Kleine Rochaden – und ein Leak

Die Linke hat ihren Fraktionsvorstand neu gewählt. Für etwas Aufregung sorgte ein durchgestochenes Papier

  • Max Zeising, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

So viel Zeit musste sein: Am Donnerstagvormittag um kurz nach 11 Uhr strömten die Fraktionäre der Linken aus ihrem Tagungssaal »Saturn« des Hotels »Radisson Blu« in Leipzig. Sie waren nun fast 24 Stunden lang beisammen, hatten intensiv über die deftige Wahlniederlage vom 26. September diskutiert, über Ursachen und Konsequenzen gerungen – und einige weitere Punkte wie die Wahl des Fraktionsvorstands standen noch auf der Tagesordnung. Doch diesen einen Termin wollten sich die Abgeordneten trotz fortgeschrittener Zeit nicht entgehen lassen.

Auf dem benachbarten Augustusplatz, wo – wie der in Leipzig direkt gewählte Sören Pellmann richtigerweise feststellte – im Jahre 1989 der Aufbruch in Ostdeutschland begann, stellten sich die Genossen für ein Foto zusammen. In der ersten Reihe: die reformorientierte Gesine Lötzsch, Katja Kipping von der Emanzipatorischen Linken, Sevim Dagdelen vom Flügel der Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Sie hielten ein Banner, auf dem stand: »Gemeinsam, jetzt!«

Ein Bild, das gleich zwei Interpretationen zuließ. Erstens: Nach dem Wahldebakel vom 26. September – die Linke kam auf 4,9 Prozent und sitzt nur dank dreier Direktmandate als Fraktion im Bundestag – sandten die Genossen bei ihrer zweitägigen Fraktionsklausur in der Messestadt eine Trotzreaktion. Nach dem Motto: Jetzt erst recht!

Zweitens: Unterschiedliche Flügel und Strömungen standen eng beieinander. Neue Einigkeit? Wohl kaum, angesichts bestehender inhaltlicher Unterschiede in zentralen Konfliktfeldern wie Klima-, Außen- und Verteidigungspolitik. Jedoch hörte man auf den Gängen des »Radisson Blu« immer wieder, die Diskussionskultur im Salon »Saturn« sei »überraschend« konstruktiv. Sören Pellmann beispielsweise sprach gegenüber »nd« von einer »Fraktion, bei der es wieder Spaß macht, hinzugehen«. Man streite sich inhaltlich, aber auf einer sachlichen Ebene: »Das habe ich so in vier Jahren nicht erlebt.«

Eine Einschätzung, die natürlich mehr über die vergangene denn über die gegenwärtige Lage aussagt. Dennoch lässt sich die Zusammenkunft der auf 39 Abgeordnete geschrumpften Fraktion in den nach Himmelskörpern benannten Tagungsräumen des Leipziger Hotels zumindest in puncto Kommunikation als Versuch eines Neustarts betrachten – wenngleich die mit hartem Aufprall auf dem Hosenboden gelandete Partei nun in der Verantwortung steht, weitere Veränderungen herbeizuführen, um auch in der Wählergunst wieder zu steigen.

Und genau das ist die Frage, die auch nach zwei Tagen im »Radisson Blu« nicht eindeutig beantwortet werden kann: Wie sehr will sich die Linke wirklich verändern? Am Montag hatte die Fraktion ihre beiden Vorsitzenden Dietmar Barsch und Amira Mohamed Ali wiedergewählt. Am Donnerstag, zum Abschluss der Klausur, ergaben sich immerhin ein paar kleine Personalrochaden bei der Wahl des Fraktionsvorstands, der nun deutlich kleiner ausfällt als bisher. Mehrere ehemalige Vorstandsmitglieder, darunter Fabio De Masi und Heike Hänsel, sitzen nicht länger im Bundestag.

Erneut in den Vorstand gewählt wurden Gesine Lötzsch und Susanne Ferschl, neu dabei sind Heidi Reichinnek als frauenpolitische Sprecherin sowie Nicole Gohlke und Ali Al-Dailami. »Eine Mischung aus erfahrenen und neuen Gesichtern«, urteilte Amira Mohamed Ali – zugleich entsteht der Eindruck, als seien die inhaltlichen Stoßrichtungen in den Arbeitskreisen eher weniger verändert worden. Einerseits: In der Innenpolitik gibt es mit dem Wechsel vom ostdeutschen Ex-PDS-Mann André Hahn zur jüngeren westdeutschen Bewegungslinken Gohlke eine deutliche Verschiebung. Andererseits: Sowohl Hänsel als ehemalige Leiterin des Arbeitskreises Außenpolitik als auch ihr Nachfolger Al-Dailami werden zum Wagenknecht-Flügel gerechnet.

Für etwas Aufregung sorgte ein bereits am Mittwoch an die Presse durchgestochenes Papier, das Bartsch und Mohamed Ali den Abgeordneten während der Klausur in Leipzig vorstellten. Wie die »taz« berichtete, soll sich danach die Linke in Zukunft wieder deutlicher auf ihre Schwerpunkte konzentrieren: soziale Sicherheit, Steuergerechtigkeit, gerechter Klimaschutz, Ostpolitik, Frieden. Interessant: Themen wie Antirassismus, Gleichstellung und Migration sollen künftig wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Sie sei »etwas genervt« über den Leak gewesen, sagte Amira Mohamed Ali nach der Klausur. Dietmar Bartsch fügte hinzu, die Partei müsse sich auf ihren »Markenkern« besinnen. Das Problem bei der Bundestagswahl sei gewesen, dass dieser Kern »nicht mehr so sichtbar war«. Auch diese Worte klangen nicht nach großer Umwälzung.

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