Sicherheit durch eigene Stammzellen

Konserviertes Nabelschnurblut zu therapeutischen Zwecken in der Zukunft kann privat eingelagert oder gespendet werden

  • Jasmin Ehbauer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich habe Angst, dass mein Sohn irgendwann erkrankt und es keine Stammzellspender für ihn gibt,« erzählt Carina Müller. Immer wieder wird sie von der hohen Kinderstimme ihres Sohnes Jens unterbrochen, der mit ihr Lego spielen will. »Später mein Liebling, versprochen.« Am Anfang sei alles perfekt gewesen, so die 33-Jährige, dann verstarb Müllers Schwiegervater kurz vor Jens’ Geburt vor fünf Jahren an Leukämie.

Eine Krankheit, von der auffällig viele Mitglieder der Familie betroffen sind - und eine, bei der die Gefahr der Vererbung besonders groß ist. Da habe sie Angst um ihr ungeborenes Kind bekommen, sich vor ihren Laptop gesetzt und nach einem Ausweg, nach Sicherheit gesucht. Die Antwort, die sie im Internet fand: Das Nabelschnurblut des Kindes einlagern. Sollte Jens erkranken, könne man ihn mit den eigenen Stammzellen behandeln. So zumindest die Theorie. Denn diese Methode ist unter Medizinern äußerst umstritten.

»Je jünger Stammzellen sind, desto besser können sie geschädigte Zellen reparieren«, erklärt Mario Rüdiger, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden. Die Stammzellen im Nabelschnurblut sind jung, weisen so gut wie keine Schäden auf und das Risiko einer Immunreaktion ist gering. Damit sind sie den Zellen aus Knochenmark und Blutbahn überlegen, die üblicherweise für Transplantationen verwendet werden.

Private Blutbanken sprechen deshalb von einer Gesundheitsvorsorge, die - wie es auf der Webseite der privaten Blutbank vita34 heißt - die Tür zu einer Vielzahl an personalisierten Therapiemöglichkeiten öffne. »Stammzellen aus dem Nabelschnurblut kann man nur einmal im Leben des Kindes gewinnen. Verpasst man die Chance, hat man diese Therapiemöglichkeit vertan«, betont Marion Bartel, wissenschaftlich-medizinische Fachberaterin bei vita34. Das Unternehmen aus Leipzig lagert rund 245 000 Stammzellpräparate ein. Bisher erfolgten allerdings erst 32 Anwendungen bei den Kindern selbst und 14 Anwendungen bei einem Familienmitglied.

Medizinische Fachgremien wie die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung sehen eine Wahrscheinlichkeit geringer als eins zu 20 000, die eigenen Stammzellen zu benötigen. Sollte dieser Fall eintreten, können auch Stammzellen aus dem Knochenmark oder der Blutbahn verwendet werden.

Auch Mediziner Rüdiger würde keinesfalls von einer verpassten Chance sprechen: »Noch gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die eindeutig belegen, dass der Einsatz von eigenen Nabelschnurblutstammzellen besser ist als der fremder Stammzellen. Hinzu komme, dass die Stammzellen nicht von der Krankheit befallen sein dürfen, die man heilen möchte. Gerade wenn Kinder in jungen Jahren an Leukämie erkranken, dem häufigsten Einsatzfeld von Stammzellen, sei es wahrscheinlich, dass sich die schädlichen Zellen bereits im Nabelschnurblut befinden. Dann werde auf eine Stammzellspende zurückgegriffen. Zudem reiche eine «Portion» Nabelschnurblut in der Regel nur für die Behandlung eines Kindes. Erwachsenen müssen neben den eigenen Stammzellen auch fremde zugeführt werden.

Carina Müller hat dennoch Nabelschnurblut bei vita34 eingelagert, für eine Jahresgebühr von 70 Euro. Je nach Anbieter und Länge des Vertrags kann die Einlagerung bis zu 5000 Euro kosten. «Ja, vielleicht zahle ich für ein Versprechen, das sich irgendwann als leer herausstellt», sagt die 33-Jährige. «Aber das glaube ich nicht. Prinzipiell gibt es die Möglichkeit einer Eigentransplantation bei Krebserkrankungen, selbst wenn sie nicht oft genutzt wird.» Außerdem gäbe es noch andere Krankheiten, bei denen das eigene Nabelschnurblut helfen könne.

Auch Mario Bartel ist davon überzeugt, dass der Einsatz des eigenen Nabelschnurbluts gerade erst am Anfang steht und neu entwickelte Therapien in Zukunft entscheidend sind. Immerhin werde bereits seit Jahren an den Einsatzmöglichkeiten eigener Stammzellen geforscht. Mögliche Anwendungsfelder liegen Bartel zufolge in der Behandlung von Autismus, einer neurologischen Entwicklungsstörung, und bei Hirnschäden.

Tatsächlich sind immer mehr Studien zufolge Stammzellen aus Nabelschnurblut auch abseits von Krebserkrankungen eine erfolgreiche Therapiemöglichkeit. Doch es fehlt der Nachweis, dass eigenes Nabelschnurblut dem fremden vorzuziehen ist. Solange dies der Fall ist, empfehlen medizinische Fachgremien, das Nabelschnurblut an öffentliche Organisationen zu spenden, statt privat einzulagern. Nur dann sei sicher, dass wirklich einer erkrankten Person geholfen wird.

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