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Sträflich vernachlässigter Wohnraum
Mit unfairen Mitteln will eine Immobilienfirma in Hamburg ein Haus entmieten. Das zuständige Bezirksamt lässt sie bislang gewähren
Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Haus Methfesselstraße 80 in Eimsbüttel kaum von den Nachbargebäuden. Sogenannte Gründerzeitbauten vom Ende des 19. Jahrhunderts. Die Graffiti-Tags im Erdgeschoss könnten auf eine nachlässige Hausverwaltung hindeuten. Aus der Nähe zeigt sich aber, dass die Mauern bröckeln. Im Parterre befand sich offenbar einmal ein Laden, der schon vor langer Zeit aufgegeben wurde. Die Fensterrahmen sitzen schief, die Scheiben sind mit Plakaten verklebt. Von einer Hausverwaltung kann keine Rede sein.
Im vergangenen Mai flatterten hier zwei große Transparente: »Häuser sanieren statt abreißen!« und »Wohnraum Leerstand«. Damit machte Die Linke im Bezirk Eimsbüttel auf den Zustand des Hauses aufmerksam, das von einer zwielichtigen Immobilienfirma gekauft wurde. Heute hängt noch ein Banner unter den Fenstern der Wohnung des letzten Mieters. Darauf stehen »Abriss, nein danke!« und die Webadresse, auf der Markus Kienast dokumentiert, wie er sich dagegen wehrt, nach 33 Jahren ausziehen zu müssen.
Der Gang durch die Wohnung des 52-Jährigen ist ein Hindernislauf. Im Juli wurden »Notabsteifungen« angebracht: Zwischen Holzbalken an Boden und Decke stecken in eineinhalb Metern Abstand Eisenpfosten. 29 davon gibt es in Kienasts Wohnung, um die 90 sind es im ganzen Haus. Von der Maßnahme erfuhr Kienast erst durch den Lärm, der ihn um sieben Uhr morgens weckte, als der Gerichtsvollzieher versuchte, seine Tür zu öffnen. Das Amtsgericht hatte zwar einen Beschluss geschickt, aber den hatte Markus Kienast nicht gelesen - das Schreiben war an einen »Michael Kienast« adressiert, und er hatte es nicht angenommen. Der Statiker, auf den das Gericht sich beruft und der im Auftrag des Vermieters die Standfestigkeit des Hauses bezweifelt, hat Kienasts Wohnung nie betreten.
Abfindung für den Auszug
»Die Wohnung ist mein Leben«, sagt Kienast. 1988 zog er ein, mit 19 Jahren, es war seine erste eigene Wohnung, »ein Traum«. Der damalige Eigentümer habe sich nie sonderlich um das Haus gekümmert, zuletzt vor 20 Jahren Reparaturen vorgenommen. Bei einer Miete von weniger als 200 Euro für zwei Zimmer mit 35 Quadratmetern habe er auch keine Ansprüche gestellt, erklärt Kienast.
Seine Zimmer liegen an einem langen Korridor. Am anderen Ende befinden sich ein Raum, der separat vermietet wurde, und die Küche, die sich Kienast mit dem zweiten Bewohner der Etagenhälfte teilte - bis zu dessen Tod 2016. Dessen Zimmer ist seitdem leer. Oder nicht ganz: Gerümpel aus der Hinterlassenschaft des Verstorbenen liegt herum. Kienast heizt das Zimmer, damit sich in den Wänden nicht der Schwamm bildet, von dem sein neuer Vermieter behauptet, er habe sich im ganzen Haus ausgebreitet. »Ich habe noch keinen gesehen«, sagt Kienast und zeigt auf die Wände.
