Aufruhr an Thälmanns Sockel

Proteste gegen Einweihung einer künstlerischen Kommentierung des Denkmals an der Greifswalder Straße in Berlin

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Künstlerin Betina Kuntzsch steht am Thälmann-Denkmal in Berlin. Neben ihr liegt eine der von ihr entworfenen Miniausgaben des Sockels.
Künstlerin Betina Kuntzsch steht am Thälmann-Denkmal in Berlin. Neben ihr liegt eine der von ihr entworfenen Miniausgaben des Sockels.

Wenke Christoph wundert sich. Die Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hätte nicht gedacht, dass sich so viele Menschen für diese Veranstaltung interessieren. »Dagegen«, stellt ein Zwischenrufer klar. Am Donnerstagnachmittag wird eine künstlerische Kommentierung des Ernst-Thälmann-Denkmals an der Greifswalder Straße im Berliner Bezirk Pankow eingeweiht. Zu sehen sind erst einmal nur fünf Betonquader, maßstabsgerecht verkleinerte Sockel des Denkmals. Darauf steht nicht mehr als die Titel von zehn Kurzfilmen der Künstlerin Betina Kuntzsch.

Diese experimentell gemachten Filme setzen sich mit der Biografie des KPD-Vorsitzenden, mit der Geschichte des Denkmals und des hinter ihm liegenden Wohnviertels auseinander. »Vom Sockel denken« heißt das Projekt der Künstlerin. Aber die Variante »vom Sockel holen« schwingt dabei mit. Das sorgt für Erbitterung und hat die Gegner dieses Umgangs mit dem Erbe von Thälmann auf den Plan gerufen.

»Ich finde es nicht in Ordnung, dass für einen Menschen ein so großes Denkmal gemacht wird«, gesteht die 1963 geborene Kuntzsch, die an der Greifswalder Straße aufgewachsen ist. Schon bevor das Denkmal 1986 fertig wurde, fotografierte sie das Modell aus Pappe, mit dem man die Wirkung des Entwurfs im Stadtraum testete. Kuntzsch versichert aber auch: »Ich spreche gar nicht ab, dass Thälmann ein tragisches Schicksal hatte, dass er für viele Antifaschisten steht, die von den Nazis ermordet worden sind.« Sein Leben lässt sie in einem Kurzfilm aus der Sicht seiner Tochter Irma erzählen, die ein Buch »Erinnerungen an meinen Vater« geschrieben hat.

Enkelin Vera Dehle-Thälmann kennt die Filme am Nachmittag zwar noch nicht in der Endfassung, hat aber Ausschnitte gesehen. »Im Großen und Ganzen fand ich die Filme nicht verkehrt«, sagt sie. »Ich sehe das Kunstprojekt auch als große Chance, darzustellen, wie Ernst Thälmann als Mensch war, und als große Chance, das Denkmal langfristig zu erhalten.« Deshalb hätte sie begrüßt, wenn diejenigen, die hier protestieren, sich erst einmal anschauen, was Kuntzsch genau gemacht hat. Dass aber das regelmäßig mit Graffiti beschmierte Denkmal vor der Veranstaltung nicht gereinigt wurde, »das ist ein Skandal«, betont Dehle-Thälmann.

Jemand hält bei der Einweihung ein Protestschild hoch, auf dem zu lesen steht: »Kein Geld für Denkmalschutz und Reinigung, aber für eine Schmähinstallation.« Etwa 180.000 Euro Fördermittel sind für die künstlerische Kommentierung geflossen.

Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) beteuert, dass es keineswegs geplant sei, »ein antifaschistisches Symbol vom Sockel zu stürzen«. Aber genau das wirft ihm Hans Bauer, letzter stellvertretender DDR-Generalstaatsanwalt, in einem kurzen Rededuell mit mehreren Beteiligten vor. »Ich bin linker Wähler. Ich schäme mich. Ich bin fertig mit ihrer Partei«, schimpft zunächst ein anderer Mann den Bezirksbürgermeister aus. Was sich Benn gedacht habe, denn das sei ja nicht links, was hier ablaufe, will der Mann wissen. Er ist aber so erregt, dass er Benn kaum Luft für eine Antwort lässt. »Links ist, sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen«, gibt Benn zurück.

Vorher versicherte der Politiker noch ruhig, er begreife das Kunstprojekt keineswegs als »antikommunistisch«. Warum das Denkmal überhaupt einer Kommentierung bedürfe? Diejenigen, die das Denkmal ohne Erläuterungen verstehen, werden immer weniger. Die junge Generation könne dies nicht.

Während bei der offiziellen Einweihung Kulturstadträtin Dominique Krössin (Linke) ins Mikrofon spricht, sammeln sich Gegner der Kommentierung am Sockel des Denkmals, recken die Fäuste und singen: »Thälmann ist niemals gefallen ...« Der Freidenker-Verband hatte die Idee und verteilte den Text. Der frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke (Linke) singt mit. Die drei Polizisten vor Ort sehen sich das eine Weile an. Als die Stimmen lauter werden, schreiten sie ein. »Wir hatten eine Absprache«, erinnert ein Beamter. Eine Gegendemonstration wurde nicht angemeldet. So sind die Gegner des Kunstprojekts automatisch Gäste der Einweihung und dürfen diese nicht stören. Vorher durften sie singen. Jetzt stellt es eine Ordnungswidrigkeit dar. Sie sollen aufhören. Rechtlich ist das korrekt, räumt der frühere Vize-Generalstaatsanwalt Bauer ein, der vor der Einweihung noch selbst mitsingt.

Aber Gehrcke gibt nicht sofort klein bei und diskutiert erst noch mit den Polizisten. In der alten Bundesrepublik war er DKP-Vorsitzender in Hamburg und hat dort bis 1989 in der Tarpenbekstraße - heute Ecke Thälmannplatz - in der einstigen Wohnung der Thälmanns gelebt. In dem Haus befindet sich bis heute eine Thälmann-Gedenkstätte und davor sollte auch ein Denkmal aufgestellt werden. Dazu habe die DKP die Sozialdemokraten von Hamburg und ihren damals »sehr linken« Juso-Chef Olaf Scholz überredet, erzählt Gehrcke. Die Wende sei dazwischengekommen. Mit der Kommentierung des Berliner Denkmals hadert Gehrcke. »Es ist im Kontext eindeutig gegen dieses Denkmal gerichtet. Da gibt es kein Vertun«, stellt er fest. »Es ist keine künstlerische Debatte. Es ist eine politische Debatte. Das ist Absicht.«

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