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Wie die Industrien grün werden sollen
Große Staaten wollen Märkten in fünf Branchen beim Klimaschutz auf die Sprünge helfen
Bei den Weltklimakonferenzen tummeln sich immer auch Wirtschaftsvertreter. Längst vorbei ist die Zeit, in denen Konzerne den Klimawandel leugneten oder Studien dazu unter Verschluss hielten. Heute geben sich viele grün, auch bei der derzeit laufenden UN-Konferenz in Glasgow. Unternehmen stellen hier verschienene grüne Initiativen vor. Viele versprechen, sich am Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu orientieren.
Solche Auftritte haben zwei Funktionen: Zum einen möchte man sich als Klimaschützer darstellen, woran heute kein Weg mehr vorbei führt. Zum anderen erhöht die Teilnahme die Chancen zu verhindern, dass sich die Verhandlungen in eine aus Unternehmenssicht falsche Richtung bewegen. Im Vorfeld der Konferenz wurde enthüllt, dass Kohle-, Öl- und Tierzuchtlobbyisten über »ihre« Regierungen versuchten, einen schwachen Entwurf für die Glasgower Abschlusserklärung zu erreichen.
Bisher verliefen die Klimakonferenzen aus Industriesicht eher unproblematisch: Die Staaten setzten sich politische Klimaziele, um die dann gerungen wurden. Angesichts weiter steigender Treibhausgasemissionen geht es mittlerweile aber auch um die Frage der Umsetzung, und hier rückt die Industrie in den Fokus. Einige Branchen gehören zu den schlimmsten Emittenten von Treibhausgasen, dazu zählen neben dem Energiesektor insbesondere die Stahl- und Zementindustrie sowie die Landwirtschaft. Es ist klar, dass alle staatlichen Klimaziele Schall und Rauch sind, wenn diese Branchen nicht so umgebaut werden, dass sie weitgehend emissionsfrei produzieren.
Auf freiwilliger Basis tut sich hier bisher wenig. Die Hilfsorganisation Oxfam und die Bürgerinitiative Finanzwende haben die Investitionen der deutschen Dax-Konzerne unter die Lupe genommen und mit dem abgeglichen, was notwendig ist, um Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Das ernüchternde Ergebnis: »Alle Unternehmen investieren zu wenig, dabei wären viele dazu problemlos in der Lage - und zwar ohne staatliche Subventionen oder Steuererleichterungen.« Im Transportsektor etwa belaufe sich die Investitionslücke von BMW, Daimler, Volkswagen und Lufthansa auf 13,8 Milliarden Euro pro Jahr. Die Dax-Konzerne, so die Studie, würden ihre Gewinne aber stärker für Ausschüttungen an die Aktionäre und den Ausbau der Finanzreserven verwenden.
Freiwillig läuten die Unternehmen die Klimawende bei sich also nicht ein. Sie verweisen gerne auf ein Problem: Es gebe für klimafreundlich produzierte Waren kaum Märkte, daher seien die Investitionskosten möglicherweise unrentabel. Man verlangt daher öffentliche Fördermittel.
Eine Initiative wichtiger Staaten auf der Konferenz in Glasgow will klimafreundliche Technologien nun durch Koordination und staatliche Instrumente günstiger machen. »Indem wir saubere Technologien zur günstigsten Wahl machen, zur Standardlösung in den derzeit umweltschädlichsten Sektoren, können wir die Emissionen auf der ganzen Welt senken«, erklärte der britische Premier und Gipfelgastgeber Boris Johnson dazu.
Die Initiative orientiert sich am Vorbild der bereits merklich voranschreitenden Elektromobilität. Die Folge: Die Preise für Batterien sind in den vergangenen zehn Jahren um rund 90 Prozent gefallen. Ökonomen erklären dies mit Hilfe eines volkswirtschaftlichen Modells, der sogenannten Lernkurve. Demnach fallen die Kosten mit jeder Verdoppelung der hergestellten Anzahl eines Produkts um einen bestimmten Prozentsatz, weil die Produktion durch Erfahrung immer effizienter und durch die schiere Menge kostengünstiger wird. Dieser Effekt wurde lange Zeit unterschätzt, weswegen die Kosten für Klimaschutz oder klimaverträglichere Produkte überschätzt wurden, wie nicht nur das Beispiel der Batterien, sondern auch der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zeigt.
