sich aufzunehmen. In diesem Punkt strahlt der Roman über alle Wirren und politischen Konflikte der Moderne hinweg. Und so kann man die Bücher des damals ebenfalls für seine Feuilletons und Schriften zur Kunst bekannten Autors heute auch zu einem gewissen Grad aus dem Kontext ihrer Entstehungsjahre lösen, ohne dabei die tragischen Bedingungen der Zwischenkriegsjahre und des Holocaust außer Acht zu lassen. Eine bislang ausgebliebene Nobilitierung seines Schaffens wäre daher nur wünschenswert und ist längst überfällig. Denn so eindringlich, so stimmungsvoll lässt sich nur selten durch Texte spazieren.
Georg Hermann: Die Nacht des Dr. Herzfeld & Schnee. Die Andere Bibliothek, 580 S., geb., 44 €.
Georg Hermann: Der etruskische Spiegel. Wallstein Verlag, 306 S., geb., 25 €.
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