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Leid und Lust des Sisyfos
Erasmus Schöfer durchmustert die linke Geschichte dieser Bundesrepublik und sein Leben und Werk darin
Eine der größten Taten der Klassiker» sei es gewesen, so Bertolt Brechts Me-ti, «dass sie ohne jede Entmutigung auf den Aufstand verzichteten, als sie die Lage verändert sahen. Sie sagten eine Zeit des nochmaligen Aufschwungs der Unterdrücker und Ausbeuter voraus und stellten ihre Tätigkeit darauf um. Und weder ihr Zorn auf die Herrschenden wurde geringer, noch ließen ihre Anstrengungen, sie zu stürzen, nach.» Noch entmutigender als die hier wohl gemeinte Niederlage der Pariser Kommune war die des Realsozialismus und der sozialistischen Bewegungen im Westen im Jahr 1989.
Erasmus Schöfer, der sich viele Jahre als Autor und politischer Aktivist in vielen linken Bewegungen der Bundesrepublik engagiert hatte, im Theater, im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, in besetzten Fabriken, in den Kämpfen gegen die Atomkraft, an der Seite der Gewerkschaften und in politischen Konflikten in Griechenland, beging in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag. 1990 hatte er sich die Frage gestellt, was er nach der epochalen Niederlage noch machen könnte. Anders als viele Autoren, die sich bis dahin als Linke verstanden hatten, wollte er die Niederlage nicht mit der endgültigen Verdammung sozialistischen Denkens überschreiben. Für ihn kristallisierte sich ein Projekt der Zeugenschaft heraus, für das er aber - anders als es die Apologeten des Endes der Geschichte sahen - den historischen Horizont offen hielt.
Über seine Roman-Tetralogie «Die Kinder des Sisyfos» befragt, sagte Schöfer: «Mir wurde klar, dass es kaum andere Autoren gab, deren Arbeitsqualität ich für geeignet hielt, sich darum zu kümmern. Also musste ich das machen. Anfangs war mir nicht klar, dass das im Anschluss an Peter Weiss geschah, … der die Kämpfe bis 1945 beschrieben hat, und ich weitermache mit den Sechzigern, wo es einen neuen politischen Aufbruch gab, der das Land ja doch erschüttert hat … Walser war bei den Demonstrationen gegen die Stationierung der Pershings dabei, Böll - andere auch, aber nicht so durchgehend und an der Basis wie ich. Das müsste ich für die Nachwelt, wenn wir denn noch eine haben, habhaft machen, erkennbar … Aber Literatur erzählt nicht nur von Bewegungen, sondern von Menschen, die darin aktiv geworden sind, die Niederlagen erlebt haben und dann wieder aufgebrochen sind, Menschen, an deren Entwicklung von 1968 bis 1989 man Anteil nehmen kann.»
Das auf dokumentarischem Stoff fußende Romangenre bringt oft Werke hervor, aus denen durch Weglassen von Material und Hinzufügen von angeblich Authentischem letztlich doch Projektionen des Autors scheinen. Dieses, auch bei Peter Weiss feststellbare Dilemma, hat Schöfer durch Fiktionalisierung der Protagonisten vermieden, auch wenn sie Züge realer Menschen bündeln. Und historische Figuren kommen nur in belegbaren Zusammenhängen vor.
Als Hauptakteure der Sisyfos-Tetralogie nimmt der Leser zunächst den von Berufsverbot betroffenen Historiker Viktor Bliss, den Gewerkschafter Manfred Anklam und den Journalisten Armin Kolenda wahr. Das könnte Schöfer als generationsbedingtes Machotum angelastet werden, das die Wirren der «sexuellen Revolution» der 68er ja durchaus mitprägte. Man begreift aber schnell, dass es ihm besonders wichtig war, die Frauen, denen diese Männer begegnen, nicht als Objekte, sondern als selbstbewusst handelnde Subjekte zu zeigen.
