- Politik
- Genozid an den Ovaherero und Nama
»Wir leben, also redet mit uns«
Sima Luipert über Forderungen der Ovaherero und Nama an die künftige Bundesregierung
Seit der im Mai veröffentlichten gemeinsamen Erklärung von Deutschland und Namibia, in der beide Staaten die Gräueltaten an den Ovaherero und Nama als Völkermord »aus heutiger Sicht« anerkennen, tobt der Streit. Bis heute wurde im namibischen Parlament nicht darüber abgestimmt. Sie haben in dieser Woche vor dem deutschen Außenministerium demonstriert. Was hat die Bundesregierung falsch gemacht?
Das deutsche Reich hat im Jahr 1904 in seiner damaligen Kolonie im heutigen Namibia einen Genozid an den Ovaherero und Nama verübt. Trotzdem hat die Bundesregierung die Bevölkerungsgruppen nicht an Gesprächen beteiligt, sondern auf bilateralen Verhandlungen bestanden. Und das, obwohl ein Beschluss des namibischen Parlaments von 2006 klar besagt, dass Deutschland mit den Nama und Ovaherero verhandeln muss. Die namibische Regierung sollte eine Vermittlerin sein. Stattdessen wurde sie nun zu einer Erklärung genötigt, ohne das Einverständnis der betroffenen Gruppen. Für mich ist diese Erklärung bedeutungslos. Es ist ein bilaterales Hilfsabkommen mit der namibischen Regierung. Mit dem Genozid an meinem Volk und dem der Ovaherero hat das nichts zu tun.Der deutsche Verhandlungsführer Ruprecht Polenz (CDU) betont stets, es sei richtig gewesen, allein mit der namibischen Regierung zu verhandeln, weil es keine allgemein legitimierte Vertretung von Ovaherero und Nama gebe. Was sagen Sie dazu?
Sima Luipert (53) berät den Fachausschuss für Völkermord der »Nama Traditional Leaders Association« (Verband der traditionellen Führer der Nama). Sie hat eine Petition gestartet, in der sie direkte Reparationszahlungen an die Nachfahren der Opfergemeinschaften des Völkermordes fordert. In der vergangenen Woche war sie mit einer Delegation von Ovaherero und Nama in Deutschland.
Ulrike Wagener sprach mit ihr über die gemeinsame Erklärung von Deutschland und Namibia. Darin heißt es, dass Deutschland sich entschuldigt und über 30 Jahre 1,1 Milliarden Euro für ein Programm »zum Wiederaufbau und zur Entwicklung« an Namibia zahlen wird.
Das stimmt einfach nicht. Die Nama etwa werden durch ihre Chiefs gesetzlich vertreten. In Namibia gibt es zehn Nama-Clans, die alle nach namibischem Recht registriert sind. Und die Leiter dieser Clans gehören unserem Verband an. Aus meiner Sicht ist das eine legitimierte Vertretung.
Nun gibt es bald eine neue Regierung in Deutschland. Was sollte sie tun?
Ich fordere die neue Regierung auf, direkt mit uns zu sprechen. Das mag so einfach klingen, aber es geht ums Prinzip. Während des Genozids wurden wir nicht als Menschen anerkannt. Deshalb hatten die Deutschen das Gefühl, sie könnten uns erschießen und uns alle umbringen. Das gleiche passiert jetzt wieder: Deutschland erkennt uns nicht an. Das ist an sich schon ein politischer, wirtschaftlicher und kultureller Völkermord im heutigen Namibia. Doch wir sagen: Ihr werdet keinen zweiten Genozid an uns begehen. Wir leben, also redet mit uns.
Sie fordern also einen ganz neuen Verhandlungsprozess?
Ja. Die Verhandlungen müssen von vorn beginnen.
Das erklärte Ziel der deutschen Regierung ist es, mit dem Geld insbesondere Projekte in den Gegenden zu fördern, in denen Ovaherero und Nama leben. Wenn nun alles wieder von vorn losgeht, könnte sich das noch lange hinziehen.
Wir haben es nicht eilig. Wir wollen Gerechtigkeit. Je länger Deutschland wartet, mit uns zu sprechen, desto länger wird es dauern. Wir sagen seit 15 Jahren: Sprecht mit uns. Aber sie wollten nicht mit uns sprechen und jetzt sagen sie, es würde zu lange dauern, mit uns zu sprechen. Wenn es weitere 15 Jahre braucht, in denen wir Deutschland auffordern müssen, uns einzubeziehen, werden wir das tun. Aber irgendwelche Projekte werden wir nicht akzeptieren. Wir sind keine Projekte, wir sind Menschen. Was wir verloren haben, sind keine Projekte. Wir haben unser Land verloren, unseren Viehbestand und unsere Würde. Diese Erklärung ist eine herablassende, eigennützige Geste paternalistischer Freundlichkeit. Das ist nicht das, was ich brauche. Ich brauche das, was mir weggenommen wurde. Ich bitte nicht um etwas, das mir aus Gefälligkeit gegeben werden sollte. Ich bitte um das, was mir gehört.
Sie haben den Völkermord nicht selbst erlebt. Inwiefern wird Ihr Leben von der Kolonialgeschichte Namibias beeinflusst?
Meine Großmutter ist das Kind einer Vergewaltigung durch deutsche Soldaten. Mich beschäftigt die Frage: Was ist meine Identität? Wer ist meine deutsche Familie und wo lebt sie? Ich lebe heute in demselben Reservat, in das die Deutschen meine Familie gebracht haben - während die Nachfahren der deutschen Kolonialsiedler auf meinem Land leben. Ich bin landlos. Ich habe kein politisches Mitspracherecht, weil mein Volk massakriert wurde und unsere Zahl halbiert wurde. Ich habe keinen Zugang zu den Ressourcen, über die mein Volk herrschte, weil ich vom ethnischen Nationalismus der Mehrheit verschluckt werde, der von den Nachfahren der Kolonialherren unterstützt wird, die die Produktionsmittel besitzen. Ich erlebe die Auswirkungen des Genozids jeden Tag!
Etwa 70 Prozent des Landes in Namibia ist im Besitz weißer Landwirte, Nachkommen der Kolonialisten. Was sollte Deutschland da Ihrer Meinung nach tun?
Die deutsche Regierung sollte das Land von den weißen Siedlern zurückkaufen und an die Überlebenden des Genozids zurückgeben. Oder sie sollen mir Land in Deutschland geben. Sie haben Deutsche auf meinem Land angesiedelt, dann sollen sie eben Ovaherero und Nama in Deutschland ansiedeln.
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Was wird nun aus der Erklärung im namibischen Parlament?
Sie werden sie wahrscheinlich an einen ständigen Parlamentsausschuss zur Überprüfung schicken. Und sie werden wohl sagen, dass die Regierung einige Nama und Ovaherero mit ins Boot holen und den Betrag neu verhandeln muss. Das ist für uns nicht akzeptabel. Wir wollen neue Verhandlungen. Wir fordern ein Schuldeingeständnis und eine offizielle Entschuldigung. Erst dann können wir über Wiedergutmachung und die Verpflichtung zur Nichtwiederholung sprechen.
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