Werbung

Täglich Gefechte in der Westsahara

Statt Frieden: Die UN-Mission Minurso beobachtet Kriegshandlungen zwischen Polisario und Marokkos Armee

  • Claudia Altmann, Tindouf
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit 30 Jahren ist die Uno-Friedenstruppe Minurso in der Westsahara stationiert - für einen Friedensplan, der eine Lösung für die letzte Kolonie Afrikas herbeiführen soll. Das Gebiet an der nordwestlichen Atlantikküste wird zu zwei Dritteln von Marokko besetzt gehalten. Den verbleibenden Teil kontrolliert die Befreiungsfront Polisario, die für einen unabhängigen Staat für die sahrauische Bevölkerung kämpft. Ein vorgesehenes Referendum ist drei Jahrzehnte lang nicht zustande gekommen, inzwischen ist auch der 1991 ausgehandelte Waffenstillstand Geschichte. Während die Waffen wieder sprechen, muss der UN-Sicherheitsrat über die Verlängerung des am Sonntag auslaufenden Minurso-Mandats entscheiden.

Bäuchlings kriecht eine Handvoll Polisario-Kämpfer eine mit Geröll übersäte Anhöhe herauf. Unterhalb des Kammes bleiben die Männer liegen und riskieren nur kurz, den Kopf zu heben für einen Blick durchs Fernglas. Vor ihnen und den dahinterliegenden marokkanischen Militärstellungen befindet sich in etwa anderthalb Kilometern Entfernung ein riesiger, mit Radaranlagen bestückter Sandwall. Über 2700 Kilometer trennt er seit den 80er Jahren das 266 000 Quadratkilometer große Territorium und sie selbst von ihrer Heimat, aus der sie und ihre Familien 1975 von Marokko vertrieben wurden. Hinter ihnen liegen die Weiten des befreiten Teils, Wüstenebene so weit das Auge reicht.

Die Kämpfer gehören zu einer Einheit der 6. Militärregion der Polisario in der Gegend von Mahbes, 100 Kilometer westlich der algerischen Grenze. Plötzlich zerreißen Artilleriefeuer und der Donner von Einschlägen hinter der Sandmauer die Stille. Kurz darauf erfolgt der marokkanische Gegenschlag. Die Rauchwolken der Detonationen steigen unweit vom Beobachtungspunkt auf. »Diese Art von Angriffen führen wir seit unserer Aufkündigung des Waffenstillstands vor knapp einem Jahr tagtäglich entlang der Mauer durch«, sagt Hamma Schaddad, Kommandeur der Einheit, zu »nd«. »Die Marokkaner erwidern das Feuer, wenn es in ihren Stellungen Zerstörungen gibt. Wir wissen genau, wie die feindliche Armee hinter dem Wall aufgestellt ist und welche Ziele wir angreifen. Dieses Mal erfolgte der Gegenschlag sofort. Das heißt, wir haben Ziele getroffen.«

Der grauhaarige Schaddad hat bereits im ersten Krieg gekämpft und ist mehrmals verwundet worden. »Letztendlich hat sich herausgestellt, dass dieser Uno-Prozess praktisch zu nichts geführt hat. Deshalb haben wir mit viel Enthusiasmus wieder zu den Waffen gegriffen«, sagt er. Sein Vorgesetzter, Oberbefehlshaber der 6. Militärregion, Bali Hamoudi Nadjem, steht neben ihm und wird noch deutlicher: »Die 29 Jahre Waffenstillstand waren sinnlos. Für mich ist das ein dunkler Fleck in unserer Geschichte. Wir hätten niemals einen Plan akzeptieren dürfen, den im Grunde niemand durchsetzen will. Ohne diese Entscheidung wären wir längst am Ziel«, sagt er entschlossen.

Die Polisario hatte am 14. November vergangenen Jahres den Waffenstillstand für beendet erklärt und kurz darauf die gesamte Westsahara zum Kriegsgebiet erklärt. Offizielle Zahlen über Opfer gibt es nicht. Bisher ist die Rede von etwa 25 toten Polisario-Kämpfern und sahrauischen Zivilisten, vor allem durch marokkanische Drohnenangriffe.

Für Marokko indes findet dieser Krieg offiziell nicht statt. In den täglichen Frontberichten der Sahrauischen Befreiungsarmee heißt es jedoch: »Die marokkanische Besatzungsarmee muss entlang der Mauer der Schande beachtliche materielle und menschliche Verluste hinnehmen.«

Das Königreich Marokko hat die vergangenen Jahre genutzt, um in den besetzten Gebieten vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Infrastruktur wurde massiv ausgebaut und die wirtschaftlichen Aktivitäten auch mit Hilfe ausländischer Firmen forciert. Es geht um wichtige Rohstoffe wie Phosphat und Sand, aber auch um Fisch. Der Uno wirft die Polisario vor, davor wie auch vor den Menschenrechtsverletzungen in den okkupierten Gebieten die Augen zu verschließen; außerdem wolle die Uno die Manöver Marokkos zur Verhinderung eines Referendums nicht sehen und habe nur halbherzig an der Umsetzung des Friedensplans gearbeitet. Deshalb verlangt die Polisario-Führung jetzt Garantien und klare Signale vom UN-Sicherheitsrat.

Der Polisario-Chef und Präsident der Arabischen Demokratischen Sahara-Republik, Brahim Ghali, erneuerte vergangene Woche vor der internationalen Presse die Bereitschaft zu Gesprächen. »Krieg und Verhandlungen schließen sich nicht aus. Der Krieg wurde uns aufgezwungen und ist ein Akt der Selbstverteidigung auf dem Weg zu einem souveränen Staat«, sagte der 73-Jährige. Er gehörte selbst zur ersten Guerillagruppe, die 1973 mit Attacken gegen die damalige Kolonialmacht Spanien die Befreiungsbewegung aus der Taufe gehoben hatte. Seine Worte gingen auch an den neuen UN-Sondergesandten Staffan de Mistura. Dieser soll die Konfliktparteien wieder an einen Tisch bringen. Für den Kommandeur der Region Mahbes dürfte auch dies vertane Zeit sein. Bali Hamoudi Nadjem macht etwas anderes Hoffnung: »Es melden sich viel mehr junge Männer aus den Flüchtlingslagern an die Front, als wir derzeit rekrutieren können.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!