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Glasgows dunkle Stadtgeschichte

Im Austragungsort der diesjährigen Weltklimakonferenz finden sich zahlreiche Spuren der fossilen Wirtschaft und der kolonialen Vergangenheit

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 5 Min.

Während der laufenden UN-Klimakonferenz COP 26 im Scottish Exhibition Center in Glasgow präsentiert sich die Metropole als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Lokale Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe »Glasgow Calls Out Polluters« (Glasgow stellt Verschmutzer zur Rede) hält wenig von solchem »Greenwashing«. Sie zeigen lieber bei einer »Toxic Tour« internationalen Besucher*innen die umwelt- und sozialpolitischen Schattenseiten der Stadtgeschichte: Die »toxische« Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werde beschönigt, heißt es in der Einladung zu der alternativen Stadtführung, bei der man nicht mit Segways-Rollern von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten schwebt. »Trotz unserer Kampagnen, die Umweltverschmutzer rauszuschmeißen, scheint die COP 26 eine Spielwiese für große Umweltverschmutzer zu sein.« Neben einigen Sponsorfirmen der UN-Konferenz steht auch Glasgows dunkle Vergangenheit von Sklaverei und fossiler Brennstoffwirtschaft im Fokus.

Beginn der Stadtführung, bei denen der pandemiebedingte Mindestabstand eingehalten wird, ist am Walter Scott Monument am George Square, einem der zentralen Plätze der 630 000-Einwohner-Stadt. Von den zwölf Statuen auf dem George Square haben mindestens zehn einen »Bezug zu Industrialisierung, Extraktivismus oder Kolonialisierung«, erläutern die Tourguides Louise und Pasco. Nach Robert Peel ist das Unternehmen Peel Ports benannt, über dessen Häfen große Mengen fossiler Brennstoffe transportiert wurden und werden. James Watt wiederum habe durch die Verbesserung des Wirkungsgrads der Dampfmaschine die industrielle Revolution beschleunigt, die auch den Beginn des sich bis heute verschärfenden Klimawandels markierte.

In den City Chambers am anderen Ende des Platzes treffen sich Glasgows Stadtverordnete. Hier begannen im Jahr 2014 heftige Debatten, nachdem sich eine Gruppe von Studenten in einer monatelangen Kampagne erfolgreich für das »Divestment« der Universität Glasgow aus der fossilen Brennstoffindustrie eingesetzt hatte. Sie war damit die erste Uni Europas, die diesen Weg beschritt, und zog 18 Millionen Pfund (etwa 21 Millionen Euro) Anlagegeld aus solchen Unternehmen ab. In den City Chambers wurde daraufhin diskutiert, ob der Strathclyde Pension Fund dem Beispiel folgen sollte. Die Rentenkasse der Stadtverwaltung von Glasgow ist eine der größten im Vereinigten Königreich. Friends of the Earth Scotland beziffert deren Investitionen in Kohle-, Öl- und Gasunternehmen auf 508 Millionen Pfund. Letztlich dauerte es sieben Jahre, bis die Stadtverordneten im April 2021 für das »Divestment« stimmten. Und der Anlageplan des Strathclyde Pension Fund wurde bis heute nicht überarbeitet. »Sie sollten lieber in Sozialwohnungen und erneuerbare Energien investieren«, kritisiert Pasco.

Am Museum of Modern Art begrüßt Nelson Cummins von der Coalition for Racial Equality and Rights (CRER) die Gruppe neben der Reiterstatue des ersten Duke auf Wellington, Arthur Wellesley. Die Antirassismus-Organisation setzt sich für die Aufklärung der Verbindungen Schottlands zur Sklaverei ein. Die Statue ist eines der Wahrzeichen Glasgows und findet sich auch auf offiziellen COP-26-Werbeflyern. Vielen Tourist*innen bleibt der Duke durch den neon-roten Absperrkegel in Erinnerung, der auf seinem Kopf sitzt. Was sie nicht wissen: Wellesley hat Verbindungen zur Sklaverei in Indien, wie Nelson Cummins erläutert. Das sei nur eines von vielen Beispielen für die Verschleierung der brutalen Geschichte der Stadt Glasgow. Diese wurde erst durch den Sklavenhandel bis Ende des 18. Jahrhunderts zur bedeutenden Hafenstadt, so sehr war die damalige Wirtschaft darauf ausgerichtet. Viele der gehandelten Sklaven, so Cummmins, seien auf einer Plantage in der Karibik gelandet - einer von dreien überlebte die ersten drei Arbeitsjahre dort nicht.

Zurück in die Gegenwart: Zu den Hauptsponsoren der COP 26 gehört Scottish Power. Das Energieunternehmen mit Sitz in Glasgow hat zwar »zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umgestellt«, wie man wirbt. Allerdings ist Scottish Power eine Tochterfirma des spanischen Energiekonzerns Iberdrola. Auch er ist Sponsor der COP 26 - und zwar der mit den höchsten CO2-Emissionen, wie »Glasgow Calls Out Polluters« herausgefunden hat. Und das Geschäft mit den Erneuerbaren ist auch alles andere als vorbildlich. Iberdrola betreibt einen Windkraftpark in Mexiko. Von Landraub berichtet Rosa Marina Cruz vom Indigenennetzwerk Futuros Indígenas. »Solche Megaprojekte für Windkraftanlagen sind keine Lösungen, sondern sie gefährden unsere Gemeinden.« Die 2000 Windräder in dieser Anlage produzierten Energie für andere Unternehmen. »Aber wir Indigene bekommen davon nichts ab. Und sind zudem bei den Folgen des Klimawandels auf uns alleine gestellt.«

Die letzte Station der Führung sollte eine Glasgower Filiale der britischen Großbank Barclays sein. Diese hat, seit Ende 2015 das Pariser Weltklimaabkommen unterzeichnet wurde, noch 144 Milliarden US-Dollar in fossile Unternehmen investiert. Unter anderem finanziert Barclays die Drax Group, die in Nordengland nahe der Stadt Selby ein ehemaliges Steinkohlekraftwerk betreibt, das mittlerweile mit Holzabfällen befeuert wird. Die Lebensqualität in den umliegenden Orten hat sich dadurch aber nicht verbessert. Eine Aktivistin berichtet von gesundheitsschädlichen Feinstaubemissionen.

Geschildert wird dies aber nicht vor der Barclays-Filiale, denn die Polizei verbietet der Gruppe, sich der Bank zu nähern. Britische Einsatzkräfte sind während der gesamten Stadtführung präsent. Als sich die Teilnehmer*innen auf dem Weg zum Museum of Modern Art weigern, den weiteren Verlauf der Stadtrundführung bekanntzugeben, wird die Gruppe vorübergehend gestoppelt und eingekesselt. Von da an ist die Stimmung angespannt. Tourguide Pasco scherzt, die Polizei sorge sich natürlich nur um die Sicherheit der Teilnehmenden.

Ohnehin ist die starke Polizeipräsenz in der Stadt den Konferenzbeobachter*innen längst aufgefallen. Am Mittwoch wurde eine Demonstration von Einsatzkräften umzingelt. Am Donnerstag veröffentlichten Aktivist*innen einen offenen Brief, in dem sie die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon aufforderten, wegen »zahlreicher Vorfälle von Machtmissbrauch« zu intervenieren. Unter anderem sollen Polizisten einer Gruppe Aktivisten bis zu ihrer Unterkunft im 80 Kilometer entfernten Edinburgh gefolgt sein. Offenbar ist kritische Öffentlichkeit während der Klimakonferenz nicht wirklich erwünscht - auch das gehört nun zu den Schattenseiten Glasgows.

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