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»Mein lieber Engel«
Anna Dostojewskaja: Die Frau an Fjodor Dostojewskis Seite
Ein rettender Engel ist Anna Grigorjewna Snitkina für den Schriftsteller vom ersten Augenblick an gewesen. Wäre sie am 4. Oktober 1866 nicht als Stenografin bei ihm erschienen, hätte er »Der Spieler« nicht fertigbekommen. Aber er stand in seines Verlegers Schuld. Sie kamen einander näher. Am 9. Dezember nennt er sie in einem Brief schon »meine liebe Anja« und schließt mit einer Liebeserklärung: »Du bist meine ganze Zukunft - Hoffnung und Glaube und Glück und Seligkeit - alles.« Wie die offene Zuwendung des bewunderten Schriftstellers sie damals als 20-Jährige betörte, bekennt Anna Dostojewskaja in ihren Erinnerungen. Er vertraute ihr seine Sorgen an, sie spürte, dass er sie brauchte.
Das war die Formel ihrer Ehe, die am 15. Februar 1867 geschlossen wurde und bis zu Dostojewskis Tod am 9. Februar 1881 unangefochten blieb. Das war die Stimmung auch der Briefe, die jetzt in einem schönen Band im Aufbau Verlag erschienen sind. Voller Gefühl wendet er sich dieser Frau zu, die 24 Jahre jünger war als er, klug und zudem begüterter als er, denn allzu oft ist er in Nöten. Schon als sie sich kennenlernten, hat er ihr seine Epilepsie gebeichtet und seine Schulden nach dem Tod seines Bruders, mit dem er eine Zeitschrift gegründet hatte, die bankrottging. In welchem Maß »Der Spieler« autobiografisch war, sollte Anna bald erkennen. »Ich habe ein Verbrechen begangen, ich habe alles verspielt, was du mir geschickt hast …« , schrieb er ihr am 24. Mai 1867 aus Bad Homburg. Wie viel Asche schüttet er sich da aufs Haupt, um am 4. April 1868 aus dem Schweizerischen Saxon les Bains zu bekennen, in einer halben Stunde alles verspielt zu haben. »Hilf mir, mein rettender Engel.« Sie half natürlich. Und am 28. April 1871 wieder so ein Bettelbrief, diesmal aus Wiesbaden: »Anja, rette mich ein letztes Mal.«
Immerhin konnte er seine Spielsucht überwinden. Für »Die Dämonen« bekam er einen beträchtlichen Vorschuss von 1000 Rubel. Aber insgesamt ist in dem Briefband weniger von des Autors Schaffensproblemen als von seinen privaten Angelegenheiten die Rede. Liebevolle Briefe wechseln von St. Petersburg, wo sich Anna mit ihrer kranken Tochter Ljuba aufhielt, nach Starja Russa, wo ihr Mann in einem Sommerhaus arbeitete, oder nach Bad Ems, wo er sich wegen eines Lungenemphysems zu Kur befand. Von seinen Briefen, die sie treulich aufbewahrte, gibt es mehr als von ihren.
Sie verstand sich als Hüterin von Dostojewskis Lebenswerk. Sie blieb seine Stenografin, wurde seine Korrektorin und Lektorin, später gründete sie ihm zuliebe sogar einen Verlag. 1910, 29 Jahre nach dem Tod ihres Mannes, begann sie an dem Buch »Mein Leben mit Fjodor Dostojewski« zu arbeiten, nachdem sie sich noch einmal in dessen Notizbücher und ihre stenografischen Aufzeichnungen vertieft hatte. Mit großer Genauigkeit folgt sie ihren Erinnerungen. Dabei lässt sie einerseits durchaus in ihre Gefühle blicken, gibt sich aber andererseits Mühe, ihren Mann nicht bloßzustellen. Vielmehr hält sie ihm zugute, was ihn schmerzte: die ständige Armut und dass reichere Schriftsteller (Tolstoi, Turgenjew) ein höheres Ansehen hatten als er, bessere Honorare erhielten, nicht um Veröffentlichungen betteln mussten. Wie schwer sie es hatte - der Tod ihrer Kinder Sofia (1868) und Alexej (1878), nur Ljubow und Fjodor konnten sie überleben -, die als Retterin ihres Mannes ständig im Dienst gewesen ist, bekennt sie ohne Klage. In genauer, bilderreicher Sprache malt sie ein Bild ihrer Zeit, in die wir uns hineinversetzen können.
Fjodor Dostojewski/Anna Dostojewskaja: Ich denke immer nur an dich. Eine Liebe in Briefen. A. d. Rus. v. Brigitta Schröder, überarbeitet u. mit einem Anhang von Ganna Maria Braungardt, Auswahl u. Kapiteltexte von Nora Samhouri. Aufbau Verlag, 333 S., geb., 22 €.
Anna Dostojewskaja: Mein Leben mit Fjodor Dostojewski. Erinnerungen. A. d. Rus. v. Brigitta Schröder. Aufbau Verlag, 565 S., geb., 26 €.
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