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Neuer Impfturbo nötig
Bei der wichtigsten Pandemiemaßnahme stockt es – nicht nur, weil ein Regierungswechsel ansteht
Die Ampel-Koalitionäre sind nicht zu beneiden. In Zeiten einer neuen Pandemiewelle befinden sie sich quasi in der Warteposition und müssen das Agieren des amtierenden Gesundheitsministers ansehen, ohne selbst zügig neue Maßnahmen anstoßen zu können. Noch komplizierter wird das regierungstechnisch, da mit der SPD eine Partei sowohl in der alten als auch in der absehbar neuen Regierung vertreten ist. Das ergibt zusätzliche Bremseffekte.
Zu den drängendsten Fragen gehört angesichts täglich neuer Rekorde bei den 7-Tage-Inzidenzen, wie die Impfkampagne wieder beschleunigt werden kann, einschließlich der Auffrischungsimmunisierungen, deren Start, bundesweit variabel, recht zögerlich verläuft. Aber selbst beim Thema Impfen müssen Regierende in Bund und Ländern, teils selbst verschuldet, mit vielen losen Enden klar kommen. Zunächst wäre da die Frage, wer geimpft werden soll. Hier empfiehlt etwa der Nationale Ethikrat seit Ende der Woche, dass eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen zu prüfen wäre, was also suggeriert, dass es damit so einfach auch nicht ist. Sprich, bis zum Ende der Prüfung wird Zeit vergehen.
Impfbedarf gibt es zudem erneut, wie schon in den vorherigen Wellen, bei Hochaltrigen und Menschen mit geschwächtem Immunsystem, weiter dann bei Personen mit bestimmten chronischen Erkrankungen und Behinderungen. Hier geht es zum großen Teil um die Auffrischungsimpfung, deren Notwendigkeit schon seit Wochen immer klarer aufscheint. Aber statt das Boostern durch Maßnahmen oder gebündelte Ressourcen zu fördern, wird das teils dem Selbstlauf oder der Initiative von Ärzten und lokaler Politik überlassen. Stand letzten Donnerstag hatten 3,6 Millionen Menschen ihre Boosterimpfung erhalten.
Allerdings sind etwa 16 Millionen Menschen ab 18 Jahren hierzulande überhaupt nicht geimpft. Die Entschlossenheit scheint gerade nicht sehr groß, hiervon noch einen größeren Teil von der Maßnahme zu überzeugen – selbst angesichts von Daten wie jenen, die in der vergangenen Woche aus dem US-Bundesstaat Texas bekanntwurden. Demnach haben Ungeimpfte im Vergleich zu Geimpften ein 20-mal höheres Sterberisiko. Dieses variiert noch einmal in den Altersgruppen. Bei den 40- bis 49-jährigen Covid-19-Kranken ist das Sterberisiko der Ungeimpften sogar 55-mal höher, bei jenen ab 75 immer noch 12-mal. Das berichtete das Texas-Department of State Health Services. Ausgewertet wurden dafür Registerdaten von Covid-19-Patienten vom September dieses Jahres, und zwar Laborbefunde, Sterbebescheinigungen und Impfzertifikate. Ungeimpfte hatten demnach im Vergleich zu vollständig Geimpften auch ein 13-fach höheres Risiko, sich mit Sars-CoV-2 zu infizieren.
Derartige Argumente scheinen aber bei in Deutschland freiwillig Ungeimpften nicht zu verfangen. Eher berufen sie sich mit Vehemenz auf den Teil der Geimpften, die sich jetzt infizieren, im Krankenhaus oder sogar auf der Intensivstation versorgt werden müssen (obwohl ihr Anteil deutlich geringer ist als der der Nicht-Geimpften).
Auch die Politik setzte offensichtlich eher auf die zermürbende Wirkung von 2G oder 2G plus, das am Ende alle einschließlich der Geimpften frustriert. Das Thema eines neuen Lockdown wird vermieden und eine allgemeine Impfpflicht ausgeschlossen, so unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Da inzwischen genug Impfstoffe vorrätig sind, bleibt vor allem eine ganz wesentliche Frage beim Impfen: Wer soll das tun? Die Hausärzte etwa sind dazu bereit, teils auch niedergelassene Fachärzte. Für die ambulante Medizin wehrte sich in der vergangenen Woche die Kassenärztliche Bundesvereinigung vehement dagegen, Praxen zu einem Einladungsverfahren zu verpflichten. Hausärzte waren und sind auch völlig ohne Corona gut ausgelastet. Es ist für diese Praxen schon genug geleistet, wenn sie die Impfwilligen mit dem Booster oder auch mit späten Erstimpfungen versorgen. In den besten Zeiten der inzwischen abgeflauten Impfkampagne haben niedergelassene Ärzte rund 3,4 Millionen Impfungen pro Woche oder 13,5 Millionen pro Monat bewältigt. Ob der dafür nötige Kraftaufwand in den Hochzeiten der saisonalen Atemwegserkrankungen noch einmal gestemmt werden kann, ist relativ unwahrscheinlich. Eher sollte es darum gehen, den Praxen das Immunisieren zu erleichtern. Dabei könnten Einzeldosen von Impfstoffen schon hilfreich sein.
Für Immunisierungen außerhalb von Arztpraxen muss jedoch die Infrastruktur wieder hoch gefahren werden. Da man aber etwa bei der Stärkung der Gesundheitsämter auch noch nicht sehr weit gekommen ist, dürfte das noch dauern. Es sei denn, in diesen Bereich werden noch einmal massiv Ressourcen konzentriert, einschließlich des Einsatzes etwa von Bundeswehrsoldaten.
Dennoch: Der Schutz der Impfungen setzt nicht ad hoc ein, sondern zeitversetzt erst nach 14 Tagen, variabel noch einmal danach, um die wievielte Impfung der Person es sich handelt. Und 14 Tage können bei dem aktuellen Anstieg der Ansteckungszahlen sehr lang sein. Ist das Virus also noch einzuholen?
Auf dem Glatteis von 2G sollte sich niemand zu sicher sein, da die Delta-Variante des Virus auch von bereits Geimpften und sogar Genesenen übertragen werden und bei diesen die Krankheit auslösen kann. Insofern ist es folgerichtig, dass die Ampel-Koalitionäre am Freitag kurzfristig ein Impf-Panel organisierten. Durch die Sichtung von aktuellen großen Studien und im Austausch mit den für Impfungen und Impfaufklärung Verantwortlichen soll kurzfristig entschieden werden, wie noch einmal etwas Schwung in den wichtigsten Bereich der Pandemieabwehr gebracht werden kann. Erwogen werden dabei unter anderem Auffrischungsimpfungen in Apotheken. Für Influenza-Impfungen gibt es bereits Pilotprojekte an diesen Orten. Deren Ergebnisse scheinen ermutigend zu sein. Aber auch für das Impf-Panel gilt: Entscheidend ist, wie schnell die Empfehlungen umgesetzt werden können.
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