- Berlin
- Streik bei der Arbeiterwohlfahrt
Eltern und Kinder demonstrieren für die Löhne der Erzieher
Wegen eines achttägigen Warnstreiks bei der Berliner Arbeiterwohlfahrt sind viele Kindertagesstätten geschlossen
»Löhne rauf, Kita auf!« Juliane Zacher ruft ins Megafon, hält das Mikrofon danach dem Kind vor die Nase, das neben ihr im Bollerwagen sitzt. »Löhne an«, ruft das Kind zögerlich. Die Zuhörer lachen. Beim nächsten Mal klappt es besser. Gut 120 Eltern und Kinder ziehen auf dem Gehweg am Berliner Südstern zur Landeszentrale der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Kreuzberger Blücherstraße. Ausnahmsweise gehen die Kinder und Eltern bei dieser Demonstration sogar bei Rot über die Straße. Die Polizei ist präsent und sichert die Kreuzungen mit ihren Motorrädern ab.
Der Anlass: Viele Kitas der AWO sind geschlossen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte zum achttägigen Warnstreik aufgerufen, weil die Tarifverhandlungen feststecken. Juliane Zacher ist Teil einer Elterngruppe aus der Kreuzberger Kita »Löwenzahn«, die ganz in der Nähe der AWO-Zentrale liegt. Sie hat zwei Kinder in der Kindertagesstätte.
»Nach eineinhalb Jahren Pandemie sind viele Eltern mit ihrer Weisheit am Ende. Viele jonglieren mit ihrer Arbeit oder mit ihrer Selbstständigkeit«, sagt Zacher am Ziel zu AWO-Landesgeschäftsführer Oliver Bürgel. Sie fordert »eine verlässliche Betreuung für unsere Kinder«. Bürgel stellt sich vor dem Haupteingang den Demonstrierenden. »Wir hätten ja weiter verhandelt, aber Verdi wollte lieber streiken«, erklärt Bürgel - was die Anwesenden mit Pfiffen und Buhrufen quittieren. Bürgel verweist auf die neue Verhandlungsrunde in der kommenden Woche.
Einige Streikende laufen im Demonstrationszug mit. Sie sind an den neongelben Streikwesten der Gewerkschaft Verdi zu erkennen. »Der Streik steht«, erzählt Erzieherin Tanja Joppe. Sie ist in Schöneberg eingesetzt und Mitglied der Tarifkommission, des von den Verdi-Mitgliedern gewählten Gremiums, das über den Fortgang der Tarifverhandlungen entscheidet. Die Forderung der Beschäftigten ist klar: Angleichung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Reihum sind Kitas für einzelne Tage geschlossen. Bei der Kita von Joppe ist es mehr als das. »Bei uns sind viele in der Gewerkschaft Mitglied, wir streiken die acht Tage durch«, sagt sie.
Juliane Zacher hatte vor zwei Wochen zusammen mit anderen Eltern angefangen, den Protest zu organisieren. »Wir waren schon einmal hier, als die Streiks drohten«, so Zacher. Die Zahl der protestierenden Eltern sei seitdem deutlich gestiegen. »Wir haben inzwischen Kontakte zu vielen Eltern aus anderen Kitas«, sagt Niels Schagen, der auch zwei Kinder im Kitaalter hat.
»Die AWO bietet gerade in Schritten 92,5 Prozent an, das reicht nicht«, sagt Verdi-Sekretär Max Bitzer. Überdies sei das AWO-Angebot »statisch«, es orientiere sich an den Entgelten von 2021. Vom Ergebnis in der laufenden Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder hätten die Beschäftigten nichts. Die Einkommensunterschiede zum öffentlichen Dienst liegen derzeit je nach Lohngruppe zwischen sieben und zehn Prozent. Das bedeutet teilweise mehrere Hundert Euro weniger im Monat. »Die Beschäftigten kämpfen seit Jahren immer wieder, um wenigstens mit den Entgelten im öffentlichen Dienst Schritt zu halten«, erklärt Bitzer. »Der Senat sagt, wenn die Träger mit Verdi gute Tarifverträge abschließen, werden die auch finanziert. Die AWO sagt, sie habe kein Geld.« Dieses Pingpong müsse endlich aufhören.
Nach eine guten Stunde ist die Kundgebung vor der Zentrale der Arbeiterwohlfahrt vorbei. Zum Abschied sagt Zacher per Megafon: »Vor zwei Wochen wurde uns versprochen, dass es keinen Streik gibt, und jetzt ist Tag sechs. Wir sind gut vernetzt, und wenn es sein muss, kommen wir wieder.«
Einer breiten Unterstützung können sich die Eltern dabei sicher sein. Die Petition »Gerechte Löhne für ErzieherInnen der AWO & faire Finanzierung der Berliner Kitaträger!« auf dem Internetportal change.org hatten innerhalb von 36 Stunden mehr als 1200 Personen unterschrieben.
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