Viele Technologien stehen aber noch ganz am Anfang ihrer Lernkurve: Dies gilt etwa für grünen Stahl, der mit Hilfe von Wasserstoff und erneuerbaren Energien statt mit Kokskohle hergestellt werden soll. Wenn es gelänge, die Produktion von grünem Stahl schnell zu erhöhen, ließen sich die Kosten ebenso schnell senken. Das ist die Logik hinter fünf Sektorinitiativen, die bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow jetzt auf den Weg gebracht wurden.
Zunächst wurde für die Sektoren Stromerzeugung, Straßenverkehr, Wasserstoff, Stahl und Landwirtschaft jeweils eine sogenannte Breakthrough-Initiative (engl. für Durchbruch) lanciert. Mitglieder dieser Initiativen sind mehr als 40 Staaten, darunter die EU, die USA, China und Indien. Diese decken rund drei Viertel der globalen Wirtschaftsleistung ab. Die Bereitschaft hängt neben dem Erreichen der Klimaziele wohl auch damit zusammen, dass die Staaten gerne Vorreiter dieser Technologien sein wollen und auf Exporterlöse hoffen. Unterstütz wird die Initiative auch von Firmen aus den jeweiligen Branchen, Hersteller wie auch Großabnehmer. Im Stahlbereich haben etwa 25 große Konzerne einen »Käufer-Club« gebildet. Dieser garantiert den Herstellern, dass sie ihren grünen Stahl verkaufen können, selbst wenn dieser anfangs teurer ist als herkömmlich produzierter. Gefördert wird dies durch eine Regierungsmaßnahme: Die EU und die USA gaben beim G20-Gipfel bekannt, dass sie ihre Zölle auf grünen Stahl abschaffen.
Für Nigel Topping vom britischen Team der Konferenzpräsidentschaft ist dieses Modell gar die wichtigste Aufgabe künftiger Klimadiplomatie: »Genau darum geht es bei der Zukunft der UN-Klimakonferenzen: eine Ambitionsschleife in Gang zu setzen zwischen politischer Führung und der Dynamik des Privatsektors.« Ähnlich sieht das Nick Mabey vom britischen Umweltthinktank E3G, der im Hinblick auf die Initiativen sagte, diese brächten »den Klimawandel aus den Verhandlungsräumen in die reale Wirtschaft«.
Wie wichtig das ist, zeigt eine Studie, die parallel zu den Initiativen veröffentlicht wurde. Darin heißt es: »Staatliche Maßnahmen zur Gestaltung von Märkten für saubere Technologien sind der Schlüssel, um den raschen Wandel voranzutreiben, der notwendig ist, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.« Oder anders ausgedrückt: Der Markt allein wird es nicht richten. Daher erfordere die Verwirklichung von Netto-Null ein »ausgefeilteres wirtschaftliches Verständnis von Innovation und Übergang«.
Kritiker verweisen indes auf das Problem, dass manche Technologien, deren Markteinführung jetzt mit staatlicher Hilfe vorangebracht werden soll, sich noch im Experimentierstadium befinden und gar nicht klar ist, ob sie überhaupt einen Beitrag zur Klimawende in Zukunft bringen können. Das gilt etwa für die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid, auf die zahlreiche Industrien schielen. Fraglich ist zudem, ob der riesige Bedarf einer ergrünten Stahlindustrie an Strom aus erneuerbaren Quellen überhaupt zu decken ist. Und dann gibt es ja noch den Streit darum, ob die Atomkraft als klimafreundliche Technologie gefördert werden soll.
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