2018 kaufte die City.21 Real Estate Services GmbH das Haus. Über die Firma ist nichts weiter bekannt. Sie verfügt über keine Website, aber über zwei Adressen und Telefonnummern. Einer der Gesellschafter wurde 2012 wegen Betrugs belangt, weil er eine Kündigung fälschlich mit Eigenbedarf begründet haben soll. Den Mietern in der Methfesselstraße 80 wurde eine »Modernisierung« angekündigt. »Wir bauen um Sie herum«, hieß es. »Ich wurde zu einem Einzelgespräch eingeladen«, erzählt Kienast, bei dem man »sehr freundlich« mit ihm umgegangen sei. Danach hörte er nichts mehr. Bis die Kündigungen erfolgten.
Ende 2018 und im Herbst 2019 verließen die ersten Mieter das Haus. Man habe ihm Geld geboten, gab der Rentner E., der hier 44 Jahre gewohnt hatte, im März dieses Jahres gegenüber der »Taz« an. Kurz darauf war auch er ausgezogen. »Er hat das Geld wohl genommen«, vermutet Markus Kienast. Ihm bot man eine Ersatzwohnung an, die er ausschlug. Gegen seine Kündigung zum 30. April legte er Widerspruch ein. Nach letztem Stand soll sein Mietverhältnis im Juli 2022 enden. »Aber freiwillig gehe ich hier nicht raus!«
Bundesweit stehen geschätzt 1,7 Millionen Wohnungen leer. Das ist in Hamburg mit dem Wohnraumschutzgesetz eigentlich verboten. Leerstand ist demnach eine Zweckentfremdung, die der Genehmigung bedarf. Hält der Leerstand länger als vier Monate an, müsste dieser gemeldet werden. Das zuständige Bezirksamt Eimsbüttel ist über die Verhältnisse in der Methfesselstraße 80 nach eigenen Angaben seit dem 31. Juni 2019 im Bilde. Unternommen hat es bislang nichts. Weder hat es ein Bußgeldverfahren gegen City.21 eingeleitet noch Zwangsgelder erhoben oder das Haus unter Treuhänderschaft genommen und damit den Besitzer quasi enteignet. Lediglich die Androhung eines Zwangsgelds gab es.
Markus Kienast war im IT-Bereich selbstständig und ist nach einer Erkrankung inzwischen arbeitslos. Als Hartz-IV-Bezieher hätte er keine Chance, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Aber er hat eine Rechtsschutzversicherung, die für die Kosten seines Anwalts aufkommt. Der wiederum kennt sich mit dem Widerstand gegen Entmietungen aus.
Rechtsanwalt Bernd Vetter wohnt in der Haynstraße 1. Dort, im noblen Stadtteil Eppendorf, verhinderte eine studentische Wohngemeinschaft in den 70er Jahren den Abriss des Jugendstilhauses und etablierte ein Hausprojekt, bei dem die Mieter bestimmen, wer neu einzieht. Die akribisch geführte Liste der »Ehemaligen« umfasst rund 250 Namen, darunter Prominente wie Ulrich Tukur, Jan Delay und Gerhard Strate. Die Basis für das Wohnprojekt legte ein Mietvertrag von 1975, den der damalige Rechtsreferendar Bernd Vetter entworfen hatte.
Der heute 75-Jährige vertrat die Grünen im Hamburger Parlament, der Bürgerschaft, und er gründete den Verein Mieter helfen Mietern. Er beklagt, dass er als Anwalt von Markus Kienast kaum Möglichkeiten hat, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Das Bezirksamt ist ihm gegenüber nicht einmal zur Auskunft verpflichtet. Was in der Methfesselstraße 80 geschieht, wird zwischen Amt und Eigentümer ausgehandelt; der betroffene Mieter ist außen vor.
Nachdem sich die Modernisierung stillschweigend erledigt hatte, beantragte City.21 den Abriss des Gebäudes. Im Mai dieses Jahres wandte sich der Denkmalverein an das Bezirksamt und regte eine Unterschutzstellung an. Für sein Alter sei das 1889 erbaute Haus gut erhalten und verfüge über »zahlreiche bauzeitliche Details, wie Holzfenster, Türen und ein historisches Treppenhaus«. Die Linksfraktion in der Eimsbütteler Bezirksversammlung stellte einen entsprechenden Antrag. Erst bei dieser Gelegenheit wurde bekannt, dass das Amt bereits 2018 den Denkmalschutz für das Haus geprüft und verworfen hatte.
