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Pfade in die Zukunft

Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein. Eine Studie zeigt nun, was dafür nötig ist und wo die Herausforderungen liegen

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Das nächste Jahrzehnt gilt als entscheidend für die Zukunft des Klimas auf der Erde. Denn in diesem Zeitraum müssen die Weichen gestellt werden für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, wenn die Erderwärmung nicht aus dem Ruder laufen soll.

Das deutsche Klimaschutzgesetz von 2021 sieht vor, den hiesigen Treibhausgasausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent und bis 2045 auf Netto Null zu senken. »Klar ist, dass Klimaneutralität in weniger als 25 Jahren nur durch eine beispiellos zügige und tief greifende Transformation des gesamten Energiesystems erreicht werden kann«, schreiben die Autor*innen des jüngst erschienenen Ariadne-Reports »Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045, Szenarien und Pfade im Modellvergleich«. »Doch so klar das Ziel ist, so offen ist der Weg dorthin.« Die Herausforderungen seien groß: »Scheitern wir am Meilenstein des Klimaziels 2030, werden wir wohl auch 2045 nicht klimaneutral sein«, so Erstautor Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Bislang jedenfalls klafft eine Lücke zwischen den Zielen des Klimaschutzgesetzes und den beschlossenen Maßnahmen, konstatiert Koautorin Claudia Günther vom PIK.

Der Report, an dem über 50 Wissenschaftler*innen von mehr als zehn deutschen Forschungseinrichtungen mitgearbeitet haben, stellt erstmals konkrete Transformationspfade auf Basis eines umfassenden Modellvergleiches vor. Anders als in bisherigen Studien rechnen die Autor*innen in dem vorliegenden Bericht sechs Szenarien mit unterschiedlichen Modellen durch und betrachten diese gemeinsam, was fundierte Schlussfolgerungen erlaubt.

Am einfachsten ist der Verzicht auf fossile Energieträger in der Stromerzeugung. Dort lassen sich nach Berechnungen von Luderer und Kolleg*innen in der nächsten Dekade 82 bis 92 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. Aufgrund des steigenden CO2-Preises immer unrentabler, würden wir bereits acht Jahre früher als geplant aus der Kohleverstromung aussteigen. Windenergie und Fotovoltaik müssten dagegen deutlich zügiger ausgebaut und die so erzeugte Strommenge verdreifacht werden, deutlich höher als im Erneuerbare-Energien-Gesetz 2021 anvisiert. Eine stärkere Reduzierung fossiler Brennstoffe in der Energiewirtschaft bis 2030 erwies sich dabei als kostengünstiger als der im aktuellen Klimaschutzgesetz vorgesehene Transformationspfad.

Im grünen Strom sehen die Autor*innen der Studie auch den Schlüssel zu der Dekarbonisierung der Bereiche, bei denen es heute noch hakt - Gebäudesektor und Mobilität etwa. Sie propagieren, den Anteil des Stroms an der Endenergie von 18 Prozent im Jahr 2019 auf 40 bis 69 Prozent im Jahr 2045 anzuheben. Noch nicht eingerechnet ist dabei eine indirekte Elektrifizierung über grünen Wasserstoff oder E-Fuels. Bis in die 2030er Jahre werden die nur sehr begrenzt verfügbar sein. Deshalb bleiben sie in den untersuchten Szenarien den Anwendungen vorbehalten, in denen eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist, wie die Produktion von Rohstahl oder Ammoniak. Auch in diesen Industriezweigen müssten bis 2030 CO2-neutrale Verfahren auf industriellem Niveau vorliegen. Ein Problem stellt dabei derzeit auch noch ihre Wirtschaftlichkeit dar.

Nur langsam geht der Einsatz fossiler flüssiger Brennstoffe zurück. »In unserem Energiesystem gibt es viele Anlagen und Fahrzeuge, die auf die Nutzung dieser Brennstoffe ausgelegt sind«, erklärt Günther. »Obwohl in unseren Szenarien bereits bis 2030 E-Pkw im motorisierten Individualverkehr, Wärmepumpenheizsysteme bei der Gebäudewärme und elektrische Kessel bei der industriellen Dampferzeugung bei den Neuanschaffungen eine dominante Stellung haben, bleiben durch die lange Lebensdauer alter Anschaffungen trotzdem noch viele Anlagen und Fahrzeuge, die mit fossilen Energieträgern betrieben werden.« Die Studie unterstellt, dass bis 2030 knapp ein Drittel der Pkws mit Verbrennungsmotor durch solche mit Elektroantrieb ersetzt und fünf Millionen Wärmepumpen installiert werden.

Eine Übererfüllung der Ziele im Bereich Energieerzeugung könne Defizite im Gebäude-, Verkehrs- und Industriesektor ausgleichen. Zusätzlich seien Verhaltensänderungen in der Gesellschaft - etwa der Umstieg auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) - oder politische Maßnahmen wie ein höherer CO2-Preis - notwendig, um die Umgestaltung der Endnutzung zu beschleunigen.

Restemissionen in Industrie und Landwirtschaft können laut Studie durch »Negativemissionen« ausgeglichen werden. »Laut unseren Szenarien sind CO2-Entnahmen in Höhe von 41 bis 74 Megatonnen CO2 für 2045 notwendig, um klimaneutral zu werden«, so Günther. 50 Megatonnen CO2 entsprächen etwa sieben Prozent des deutschen Ausstoßes 2019. Das Potenzial dafür sei in Deutschland vorhanden. »Die Entnahme und Speicherung von 50 Megatonnen CO2 ist eine Herausforderung, da ausgereifte Technologien und Infrastrukturen fehlen«, so die Ökonomin.

Ein Manko der Studie ist, dass sie ihren Fokus auf den Vergleich von Modellen und Szenarien legt, die sich vor allem in ihrer Technologieausrichtung unterscheiden. Politisch gelenkte Maßnahmen wie die Regionalisierung der Güterproduktion, der Ausbau des ÖPNV und die Verlagerung des Warentransports auf die Schiene spielen in der Studie keine Rolle. Ein grundsätzlicher Wandel hin zu autofreien Innenstädten oder weniger Konsum wird schon gar nicht in Erwägung gezogen. Laut Günther sind jedoch für die Zukunft weitere Szenarien geplant, die beispielsweise eine stärker auf Energieeffizienz und Lebensstiländerungen ausgerichtete Klimaschutzstrategie untersuchen.

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