- Politik
- Corona-Pandemie
Wieder trifft es die Altersheime
Das Coronavirus erreicht verstärkt die vulnerablen Gruppen. Dabei sind geeignete Schutzmaßnahmen bekannt
»Nach Corona-Ausbruch nun 17 Tote in Bad Doberaner Pflegeeinrichtung« - nein, das ist keine Meldung aus der zweiten Covid-Welle zur Jahreswende 2020/21, als das Coronavirus in Deutschland extrem viele Opfer forderte. Dies berichtete dpa an diesem Montag. Das Seniorenzentrum »Am Tempelberg« in der Kleinstadt im Landkreis Rostock teilte mit, dass seit Anfang Oktober 66 der 83 Bewohner positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden seien. Das gelte auch für 35 der 60 Pflegekräfte. Laut der Heimleiterin Jolanta Armbrecht stehe das Haus unter Quarantäne, was Besuchsverbot bedeutet. Mittlerweile gehe es den meisten infizierten Bewohnern aber besser, die Lage entspanne sich langsam.
Die stationäre Pflegeeinrichtung in Bad Doberan ist natürlich kein Einzelfall. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Zahl der aktuellen Corona-Ausbrüche in Altersheimen aktuell auf 13 gestiegen, bundesweit waren es laut dem jüngsten Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) von vergangenem Donnerstag mehr als 120. Das ist besorgniserregend, da bei einer Corona-Infektion das Sterberisiko mit dem Alter rapide ansteigt. Knapp 96 000 Covid-19-Todesfälle sind seit Beginn der Pandemie in Deutschland registriert worden. Laut RKI waren 86 Prozent von ihnen Personen ab 70 Jahren, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung nur etwa 12 Prozent beträgt. Nennenswerte Anteile bei den Todesfällen kommen sonst noch von den 60- bis 69-Jährigen. In den anderen Altersgruppen gibt es, relativ gesehen, sehr wenige Fälle, die vor allem Menschen mit Vorerkrankungen betreffen. Es ist das fiese Erfolgsrezept von Sars-CoV-2, dass das Virus die Jüngeren für die massive Ausbreitung benutzt sowie vor allem die Alten und Kranken hinwegrafft.
Wie dramatisch ist die Lage? Aktuell liegt der Sieben-Tage-Mittelwert bei rund 90 Todesfällen pro Tag. Vor einem Jahr war der Wert ähnlich, dann aber gingen die Todeszahlen durch die Decke und erreichten gegen Weihnachten ihren Höchststand von knapp 900. Experten hoffen, dass in diesem Jahr die hohe Impfquote bei den vulnerablen Gruppen einen ähnlichen Verlauf verhindert. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt sie bei Pflegeheimbewohnern 95 Prozent. Bundesweit sind bei den über 60-Jährigen knapp 84 Prozent vollständig geimpft. Das heißt aber, dass viele ungeschützt sind. Und bei Älteren und Vorerkrankten nimmt der Immunschutz nach einigen Monaten spürbar ab, womit die Gefahr einer schweren Erkrankung steigt. Daher wird eine dritte Impfung zur Auffrischung für diese Gruppen nach einem halben Jahr empfohlen. Bislang haben etwa 1,9 Millionen Menschen diese bekommen, bis zu 20 Millionen sollen es aber werden. In den Altersheimen ist man deutlich weiter - in Mecklenburg etwa liegt die Quote laut Landesregierung bei 80 Prozent.
Neben den positiven Wirkungen des Impfschutzes ist zu hoffen, dass die Politik aus den Fehlern vom vergangenen Jahr lernt. Damals wurde ausgerechnet der Schutz der Altersheime lange Zeit vernachlässigt. Dabei war klar, dass das Risiko gerade dort extrem hoch ist, wo die besonders Gefährdeten eng zusammenleben. Auch der gut gemeinte Ruf, man dürfe die Alten nicht isolieren, wirkte letztlich kontraproduktiv. Auf dem Höhepunkt der Pandemie zur Jahreswende 2020/21 wurde fast die Hälfte aller Coronatoten in den Pflegeheimen registriert, regional war der Anteil noch höher. Als das große Sterben einsetzte, wurden viele Heime letztlich doch komplett dichtgemacht.
