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Mehr intellektuelle Wehrhaftigkeit!
Wegen der Präsenz rechter Verlage sagen Autor*innen ihren Besuch der Frankfurter Buchmesse ab. Warum diese Strategie den Demokratiefeinden in die Karten spielt
Mit Rechten reden? Oder sie besser ignorieren und ausgrenzen? Genau zu diesen Fragen ist auf der Frankfurter Buchmesse just ein Streit ausgebrochen, der eigentlich schon kalter Kaffee sein sollte. Zumal die Diskussion, sieht man von der letzten digitalen Realisierung des Branchentreffens ab, bereits in der Vergangenheit geführt wurde, aber nie zu einem befriedigenden Ende geführt hat. Nun steht vor allem der Jungeuropa-Verlag im Fokus, dessen Stand sich in unmittelbarer Nähe des »Blauen Sofas«, also der Bühne der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, befindet. Weil sie selbst bereits rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt gewesen ist und um ihre Sicherheit fürchtet, hat als Erste die 1982 in Hagen geborene Schriftstellerin und Internet-Aktivistin Jasmina Kuhnke ihr Kommen abgesagt. Prompt folgten weitere, darunter Riccardo Simonetti und Ciani-Sophia Hoeder. Wo eigentlich über geistige Substanz und innovative Bücher gesprochen werden sollte, überragt nun dieser Eklat alles. Dass dadurch gerade jene Publikationen in den Mittelpunkt rücken, denen keine große Öffentlichkeit zukommen sollte, gehört zu den beklagenswerten Nebeneffekten.
Die Pole im Konflikt sind klar: Auf der einen Seite stehen Schriftsteller*innen, die ein Zeichen gegen die Toleranz der Intoleranz setzen wollen, auf der anderen argumentieren die Organisator*innen mit dem hohen Gut der Meinungsfreiheit. Was also tun? Etwa mit den Standgebühren entsprechender Verlage eine Art Fonds gründen, mit dem antifaschistische Projekte unterstützt werden sollen, wie ihn die Autorin des Romans »Identitti«, Mithu Sanyal, vorschlug? Weil diese Kompromissidee zu sehr an einen Ablasshandel erinnern würde, hat sich die Buchpreiskandidatin von ihrem eigenen Vorschlag jedoch wieder distanziert.
Eine einfache Lösung für den adäquaten Umgang mit Rechtsnationalen im Literaturbetrieb wird es gewiss nicht geben. Schon die Politik hat damit ihre Schwierigkeiten. Totschweigen klappt nicht, Überzeugen klappt nicht. Und doch muss im Bundestag eine Kraft neben der AfD sitzen, was aktuell niemand will. Die Parlamentarier geben also kein gutes Vorbild ab.
Andere Wege müssen gewagt und alte Einstellungen überdacht werden - getreu der Maxime: Eine Demokratie ist nur so wehrfähig wie ihre Zivilgesellschaft. Und wo könnte man den Neofaschisten mit aller rhetorischer Verve besser begegnen als auf einer Buchmesse, dem Epizentrum der intellektuellen Kultur? Indem wir die publizistischen Brutstätten von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit marginalisieren, gewähren wir ihnen den Status des Opferseins. Stattdessen tut es not, sich in Akzeptanz zu üben. Alles andere käme letztlich einer Zensur gleich und würde das neurechte Narrativ vom korrumpierten Unrechtsstaat nur weiter nähren.
Doch diese Haltung braucht mehr als nur ein Aushalten. Mit ihr muss etwas einhergehen, was im Grunde gute Literatur auszeichnet und unbedingt den Geist einer Buchmesse bestimmen sollte: die Bereitschaft, sich der Alterität auszusetzen, die eigene Bubble zu verlassen. Nur so lassen sich die Argumentationsketten, die aus rechten Thinktanks stammen, durchschauen und widerlegen.
Wenn nicht das Branchentreffen der Bücherliebhaber*innen den Mut und die Kraft findet, mit den Mitteln des Wortes zu kämpfen, wer denn sonst? Absagen bedeutet, dem anderen das Feld und letztlich die Wortführerschaft zu überlassen. Sieht man von den Sicherheitsvorkehrungen ab, die selbstverständlich vonseiten der Messeplaner garantiert werden müssen, kommt diese Reaktion einer Kapitulation gleich.
