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Alles andere als ein Routinetermin
Die fast halbierte Linke-Bundestagsfraktion wählt ihre Vorsitzenden. Die werden als Konfliktmanager gebraucht
Wenn an diesem Montag die neue, stark geschrumpfte Linke-Bundestagsfraktion zusammenkommt, steht einiges zur Debatte. Es ist die zweite Zusammenkunft seit der Bundestagswahl Ende September, bei der die Linke 30 ihrer bis dahin 69 Mandate verlor. Gerade noch so mit dem vollwertigen Fraktionsstatus davongekommen, geht es nun um eine inhaltliche und personelle Standortbestimmung. Bei der ersten Sitzung Ende September, wenige Tage nach der Bundestagswahl, habe man vier Stunden lang »kontrovers, aber sachlich und nachdenklich« über die Gründe diskutiert, die zu dem katastrophalen Wahlergebnis von nur 4,9 Prozent führten, hieß es danach.
Personalentscheidungen traf die Fraktion noch nicht, die bisherigen Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch amtieren bisher weiter, und es sind bislang auch kaum Personalspekulationen nach außen gedrungen. Das mag einerseits dafür sprechen, dass allen der Ernst der Lage bewusst ist; andererseits müssen sich die Kräfteverhältnisse in der neuen Fraktion erst einmal sortieren. Klar ist jedenfalls, dass das so genannte Hufeisenmodell stark in der Kritik steht – jene Machtkonstellation in der Fraktion, die den Reformerflügel um Bartsch und den Flügel um Sahra Wagenknecht durch Ämterteilung befriedete, von der sich etliche Abgeordnete aber nicht vertreten fühlten.
Nun, einen Monat nach der Bundestagwahl, soll die Linksfraktion ihre neue Führung bestimmen. Zumindest mit neu gewählten Vorsitzenden wollen die Genossen in die Konstituierung des Bundestags am Dienstag gehen; die weiteren Posten – etwa stellvertretende Vorsitzende, fachpolitische Sprecher – sollen dann auf einer Fraktionsklausur in Leipzig zur Wahl stehen. Wobei die Vorsitzendenfrage zumindest nach außen hin völlig offen ist. Die Signale sind widersprüchlich – es gibt Leute, die mit den bisherigen Vorsitzenden weitermachen wollen, aber auch die Auffassung, dass dieses Wahlergebnis einen Einschnitt markiert, der personell einen Neuanfang erfordert.
Dass es im Zusammenhang mit den Personalfragen auch um eine fortgesetzte inhaltliche Auseinandersetzung in der Fraktion gehen wird, ist jetzt schon klar. Ein paar Pflöcke dafür hat beispielsweise der langjährige Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger eingeschlagen. In einem Thesenpapier zur Wahlanalyse und den Schlussfolgerungen daraus fordert er »eine Neuaufstellung in der Bundestagsfraktion«. Das Bündnis »von Teilen der Reformer mit den Traditionalisten um Wagenknecht« habe die Fraktion gelähmt. Dieses Bündnis habe wenige politische Gemeinsamkeiten und sei hauptsächlich machtpolitisch begründet. »Eine Fortsetzung wäre inhaltlich perspektivlos«, so Riexinger, der als Spitzenkandidat der Landesliste Baden-Württemberg in den Bundestag wiedergewählt wurde. Zur Neuorientierung gehöre »die Anerkennung, dass die Partei das politische Zentrum ist und nicht die Fraktion. Es braucht in der Fraktion mehr Raum für politische Diskussionen, neue Ideen und Initiativen.«
»Besonders deutlich« geworden sei der Zustand der Fraktion während der Corona-Pandemie. Zwar habe es gute Anträge gegeben, etwa zur Kurzarbeit, »aber Themen wie Pflegenotstand, soziale Mindestsicherung oder die Situation der Familien hätten offensiver gesetzt werden müssen«, schreibt Riexinger, was auch als Kritik an der bisherigen Fraktionsführung verstanden werden kann. Zu der hatten die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Riexinger ein zeitweise schwieriges Verhältnis; der Streit drehte sich auch um die Mitspracherechte der Parteispitze bei Entscheidungen der Fraktionsführung.
Nur sehr punktuell ähnliche Kritik äußerte die bisherige Abgeordnete Sabine Zimmermann. Die Linke habe zwei wesentliche Kompetenzfelder verlassen – die Vertretung ostdeutscher Interessen und soziale Themen, meint die sächsische Gewerkschafterin. Statt dessen habe die Partei versucht, »grüner als die Grünen zu sein« und »allzu offensichtlich« in Richtung Rot-Grün-Rot geschielt. Den früheren Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger wirft Zimmermann »kaum nachvollziehbare Ignoranz« vor, wenn sie nun forderten, die Klimapolitik noch stärker in den Vordergrund zu stellen. Konkret hat Riexinger in seinem Thesenpapier formuliert: »Wir müssen auf unserem Kernfeld der sozialen Gerechtigkeit bleiben und es um die Klimagerechtigkeit erweitern.«
Zimmermann hält den beiden Ex-Vorsitzenden zudem vor, Richtungsdebatten und Konflikte in der Linkspartei nicht moderiert, »sondern selbst wesentlich die Spaltung der Partei betrieben zu haben«. Gemeint ist offenbar die lang anhaltende Kontroverse mit Sahra Wagenknecht etwa um deren migrationspolitische Positionen, um die Aufstehen-Bewegung und ihr jüngstes Buch »Die Selbstgerechten«.
Zimmermann handelte sich damit umgehend Widerspruch der in Sachsen wiedergewählten Abgeordneten Caren Lay ein. Zimmermann führe einen »spalterischen Diskurs«, twitterte die bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende. In einer Wahlanalyse auf ihrer Webseite schrieb Lay mit Bezug auf die Themenfelder gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit, die Linke sei »die einzige Partei, die ihre Kernkompetenz öffentlich in Frage stellt«. Und: »Niemand wäre ansonsten auf diese Idee gekommen, wenn nicht führende Linke es immer wieder – fälschlich – behaupteten.« Zimmermanns Vorwurf, Die Linke wolle grüner sein als die Grünen, bezeichnete der nicht wiedergewählte Umweltpolitiker Lorenz Gösta Beutin als peinlich: »Die Klimakrise ist da, und nur eine Linke, die darauf glaubwürdige Antworten hat, wird zukunftsfähig sein, da hilft es nichts, sich die Hände vor die Augen zu halten«, so Beutin auf Twitter.
Das sind Konfliktlinien, an denen entlang sich die Debatte in der neuen, kleineren Linke-Fraktion entzünden dürfte. Inwieweit sie sofort personelle Konsequenzen zur Folge haben, wird sich in der Fraktionssitzung an diesem Montag zeigen. Der »Spiegel« spekulierte über einen vermeintlichen Putschversuch gegen Fraktionschef Dietmar Bartsch, in dessen Rahmen eine Gruppe von Abgeordneten und Mitgliedern des Parteivorstands auf eine Sondersitzung des Vorstands in Sachen Schwerpunkte und Arbeitsweise der Fraktion gedrängt haben sollen. Tatsächlich sollte der Vorstand am späten Sonntagnachmittag bis in den Abend beraten, wie »nd« erfuhr. Ein Routinetermin wird die Wahl der Fraktionsführung ganz sicher nicht.
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