Zwischen Hoffnung und Sehnsucht

Das Filmfest Cottbus ist zurück auf der großen Leinwand und rückt starke Frauen in den Fokus

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.

In Cottbus kehrt das Filmfestival dieses Jahr auf die große Leinwand zurück. Noch bis kommenden Sonntag werden an sieben Spielstätten 170 Filme aus Osteuropa gezeigt. Eine Auswahl davon ist auch online als Stream verfügbar.

Die gezeigten Filme kommen aus 40 verschiedenen Ländern und stehen mit ihren vielen verschiedenen Themen, Stilen und Genres für die kulturelle Vielfalt Osteuropas. Sie geben einen Einblick in das aktuelle gesellschaftliche Leben in den Entstehungsländern. Viele der Filmemacher*innen greifen aktuelle politische Debatten und Kämpfe auf. Der Film »Love Tasting« von Dawid Nickel beschäftigt sich zum Beispiel mit dem Aufwachsen in Polens »LGBT-freien Zonen«.

Neben ernsten und politischen Filmen zeigt das Festival auch viel Unterhaltsames wie Komödien, Actionfilme und mehr oder weniger konventionelle Liebesgeschichten. Die Vorstellung, dass Filme aus Osteuropa meist trist und hoffnungslos seien, wird von der großen Bandbreite der Filmauswahl als Klischee entlarvt. »So viele düstere Filme gibt es da eigentlich gar nicht«, sagt Programmdirektor Bernd Buder. »Es ist jedenfalls kein Film dabei, wo man danach geplättet rausgeht und sagt: Ach, ist die Welt schlecht. Es sind keine Besserwisserfilme. Es sind Filme, die ganz gut beobachten, die Menschen in ihren jeweiligen Situationen darstellen – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Beides gehört ja zusammen, die Hoffnung und die Sehnsucht.«

Einer dieser Filme, die ein bisschen trist und traurig, aber auch schön und sogar ein wenig hoffnungsvoll sind, ist der Eröffnungsfilm »Abteil Nr. 6«. Der finnische Film von Regisseur Juho Kuosmanen wurde in Cannes verdient mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Der ruhige und trotzdem mitreißende Film erzählt eine ungewöhnliche, ziemlich unromantische, aber sehr schöne Liebesgeschichte in einem Zug zwischen Moskau und Murmansk.

Starke Frauen, die sich im Alltag gegen patriarchale Strukturen und konservative Traditionen behaupten müssen, stehen gleich bei mehreren Festivalfilmen im Mittelpunkt. Im Wettbewerb läuft zum Beispiel »Looking for Venera«, der erste Spielfilm der Regisseurin Norika Sefa aus dem Kosovo. Venera ist die Hauptfigur, eine junge Frau, die sich in dem einengenden Umfeld ihrer Familie und der dörflichen Provinz zunehmend unwohl fühlt. Zu Hause bestimmt der Vater, was sie darf und was anständig ist und auf den Straßen ist übergriffiges Verhalten von pubertierenden Jungs alltäglich. Venera findet in ihrer Freundin Dorina ein Vorbild, die Männer nicht über sich bestimmen lässt und ihre Sexualität auslebt, ohne sich um Traditionen zu kümmern. Viel Raum für Selbstbestimmung finden die beiden jungen Frauen allerdings nicht. Der Film gehört nicht zu den Hoffnungsvollsten im Programm, aber er zeigt eindrücklich, wie viel im Kampf gegen Sexismus und Konservatismus noch zu tun ist.

Rebellion gegen einen autoritären Vater und der Wunsch nach Selbstbestimmung sind auch die Themen des russischen Films »In Limbo« von Alexander Hant, der ebenfalls im Wettbewerb läuft. Statt tristem, engem Dorfleben zeigt er allerdings ein rasantes Roadmovie, das Spaß und gute Laune macht, auch wenn man ahnt, dass es nicht gut ausgehen wird. Nachdem die Jugendliche Sascha von ihrem Vater beim Sex erwischt wird, sperrt er sie zu Hause ein. Kurzerhand hauen Sascha und ihr Freund Danny mit Papas Auto ab – inklusive Waffen im Kofferraum. Wenn die beiden ausgelassen lachend und tanzend ihre Freiheit genießen und dazu noch ein großartiger Soundtrack läuft, kann man nicht anders, als mitgerissen zu werden. Ein Film darüber, wie schön das Leben sein könnte und wie hässlich es dann meistens ist. Hier ist auf jeden Fall Kultpotenzial vorhanden.

Alexander Hants zweiter Film im Wettbewerb, der Kurzfilm »Quarantine« ist dagegen allerdings enttäuschend. Es soll ein humorvoller Blick auf die Corona-Pandemie sein: Eine Buchhalterin bricht während des Lockdowns in das eigene Büro ein, um die Löhne an die Mitarbeiter*innen auszuzahlen, und muss dabei allerhand Geschick aufwenden, um nicht vom Wachmann erwischt zu werden. Die Story wirkt gewollt und platt, die Szenen sind übertrieben albern. Auf eine gute filmische Thematisierung der Pandemie müssen wir wahrscheinlich noch ein wenig warten.

Neben den Wettbewerbsfilmen gibt es zwölf weitere Sektionen zu entdecken. Dabei stehen unter anderem zwei Länder im Fokus: In der Sektion »Spotlight Slovensko« werden Filmklassiker und aktuelle Filme aus der Slowakei gezeigt. Alt kommuniziert dabei mit Neu: Jeweils ein Kultfilm aus der Vergangenheit wird einer neueren Produktion mit ähnlichem Thema gegenübergestellt. Die Sektion »Close Up TR« gibt einen Einblick in die aktuelle Filmlandschaft der Türkei.

Schon vor einigen Jahren hat das Festival das Territorium erweitert. Nicht mehr nur die Nachfolgestaaten der ehemals sozialistischen Länder, sondern auch deren Nachbarländer sind in Cottbus vertreten. Das unabhängige türkische Kino, das sich gegen politischen Druck behaupten muss, ist, so Programmdirektor Bernd Buder, »unglaublich spannend, unglaublich kreativ und hierzulande leider noch – obwohl viele Leute mit türkischem Hintergrund hier leben – zu unbekannt«.
Für die, die sehen wollen, wie die Länder Osteuropas ticken, empfiehlt Buder übrigens die Sektion »Hits«. Dort werden Kassenschlager gezeigt, die Filme, die das Publikum in den jeweiligen Ländern mehrheitlich sehen will. Denn es sei eben nicht nur die Kunst, sondern gerade auch der Mainstream, der zeige, was die Menschen umtreibt, meint Buder.

Auf dem Filmfestival Cottbus ist jedenfalls von beidem etwas dabei: Experimentelle Filmkunst und Blockbuster – und alles dazwischen.

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