Wer produktiv über Alternativen nachdenkt, könnte vielleicht Methoden des zivilen Ungehorsams ins Spiel bringen. Denkbar wäre beispielsweise, dass Zitate aus den einschlägigen Schriften auf Flugblättern mit entlarvenden Gegenargumenten gedruckt und verteilt werden. Auch Fahnenaufsteller nach ähnlichem Muster kommen einem in den Sinn. Oder ein anderer Vorschlag: eine Vortragsreihe zur Frage, wie die Literatur mit ihren ureigensten Mitteln mit rechten Codes umgehen soll. Kurzum: Es gilt, die monolithische Ideologie durch kreative Aktionen zu demaskieren und zu dekonstruieren. Mittel der Wahl muss das Literarische sein. Denn nur wenn die demokratische Mehrheit über die Sprachhoheit verfügt und sie sich nicht nehmen lässt, können braune Reden sich nicht in den Köpfen verfestigen. Dazu ist kein »Lauter-Sein« vonnöten. Ein »Klarer-Sein«, ein »Stichhaltig-Sein« erweist sich hingegen als relevant.
Bislang hat der Betrieb allerdings keine kluge Linie gefunden. Sieht man von der gegenwärtigen Standdebatte und den Absagen ab, die nur das Symbol für eine in Eruption befindliche Debattenkultur darstellen, so zeigt sich die fehlende Resilienz der Branche in immer wieder überstürzten Ausgrenzungsreflexen gegenüber etablierten Autor*innen.
Die Gesinnungsjagd der letzten Jahre hat unerträgliche Auswüchse angenommen. Es mag sein, dass Monika Maron, gelinde gesagt, nicht unbedingt liberale Gedanken vertritt und eine Nähe zu nationalistischen Kreisen aufweist. Aber ihr den Verlagsvertrag zu kündigen, statt den spannungsvollen Austausch zu suchen und zu vertiefen, ist töricht.
Noch absurder mutet es an, wenn Schriftsteller wie Christian Kracht, dem in seinem grotesk-pointierten Roman totalitäre Tendenzen unterstellt wurden, oder Simon Strauß, dem schon, etwas zugespitzt, Geschlechterfaschismus in seinem Debüt nachgesagt wurde, einer gefährlichen Gesinnung verdächtigt werden. Am ehesten dürften bei all den Vorwürfen jene gegen Uwe Tellkamp zutreffen, der in der Tat Äußerungen getätigt hat, die weit über die Tragfähigkeit einer freiheitlichen Grundordnung hinausgehen.
Es hilft am Ende nur das Lesen und Schreiben, das Verstehen und Gegenhalten mit dem sachlichen Argument. Dass wir die Auseinandersetzung auf dem Feld der Literatur eingehen müssen, ergibt sich auch aus der Entwicklung der Verlagslandschaft. Denn mehr und mehr verfolgen neofaschistische Kreise auch eine intellektuelle Ansprache. Die Gründung ganzer Verlage, die sich als Sammelbecken für Verschwörungstheorien und Querdenkertum verstehen, können wir nicht durch Wegducken und Wegdrehen eindämmen.
Hierzu ist allen voran eine schon seit Längerem um ihre Bedeutung ringende Institution gefragt: die Literaturkritik. Sie ist mittels exakt eingesetztem Sezierwerkzeug dazu in der Lage, Scheinwahrheiten aufzufinden und einzuordnen. An dieser Stelle offenbart sich der demokratieerhaltende Wert profunder, hermeneutisch geleiteter Rezensionsarbeit. Sie vermag ästhetische Belange und politische Aussagen gleichermaßen zu berücksichtigen und unsachgemäße Behauptungen plausibel zu entkräften.
Auch die Literaturwissenschaft kann einen Beitrag dazu leisten, das Aufkommen eines nationalsozialistisch gefärbten Buchsegments im Auge zu behalten. Geboten ist bei alledem nicht der schnelle Aktionismus aus dem Jetzt heraus. Der Zugriff muss historisch grundiert sein, muss auf Basis einer tiefgreifenden Erinnerungskultur vonstatten gehen, um geschichtsrevisionistische Pamphlete zu widerlegen.
Nun die finale Frage, auf die die Antwort längst bekannt sein dürfte: Wo sollen sich nun all die Kritiker und Analytiker, die Historiker und Soziologen treffen, damit Wucht und Standfestigkeit aus einem kreativen Zusammenwirken hervorgehen können? Eben, auf der Buchmesse. Man kommt immer wieder auf sie zurück. Zu ihr führen alle Verfahren abseits passiver Enthaltung, abseits eines unbotmäßigen Blind-Stellens.
Damit im kommenden Jahr nicht wieder dieselbe Debatte wie kalter Kaffee aufgewärmt wird, sind die Organisatoren gut beraten, eine Kommission einzubestellen, in der sich besagte Köpfe unterschiedlicher Schulen und Richtungen zusammensetzen und ein Konzept erarbeiten. Proaktiv sozusagen. Denn es wäre eine Buchmesse wünschenswert, auf der mal wieder über Progressives und vielleicht auch Visionäres gesprochen wird - und nicht nur über braune Sichtweisen, die eines nie waren: zukunftsgerichtet.
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