Zu Besuch in Berlin: Die Enkelin von Karl

Marianne Liebknecht über ihre Eltern und soziales Engagement in schwierigen Zeiten

Eine zierliche, fast zerbrechlich erscheinende Frau und doch voller Kraft und Energie, ungeachtet ihres Alters: Marianne Liebknecht, Enkelin des am 15. Januar 1919 mit dem Segen des sozialdemokratischen Kriegsministers Gustav Noske feige ermordeten Anwalts, Revolutionärs und Mitbegründers der Kommunistischen Partei Deutschland, Karl Liebknecht, dessen 150. Geburtstag sich just jährte. Sie ist nach Berlin gereist. Aus Wien. Mit der Bahn. Die restliche Wegstrecke in den Prenzlauer Berg legte die 80-Jährige mit dem Rad zurück. Keinerlei Erschöpfung ist ihr anzumerken. Entspannt, nachdenklich berichtet sie über ihre Familie, vor allem über ihre Mutter Hertha.

Diese hatte 1923 bis 1933, bis zum Machtantritt der Nazis in Deutschland, für das Jugendamt Pankow gearbeitet, als Heilgymnastin, exakter: als orthopädische Turnlehrerin in der »Krüppelfürsorge«, wie es damals hieß. An Hertha Liebknecht wird mit Kurzvita und Foto, das eine junge, aufgeschlossene, lachende Frau mit schulterlangem lockigen Haar zeigt, in einer Sonderausstellung im Museum Pankow erinnert. Ähnlichkeit mit ihrer Tochter Marianne ist evident. Die wiederum ihrer Cousine Maja-Karlena Liebknecht ähnelt, die ich vor Jahren für diese Zeitung interviewte, Tochter von Wilhelm, genannt »Helmi«, dem ältesten Sohn von Karl Liebknecht, der 1933, als Hitler Kanzler von Deutschland wurde, in die Sowjetunion emigrierte.

Nein, sie werde Maja diesmal nicht treffen, bedauert Marianne auf meine Nachfrage, »Maja ist zurzeit in Moskau.« Vor drei Jahren trafen sie sich in Berlin und Leipzig. Das Berliner Käthe-Kollwitz-Museum zeigte frühe Arbeiten von Robert Liebknecht, Mariannes Vater, 1903, ein Jahr nach »Helmi« geboren. Robert brach mit der beruflichen Tradition der Liebknechts, wollte nicht Jurist werden, wurde Künstler. »Sophie hat ihn in seiner Entscheidung bestärkt«, weiß Marianne. »Sie hat immer wieder betont, dass sie die Kunst in die Familie gebracht hat.« Sophie, geborene Ryss aus Rostow am Don, Kunsthistorikerin, Frauenrechtlerin und enge Freundin von Rosa Luxemburg, war die zweite Frau von Karl Liebknecht. Nach dem Tod der ersten, Julia Liebknecht, hat sie sich der drei noch minderjährigen Kinder, Wilhelm, Robert, Vera angenommen.

2018 übergab Marianne ein Bild ihres Vaters, das dieser aus der Erinnerung von seinem Vater Karl angefertigt hatte, als Leihgabe dem Stadtgeschichtlichen Museum in Leipzig. Die Tochter des Malers berichtet, dass dieses 1930 »im Auftrag von Moskau entstand, aber auf Ungnade stieß, weil es nicht realistisch genug war«. Robert Liebknecht habe seinen Vater mehrfach gemalt. Ein Versuch, den schmerzhaften Verlust in früher Kindheit zu verarbeiten. »Ein Porträt habe ich bei mir zu Hause, das geb ich nicht her«, offenbart Marianne in Berlin

Ihre Augen glänzen, Stolz schwingt in der Stimme mit, wenn sie vom Vater erzählt. »Er war sehr sensibel, sozial denkend, geprägt von zwei Generationen Sozialisten.« Wilhelm Liebknecht, der Vater von Karl und Großvater von Robert, war Kampfgefährte von Karl Marx und Friedrich Engels und nebst August Bebel Gründungsvater der deutschen Sozialdemokratie sowie Kontrahent von Kanzler Otto von Bismarck im Deutschen Reichstag. »Mein Vater war kein großer Redner, kein Politiker«, erinnert sich Marianne. »In der Mordnacht, als Karl erschossen wurde, war mein Vater bei seinem Freund Julius. Der 15. Januar 1919 hat fortan sein Leben überschattet. Er war darum etwas schwermütig.« Wen sollte dies verwundern? »Mutter hat unseren Alltag gemanagt«, sagt Marianne. »Sie war Optimistin durch und durch.«

Trost fand Sohn Robert wohl ein wenig in der Malerei. Käthe Kollwitz, eine Freundin der Familie, erkannte sein Talent und ermunterte ihn, an seinem Berufswunsch festzuhalten. Robert Liebknecht begann 1923 ein Studium an der Kunstakademie in Dresden, verbrachte einen ersten Studienaufenthalt in Paris, um die ihn beeindruckenden Impressionisten zu studieren, gab hernach als freischaffender Künstler Kurse an der Volkshochschule Berlin-Neukölln und heiratete 1927 Hertha Goldstein aus Anklam.

