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Klimamodelle und Komplexität
Physik-Preis zur Hälfte für Klimaforscher Klaus Hasselmann und Syukuro Manabe. Die andere geht an den Komplexitätstheoretiker Giorgio Parisi
Dieses Jahr ehrt das Nobelkomitee mit dem Physik-Nobelpreis eine Seite der Wissenschaft, die in der medialen Öffentlichkeit oft wenig präsent ist. Die bekanntere Seite der Naturwissenschaft ist es, aus der unübersichtlichen Vielfalt natürlicher Phänomene die klaren naturgesetzlichen Strukturen herauszuarbeiten, das Komplexe auf das Einfache zu reduzieren und damit beherrschbar zu machen. Genauso wichtig ist es aber auch, den Aufbau großer Systeme aus kleineren Einheiten zu verstehen. Hierzu haben die nun geehrten Wissenschaftler schon vor Jahrzehnten entscheidende Beiträge geliefert. Die von den Forschern untersuchten komplexen Systeme umfassen viele Größenordnungen, von atomarer bis hin zu planetarer Ausdehnung.
Eines der komplexesten natürlichen Systeme ist das Klimasystem der Erde. Heute arbeiten Tausende von Wissenschaftlern weltweit daran, die Erderwärmung mit Hilfe von Modellen immer besser zu verstehen. Eine genaue Kenntnis des menschlichen Einflusses ist entscheidend, um der Politik klare Leitlinien geben zu können, was getan werden sollte, um einerseits eine weitere Erwärmung zu vermeiden und um andererseits Schutzmaßnahmen gegen klimatisch bedingte Wetterextreme zu ergreifen. Der Hamburger Klaus Hasselmann und der Japaner Syukuro Manabe haben hierzu schon vor mehr als einem halben Jahrhundert wichtige Pionierarbeit geleistet und die Klimamodellierung entscheidend vorangetrieben. Sie teilen sich eine Hälfte des Nobelpreises.
Fingerabdruck menschlichen Einflusses
Während heute die größten Supercomputer wochenlang an den Klimamodellen rechnen, mit denen sie von Forschungsteams weltweit gefüttert werden, mussten Hasselmann und Manabe ab den 60er Jahren noch versuchen, möglichst einfach berechenbare und trotzdem belastbare Modelle zu entwickeln, mit denen sich natürliche Fluktuationen und menschliche Einflüsse klar auseinanderhalten lassen. Manabe, der heute im Alter von 90 Jahren immer noch an der Princeton University in den USA forscht, konnte schon damals belegen, wie erhöhte Kohlendioxid-Konzentrationen zu einer Erwärmung der Erdoberfläche führen. Er gilt auch als Pionier beim Einsatz von Computern in der Klimaforschung.
Auf diesen Arbeiten aufbauend, konnte der fast gleichaltrige Hasselmann zeigen, dass die globale Erwärmung nicht natürlichen Ursprungs ist, sondern menschengemacht. Er stellte bereits damals ein stochastisches Klimamodell auf, das nach ihm benannte »Hasselmann-Modell«. Bei diesem werden zufällige klimatische Fluktuationen, ähnlich wie bei der Brownschen Bewegung, in ihrem Einfluss auf das Gesamtsystem berücksichtigt. Bei der Brownschen Bewegung handelt es sich um mikroskopische Stöße zwischen winzigen Teilchen, die sich in der Summe aber ausgleichen können. Ebenso gleichen sich beim Wetter Sonnen- und Regentage aus. Erst im großen Mittel wird ersichtlich, ob eine Dürre droht oder lediglich ein paar trockene Tage. Heute sind diese Modelle dank moderner Computertechnik zigfach verfeinert und die Aussagen präziser geworden.
Die heutige Klimaforschung hat Manabe und Hasselmann viel zu verdanken, die mit ihrem Blick für das Wesentliche die Klimaerwärmung schon damals nachweisen konnten. Ihre Arbeiten haben die ersten Berichte des Weltklimarats entscheidend geprägt. Hasselmann war Gründungsdirektor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie, das er von 1975 bis 1999 leitete. Er hat sich außerdem mit ökonomischen Modellen beschäftigt. Manabe hat auch darauf hingewiesen, dass das Klima mehr als einen stabilen Punkt haben kann. So kann sich das globale Klima bei gleicher Kohlendioxid-Konzentration bei unterschiedlichen Temperaturen einpendeln - abhängig etwa von der Menge an Gletschern, die Wärmestrahlung zurück in All reflektieren. Das ist ein wichtiger Hinweis, dass man bei der Klimaerwärmung sogenannte Kipppunkte unbedingt vermeiden sollte, die eine Verstärkung der negativen Effekte mit sich bringen.
Vielseitige mathematische Methoden
Die andere Hälfte des Nobelpreises erhält mit Giorgio Parisi ein brillanter theoretischer Physiker. Der gebürtige Römer hat auf vielen verschiedenen Gebieten der theoretischen Physik gearbeitet und dabei zahlreiche bedeutende Publikationen veröffentlicht. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehört die Theorie sogenannter Spin-Gläser. Hierbei handelt es sich um magnetische Systeme, bei denen sich die mikroskopischen Kompassnadeln gegenseitig abstoßen. Während in einem magnetischen Material wie Eisen sich die atomaren Magnete bevorzugt in einer Richtung ausrichten und dadurch ein starkes magnetisches Feld erzeugen, meiden die Mikro-Magnete in Spin-Gläsern eine solche Anordnung. Das führt zu einer magnetischen Unordnung, die außerordentlich schwierig zu beschreiben ist.
Parisi hat hier mit einer seltenen Mischung aus genialer physikalischer Intuition und rigorosen analytischen Fähigkeiten die Brechung solcher Symmetrien beschreiben können. Mathematiker fragten sich anfangs, ob Parisis Ansatz überhaupt korrekt ist. Später wurde seine Arbeit aber vielfach bestätigt. Auch auf dem Gebiet der Hochenergiephysik hat Parisi viele Jahre gearbeitet und dabei unter anderem Phasenübergänge untersucht. Dank dieser Modelle lassen sich die komplexen Geschehnisse bei hochenergetischen Kollisionsprozessen in Teilchenbeschleunigern präziser beschreiben als zuvor.
Das Bedeutende an Parisis Forschung ist, dass sie stark auf allgemeine mathematische Beschreibungen abzielt. Das ermöglicht es, die von ihm entwickelten Methoden auf sehr unterschiedlichen Gebieten einzusetzen - von der Mathematik über die Biologie und Neurowissenschaften bis hin zum maschinellen Lernen. Mit dem diesjährigen Nobelpreis würdigt das Nobelkomitee also Forscher, die sich von den atomaren und abstrakten Grundlagen der Komplexitätsforschung bis hin zur globalen Klimaproblematik auf allen Ebenen dem Verständnis zusammenhängender und schwer zu verstehender Systeme widmen.
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