Mit den richtigen Maßnahmen ließ sich die Lage in vielen Pflegeheimen aber auch ohne Schließungen wieder in den Griff kriegen. Das eine waren Hygieneregeln und die »nicht pharmakologischen Interventionen« wie etwa das Maskentragen. Vielerorts gab es auch die sogenannte Kohortenbildung - Heimbewohner hatten zu den immer gleichen Leuten Kontakt. Das andere waren Tests aller derer, die das Heim betreten, also Besucher und Pflegekräfte. Bereits damals wurde über eine Impfplicht für Pflegekräfte diskutiert, die jedoch arbeitsrechtlich fragwürdig ist und dank Einhaltung der Maßnahmen auch nicht gebraucht wurde.
Im Grunde sind die Anforderungen nicht viel anders wie vor einem Jahr: »Auch in diesem Herbst und Winter wird sich der Pandemieverlauf in den Alten- und Pflegeheimen entscheiden«, schreibt der Bonner Virologe Hendrik Streeck in einem Beitrag in der »Welt«. Seine Empfehlung: breitflächig eine Booster-Impfung anbieten sowie konsequent und regelmäßig testen.
Es geht aber um mehr: Auch die vielen, die zu Hause gepflegt werden, sind Gefahren ausgesetzt. Hier wie auch in den Altersheimen dürfte zuletzt das Problem gewesen sein, dass manche die Vorkehrungen haben schleifen lassen oder sich wegen Impfungen in trügerischer Sicherheit wiegen. Gerade die vielen 2G-Veranstaltungen in Innenräumen, aber auch das Wegfallen der Maskenpflicht etwa in Schulen dürften die Welle antreiben. Geimpfte merken es zudem oft nicht, wenn sie infiziert sind. Es ist zwar selten, dass sich Geimpfte infizieren und dann auch noch das Virus weitergeben, aber durch die massiv gestiegenen Fallzahlen wird dies zu einem ernsten Problem. Auch bei Geimpften geht es also ums regelmäßige Testen, doch dies wurde zuletzt deutlich seltener gemacht, auch weil dies nicht mehr kostenlos ist.
Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek sagt, es sei »nicht gut, dass das Geld kostet.« Gerade in Pflegeheimen müsse man überlegen, ob man Besucher nicht wieder standardmäßig testen lässt. »Hier sollten Tests liegen für jeden, der reinkommt. Niemand möchte, dass er seine Verwandten gefährdet.«
Ciesek wirbt auch deshalb dafür, weil weniger strenge Regelungen letztlich auf die Krankenhäuser durchschlagen, wie es bereits zu erkennen ist. Zwar weisen die ganz Jungen, insbesondere Schüler, weiterhin die höchsten Inzidenzen auf, aber auch bei den Älteren steigen sie. Mit fatalen Folgen: Wegen des höheren Risikos einer schweren Erkrankung füllen sich die Intensivstationen der Krankenhäuser mittlerweile wieder mit Covid-19-Patienten. 80 Prozent von ihnen sind älter als 50. »Der steigende Inzidenzwert bei den Älteren hat also unmittelbar Auswirkungen auf die Belastung in Kliniken, vor allem auf Unikliniken, in denen Maximalversorgung bereitgestellt werden kann«, sagt Virologin Ciesek.
Lesen Sie auch: Charité warnt vor vollen Intensivstationen -
Trotz steigender Infektionszahlen fehlt es an Kapazitäten und Personal
Letztlich hängt die weitere Entwicklung in diesem Winter davon ab, ob Politik und Gesellschaft zurück zu den bewährten Maßnahmen finden. »Es ist wichtig zu realisieren, dass ein Impfschutz gegen Covid-19 zwar ein wichtiger Baustein zum Schutz vor einer schweren Erkrankung ist, diese allein jedoch keine absolute Sicherheit gibt«, sagt Ralf Reintjes, Professor für Epidemiologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Die Maske wird also weiterhin gebraucht werden. Reintjes hat eine schlichte Empfehlung für die Bundesbürger: »Wenn Sie sich vor einer Infektion schützen wollen, machen Sie es, so weit es geht, wie im letzten Winter!«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.