Im April 1933 emigrierten die beiden nach Frankreich, wo sie nach der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs durch Nazideutschland zunächst als »feindliche Ausländer« interniert wurden, im Lager Gurs - »obwohl sie Antifaschisten waren«, wie Marianne sich noch heute empört. Sie erblickte 1941 im Exil das Licht der Welt. Im Jahr darauf fliehen die Eltern mit ihr vor den deutsch-faschistischen Okkupanten in die »neutrale« Schweiz. 1945 Rückkehr nach Frankreich. »Nach Deutschland wollten meine Eltern nicht mehr.«

Marianne hat nur vage Erinnerungen an eine Reise Anfang der 50er nach Berlin, Hauptstadt der DDR. Eingeladen von höchster Stelle. »Da war viel Aufbruch, aber vieles auch ziemlich traurig. Überall Trümmer.« Der Teenagerin war es etwas peinlich, wie euphorisch sie allerorts als Enkelin von Karl Liebknecht begrüßt und umjubelt wurde.

Ja, der Vater habe auch sie als Kind mehrmals gemalt. »Ich musste und konnte nicht still sitzen«, klagt die alte Dame schmunzelnd. Sie war ein quirliges, temperamentvolles Mädchen, wollte Tänzerin werden - und wurde Tänzerin. »Mutter war sehr musikalisch und hat mich unterstützt.«

Marianne verliebt sich und heiratet den österreichischen Musikprofessor Konrad Oberhuber, mit dem sie in die USA übersiedelt, wo ihr Mann unter anderem als Kurator an der National Gallery of Art in Washington, D. C., arbeitet und an der Universität Harvard lehrt. Der (letztlich gescheiterten) Ehe entspringen vier Kinder: Lukas, Nikolaus, Wanako und Mariella, »alle sehr verschieden«, aber gleichermaßen stark von der Liebe zur Natur und der Idee der Ganzheitlichkeit eingenommen. Diese haben sie von ihrer Mutter geerbt wie jene wiederum von der ihren. »Aber auch Vater liebte die Natur«, betont Marianne. »Alles ist mit allem verbunden«, deklariert sie in Berlin. »Es ist wichtig, dass wir zurückkehren zu einer Lebensweise im Einklang mit der Natur. Ein noch langer Weg, aber wir müssen ihn endlich beschreiten.«

Davon waren auch die Pioniere und Pionierinnen der modernen Sozialarbeit in Berlin überzeugt, denen die Ausstellung »Aufbruch und Reform« gewidmet ist. Auf viele bekannte Namen stößt man hier: Franz Neumann, in den Jahren der Weimarer Republik Leiter eines Werkheims für jugendliche Erwerbslose, in NS-Zeit inhaftiert, nach dem Krieg Vorsitzender der Berliner SPD und der Arbeiterwohlfahrt. Otto Ostrowski, 1926 Bürgermeister vom Prenzlauer Berg, von den Nazis entlassen, 1946 Oberbürgermeister des noch nicht geteilten Berlins, ein halbes Jahr später durch Misstrauensantrag der eigenen Partei, SPD, gestürzt, weil er mit den Sowjets und der SED zusammenarbeitete. Und natürlich Walter Friedländer, Stadtrat und Leiter des Jugend- und Wohlfahrtsamtes, Mitbegründer der deutschen Friedensgesellschaft, von den Nazis als Jude und Sozialdemokrat ebenfalls bereits 1933 ins Exil, ins US-amerikanische, gezwungen.

Ein Schicksal, das die Mehrheit der in der Ausstellung vorgestellten Sozialarbeiter teilte. Interessant, hier gab es ein rot-rotes Bündnis, Sozialdemokraten und Kommunisten arbeiteten gemeinsam zum Wohl der ausgegrenzten, abgehängten, arbeits- und perspektivlosen Jugendlichen in den Mietskasernen des Prenzlauer Bergs wie auch der Waisen des Ersten Weltkrieges. Mädchen wie Jungen wurden hier ebenbürtig betreut und aufs Leben vorbereitet, erlernten in Werkheimen das Tischler-, Schuhmacher- oder Buchbinderhandwerk. »Weg von der Straße und den Cliquen« lautete das Credo. Mit dabei damals: Hertha Liebknecht, Mariannes Mutter.

»Aufbruch und Reform«, Museum Pankow, Prenzlauer Allee 227/228, 10405 Berlin, bis 24. Oktober.

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