Schöfer hat seinen Männergestalten nicht den Widerspruch zwischen Trieben und neuem Verstand erspart. Bliss bekämpft seine Eifersucht, zumal er sich auch mal nach anderen Frauen sehnt. Von einer Freundin Lenas lässt er sich zu einem Abenteuer in der Duschkabine verführen: «geht denn das hier drin klar geht das pass auf und bog sich zurück an die kachelwand und es war kein problem er sah die wasserstrahlen zerspritzen auf ihrem blanken bauch und sein ding den kolben verschwinden zurückkommen verschwinden reinraus reinraus mit der irren Lust die seufzte und stöhnte und lachte sie ihm auch in die ohren ihre fingernägel in seinem hintern der schmerz der wahnsinn die lust das leben das wahnsinnig verrückte wahnsinnig schöne leben barbar und das wasser strömte weiter über die warme gemeinsame haut der zwillinge im uterus der duschkabine».
Alles soll entbürgerlicht, aber irgendwie neu humanisiert werden. Bliss kann auch verzichten, wenn es sich um eine Frau handelt, mit der er übereinstimmt, dass entweder alles oder nichts geht. Sexistische Impulse konnten also nicht mehr hemmungslos ausgelebt werden - nicht einmal mehr vom Arbeitersohn Anklam, der viele Frauen findet, sich aber lange mit keiner zu verbinden weiß. Und das auch, weil immer mehr Frauen das Zepter der Liebe fest in der Hand halten. Bei Männern werden damit schwer zu bewältigende Unsicherheitsgefühle ausgelöst und auch echte Schmerzen: Bliss’ erste Frau hatte ihn für einen Geliebten in den USA verlassen und unterband jeden Kontakt mit dem gemeinsamen Kind, für das er jedoch zahlen sollte.
Selbst atavistische Gewalt verschwindet nicht ganz: Nachdem Lena verbal aggressiv wird, rutscht Bliss die Hand aus. Der Konflikt hängt auch mit seiner beruflichen Ausgrenzung und Lenas aufsteigender Theaterkarriere zusammen. Er gewinnt zwar die Kontrolle zurück, wendet seine Aggressivität aber zunehmend gegen sich selbst, wird depressiv.
Sowohl dokumetarische als auch belletristische Werke, die sich mit linker deutscher Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg befassen, beschränken sich gewöhnlich auf einen Strang in der DDR oder in der Bundesrepublik. Ein großer Vorzug von Schöfers Tetralogie ist, dass sie beide deutsche Staaten auch als kommunizierende Röhren darstellt. Lena zeigt sich beeindruckt von Maxie Wanders «Guten Morgen, du Schöne» und gestaltet daraus einen Theaterabend. Sowohl die Perestroika Gorbatschows als auch die Auflösung der DDR verfolgen die Protagonisten mit beklommenem Interesse. Und als sie sich zu Silvester 1989/90 bei Anklam in Duisburg treffen, lösen die dem Fernsehen entströmenden Jubelszenen am Brandenburger Tor kein andächtiges Hochgefühl aus. Allerdings auch keinen Fatalismus. Aber statt sich zu betrinken, besteigen sie das Gerüst eines stillgelegten Hochofens, auf dessen Spitze Anklam «einen roten Fetzen» hisst, eine zerfallene, aus früheren Arbeitskämpfen im Ruhrpott stammende Fahne. «Ein Fetzen - keine Fahne», betont Schöfer, «wie viele fälschlich meinen, nachdem sie das gelesen haben.»
Literatur und kulturelle Aktivitäten könnten das Bewusstsein schaffen, «dass man nicht auf den ökologischen Umbruch warten, sondern schon vorher üben muss, wie es ist, mit gleichberechtigten Menschen zusammenzuleben, und wie wir mit den Tieren umgehen, wie das ohne Chef funktionieren soll und auch ohne Schlachten».
«Die Kinder des Sisyfos» sind nun auch im Taschenbuchformat zu haben. Ebenfalls sehr zu empfehlen ist der kürzlich erschienene Gedichtband «Sisyfos Lust». Auch in seiner Lyrik fand Schöfer einen Weg, den physischen Seiten des Begehrens einen unverschleierten und doch eleganten Ausdruck zu geben. Er zeigt, dass Liebe nicht in einem Rückzugsort zu zweit münden muss, sondern sich mit Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden verbinden kann.
Erasmus Schöfer: Die Kinder des Sisyfos. 5 Bände. Dittrich, 2310 S., geb., 39,90 €.
Erasmus Schöfer: Sisyfos Lust. Lauter ewige Lieben. Gedichte. Dittrich, 72 S., br., 18 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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