Kommt Zeit, kommt Dath

Nach 25 Jahren erscheint eine Neuausgabe von Dietmar Daths Debütroman »Cordula killt Dich!«

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 7 Min.

Dietmar Dath hat die wundersame Fähigkeit, Sachen zu veröffentlichen, die da, wo sie erscheinen, eigentlich gar nicht hingehören. So lobte er in der »FAZ« Lenin und im linken Popmagazin »Testcard« Burzum. Heute, wo jeder Ausbruch aus den Sitten des bürgerlichen Verblödungs-Diskurses, also überhaupt jeder Gedanke schon als Gemeinheit aufgefasst wird, nennen die Fantasielosesten so etwas »trollen«.

Mit »Cordula killt Dich! Oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini« (im Folgenden: CKD) hatte Dath 1995 ein ganzes Buch veröffentlicht, das »da« nicht hingehört. Es existierte bereits vor seinem Verlag, der von Jörg Sundermeier und Werner Labisch zunächst nur zum Schein gegründet wurde, um an das Manuskript zu kommen. Daher auch sein Name: Verbrecher Verlag. Werke, zeigt das, die unbedingt in der Welt sein wollen, finden ihren Weg in diese. CKD wurde gebraucht - und so war es da.

Die Handlung ist noch das Konventionellste am Buch. Die geniale Komponistin Cordula Späth, Mitbewohnerin des Erzählers Dietmar Dath, verschwindet. Mutmaßlich fiel sie aus dem Fenster, aber von ihr bleibt keine Spur. Die Nachforschungen und Widerfahrnisse der zurückgebliebenen Freunde bilden den Rahmen des weiteren Roman-Geschehens.

Doch schon das Wort Roman ist irreführend, weil CKD Erzählung (Leben) und Essay (Denken) in einem darstellt: Linke Theorie, Lebenswelt-Bericht und Science-Fiction-Story werden miteinander verwoben. Das Buch erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern auch seine eigene Entstehung; fortlaufend berichtet es in sich selbst vom aktuellen Stand des eigenen Geschriebenwerdens. Damit kann CKD getrost in eine Reihe mit Meta-Romanen wie Goethes »Wilhelm Meister«, Rainald Goetz’ »Irre«, Italo Calvinos »Wenn ein Reisender in einer Winternacht« und Mark Z. Danielewskis »Das Haus« gestellt werden. Umso beachtlicher, als der damals erst 25-jährige Autor mit einer Unbekümmertheit bei gleichzeitiger Gedankentiefe schreibt, gegen die selbst jene Klassiker ungelenk erscheinen. So hätte Pop-Literatur einmal aussehen können, hätte sie gewollt und gekonnt.

Erzählt wird etwa von einem Bekannten aus dem Dorf, der »versuchte vor den Augen seiner fetten Mutter, sich im Wohnzimmer in der engen, von vier Personen bewohnten Wohnung ein langes Brotmesser, das im Kaufhof auf der Kaiser-Josef-Straße vor zwei Jahren gekauft worden war, in die Lunge zu stechen, um so zu sterben, statt dessen kam Blut in die Lunge und er fiel um und das Gehirn bekam irgendwie zu wenig Sauerstoff und jetzt muß er weiterleben mit einem Hirnschaden. Ich war gestern bei ihm im Krankenhaus, er hat nur Scheiße geredet und es war schwer verständlich.«

Ein Mitleid erheischen wollender Betroffenheitston von heute so verbreiteten, als Literatur ausgegebenen Leidbekundungspamphleten ist dem Buch fremd; solche Episoden sind hier nebenbei eingeworfen. Sie dienen nicht dazu, den Autor als besonders sensibel oder kümmernd oder moralisch einwandfrei vorzuspiegeln, sondern gehören einfach zu seinem Leben. In CKD »wird die Scheiße« nicht »auch noch seelenvoll« (Marx über Kunst), sondern sie bleibt Scheiße - unheilvoll und unverfälscht. Die Drastik in den Künsten, für deren Verteidigung Dath seit langem streitet, existiert eben auch jenseits von Horrorfilmen und muss nicht erst angelesen werden: Drastik ist das Leben selbst.

Dieses aber wird in CKD nicht einfach bloß ins Buch abgeschoben, sondern mit der öffentlichen Existenz des Autors vermittelt. Es ist damit vor allem auch ein Buch über die linke Medien-Bubble der 90er. Dath erzählt von seinem damaligen journalistischen Wirkungskreis - den Zeitschriften »Spex«, »Konkret« und »Titanic« - wie von einer Familie; die üblichen Familienstreits inklusive.

