120 Jahre alte Hefe braut Bier

Bierflaschen aus einem alten Schiffwrack in Schottland erweisen sich als Schatz für Biotechnologen

  • Reinhard Renneberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Steve Hickman, ein britischer Hobby-Taucher, stieß bei einem Tauchgang vor der schottischen Westküste auf das Wrack eines Dampfschiffs aus dem 19. Jahrhundert. Die Fracht: Tausende Flaschen Bier. Nicht mehr trinkbar, aber für Biotechnologen ein Schatz der besonderen Art!

Die »Wallachia« hatte 1895 das schottische Glasgow verlassen, kollidierte im Meeresarm Firth of Clyde bei dichtem Nebel mit einem anderen Schiff und sank. Im kalten Schlamm auf dem Meeresgrund lagerten die Flaschen mehr als 120 Jahre, bevor Hickman sie gemeinsam mit einem Team von Berufstauchern barg. »Das sind Schätze, die mit äußerster Vorsicht behandelt werden müssen«, sagt Hickman - »die Flaschen könnten immerhin auch während des Aufstiegs explodieren.« Die Flaschen wurden also mit größter Vorsicht nach oben gebracht.

Nach der Entdeckung wurden die Flaschen an Forscher der Universität von Sunderland an der Ostküste Schottlands übergeben, die sie in Zusammenarbeit mit der Firma Brewlab eingehend untersuchten. Sie enthielten ein rötliches, dunkles Stout mit 7,5 Prozent Alkohol. Das Stout (engl. kräftig, stämmig) wurde im 18. Jahrhundert in England entwickelt. Weltweit bekannt wurde es durch durch Arthur Guinness. Der verwendete statt geröstetem Gerstenmalz ungemälzte, geröstete Rohgerste und erhöhte den Hopfenanteil. Sein Bier war deshalb bitterer und auch der Alkoholgehalt mit 7 bis 10 Volumenprozent höher. Dafür werden teilweise Wein- statt Bierhefen verwendet, die vertragen mehr Prozente.

Als eine der Flaschen aus dem Wrack geöffnet wurde, entwickelte das 120-jährige Bier eine schöne Blume. Fast wie ein Guinness! Aber - leider - roch es faulig-salzig und schmeckte entsprechend schlecht. Zudem explodierte eine Flasche wie befürchtet, zum Leidwesen des ordentlichen Laborpersonals.

Der einzige mutige britische Bier-Probierer meinte sogar, Kaffee- und Schokoladen-Noten herausgeschmeckt zu haben. Der Geschmack dieser Biere aus dem 19. Jahrhundert sei »stark und erdig«. Mutig war er, denn immerhin hätte er sich auch infizieren können mit den uralten Mikroben …

Denn tatsächlich: »Die Hefe lebt noch und könnte sogar die heutige Produktion verbessern«, berichten die Wissenschaftler. Diese Mikroorganismen wiederzugewinnen, um ein Getränk mit dem Geschmack des 19. Jahrhunderts zu kreieren, ist ein echtes Glücksspiel. Die durchgeführten Tests sind jedoch ermutigend. Und sicher haben die damaligen Hefen die heutigen Brauer etwas zu lehren. Heute verwenden wir in der Regel Hefen der Arten Saccharomyces cerevisiae (obergärige Biere und beim Backen) oder Saccharomyces pastorianus (untergärige Biere). Doch in den alten schottischen Bierflaschen fand man mit Gentests zwei recht ungewöhnliche Hefen: Brettanomyces bruxellensis und Debaryomyces hansenii. Beide vertragen höhere Alkoholkonzentrationen als die gängigen Hefen in der Bierproduktion.

Nun versuchen die schottischen Forscher, mit diesen Hefen ein Bier wie vor 120 Jahren zu brauen. Die Hefe in den Flaschen scheint tatsächlich für eine moderne Produktion von roten, blonden und dunklen Bieren mit einem Alkoholgehalt von etwa 7,5 Prozent geeignet zu sein.

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