Gegenüber dem damaligen »Konkret«-Chefredakteur etwa befindet er in einem mehrseitigen Fax, das als eigenes Kapitel komplett ins Buch gedruckt wurde, »daß es unversöhnliche Gegensätze sind«, zwischen ihm und der »Konkret«, die er »in einem Anfall von Trauer eine ›tote, tote, tote‹ Zeitschrift genannt habe (...). Vielleicht ist das der ganze dumme Kern eines Pudels, den ich schon aus Titanic-Kreisen kenne, und der dort seit Jahren versucht, immer mal wieder an mir satirisch und polemisch zu werden. Aber daraus wird nichts, denn manche sind faul, andere aber wirklich tot. Hirntot.«

Zwei Jahrzehnte später hat sich als Voraussage erwiesen, was damals schon berechtigtes Unbehagen war: Für die »Spex«, deren Chefredakteur - also Familienoberhaupt - Dath dann Ende der 90er für ein gutes Jahr wurde, bevor sie langsam einging, findet er ähnlich deutliche Worte, wenn er von heute rückblickend im Anhang den »sogenannten ›Pop‹« aufgreift als jene »Sauerei, die damals, Mitte der Neunziger, eine Klammer bilden sollte um einerseits Sachen, die Friseurlehrlinge und Schraubendreherinnen am Band mögen, und andererseits Sachen, die von allen möglichen und denkbaren Menschen irgendwo irgendwann nur Opfern der Hirnzerstörungen an westdeutschen Gymnasien zwischen 1965 und 1985 gefallen konnten, und, ja, die Benennung dieses heterogenen Sachenhaufens als ›Pop‹ zum Zweck nicht erst der späteren Geschichts-, sondern bereits Gegenwartsfälschung, diese ganze ›Spex‹- Lüge eben«.

Solches Urteil ist nicht bloße Beschimpfung von außen, sondern fußt auf Daths eigener Erfahrung wie seinem marxistischem Weltverständnis: Im Roman »Phonon« (2001), der Aufarbeitung seiner »Spex«-Zeit, wird er noch deutlicher: Hier verbietet Cordula Späth dem Redakteur jede Kritik ihrer Platten sowie ein Interview mit den an die Redaktion ausgerichteten Worten: »Intellektuelle, deren Äußerungen man nicht ansieht, dass sie zur Not bereit wären, die Welt zu regieren, sollten das Maul halten.«

Fünf zusätzliche Kapitel in der Neuausgabe präsentieren dann noch die Pointe auf einen Witz, den nicht verstehen kann, wer denkt, dass es bei Witzen nur um Spaß geht. Dath lädt sich dort selbst vors Standgericht: Er habe »eine Literatur absichtlich zerstottert und dafür auch noch die Traditionen der New Wave in der Science Fiction verantwortlich machen wollen«, und »damit den lumpenmodernistischen Abdruckbegrifff von Wirklichkeitsgestaltung bedient, demzufolge die Kunst kaputt sein soll, weil sie von einer kaputten Welt handelt. Er hat gelogen, um mitzuspielen.« Hier irrt er aber. Denn im Buch kritisieren sich Roman und Autor ständig selbst. CKD ist gar nicht kaputt, sondern bildet den Kampf eines Autors mit seinem Roman ab - am Ende gewinnt das Buch. Und das ist ein rundes Ganzes, keine romantische Inkonsequenz oder ein Dilettantismus zu überdecken suchender Fragmentarismus, wie er heute wieder in Mode ist - nicht zuletzt in jener »Literaturhaus-Literatur« (Dath) gegen die CKD ein so wirksames Gegengift ist.

Im Gerichtsprozess wird der Roman als eine Art Vorläufer des heutigen Social-Media-Kitschs verurteilt. Nichts könnte ferner liegen: Das Gute an Social Media wäre an sich, dass das verwirrte Wort-Erbrechen jammernder Langweiler eben nicht mehr in Bücher gedruckt und als Literatur ausgegeben werden müsste, sondern da bliebe, wo es hingehört: In die halböffentliche Medien-Mischwurst. So könnte es in der Literatur wieder um Interessanteres gehen. Nur bleibt das Zeug ja nicht im Netz, sondern wird zunehmend in Zeitungen und Büchern recycelt. Solch ein Literaturbetrieb muss CKD und andere Dath-Bücher notwendig als Fremdkörper wahrnehmen - obwohl sie das Normalste der Welt sind.

Heute, wo Großverlage Romane, die der Markt erfordert, am Reißbrett planen und Texter, die diese dann umzusetzen haben, glauben, sie hätten mit dem Aneinanderreihen ihrer dem Social-Media-Jargon entnommenen, augenzwinkernden Anspielungen auf den tagesaktuellen Abhub von Milieu-Erfahrung und bundesdeutschen Slacker-Alltags bereits Literatur geschrieben, wirkt Daths Debüt wie aus einer fremden Welt. Aber selbst in der BRD gab es einmal eine Pop- und Drastik-Tradition: Hubert Fichte, Gisela Elsner, Fritz Zorn, Bernward Vesper, Clara Drechsler und Wolfgang Welt zum Beispiel. Dath nennt zudem US-amerikanische Fantastik wie die von Harlan Ellison oder Storm Constantine als Vorbild.

Der Autor von Daths Lieblingsbuch »Legende« wiederum, Ronald M. Schernikau, befand, dass 1989 in Deutschland die Konterrevolution gesiegt hat und bezweifelte, »dass man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können«. Dath kann Bücher schreiben.

Dietmar Dath: Cordula killt Dich! Oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Verbrecher Verlag, 376 S., geb., 24 €.

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