Abriss vom Bezirksamt abgelehnt
Allerdings wird die »städtebauliche Erhaltungsverordnung« auf die Fassade angewendet. Daher wurde der Abriss nicht genehmigt, und seinen Widerspruch dagegen soll der Eigentümer zurückgezogen haben. Mittlerweile heißt es aus »gut informierten Kreisen« des Bezirksamts, dass die City.21 die Umwandlung der Wohnungen in Eigentumswohnungen beantragt habe. Wie sich dazu die Behauptung einer abrisswürdigen Baufälligkeit des Hauses verhält, bleibt im Dunkel. Am 28. September hat das Fachamt für Verbraucher- und Wohnraumschutz das Gebäude besichtigt. Nun macht das Bezirksamt das, was es seit drei Jahren vorgibt zu tun: Es prüft.
Der Eigentümer »hat sich verspekuliert«, hofft Mikey Kleinert. Der 26-jährige Fraktionsvorsitzende der Linken in Eimsbüttel geht hart mit dem Bezirksamt ins Gericht. Dessen »Untätigkeit schafft Fakten«, die den Spekulanten das Geschäft erleichterten. So war im Fall der Grindelallee 80 die Entmietungsstrategie erfolgreich, die Kleinert auch bei der Methfesselstraße 80 vermutet. Durch bewusste Vernachlässigung wird ein schließlich unhaltbarer Zustand herbeigeführt, der dem Amt keine Wahl mehr lässt. Im April 2019 verfügte das Bezirksamt die zwangsweise Räumung, weil das Gebäude nicht mehr den Erfordernissen des Brandschutzes entsprach. Bis dahin waren die Mieter und Mieterinnen mit Buttersäure, zugeklebten Schlössern und Kothaufen vor dem Keller zermürbt worden.
Einen »berüchtigten Miethai« betitelte das »Elbe-Wochenblatt« den Besitzer der Immobilie; einen »Entmieter statt Vermieter« nennt ihn Dr. Rolf Bosse, der 46-jährige Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, der mit rund 75 000 Mitgliedern größten Mieterorganisation in der Hansestadt. Davon, dass Unternehmer wie Sven B., dem etwa ein Dutzend Häuser in der Stadt gehören, immer wieder mit ihrer Masche durchkämen, gehe »eine Signalwirkung auf andere Glücksritter« aus.
B. treibt nicht nur in Hamburg sein Unwesen. Er besaß ein als »Horrorhaus« verrufenes Hochhaus in der Schröderstraße in Buxtehude vor den Toren Hamburgs. Nachdem er das zwölfstöckige Gebäude mit 74 Wohnungen für eine Million Euro gekauft hatte, war er für Bewohner und Behörden nicht mehr erreichbar. Gegen den Befall mit Kakerlaken unternahm er nichts. Die Stadtverwaltung sprang notgedrungen ein und gab 100 000 Euro für den Brandschutz aus. Das Geld holt man sich zurück, indem Mieten nicht mehr an B., sondern an die Stadt gezahlt werden.
In der Grindelallee 80 wäre es seine Sache gewesen, den verbliebenen Mietern Ersatzwohnungen zu verschaffen. Weil er sich nicht darum scherte, musste sich das Bezirksamt kümmern. Strafrechtlich müssen sich Geschäftsleute wie Sven B. sehr selten für ihr Verhalten verantworten. Dass sie relativ freie Bahn haben, liegt nicht zuletzt an der Zögerlichkeit der Behörden, die ihre Mittel nicht konsequent ausschöpfen, moniert Mikey Kleinert.
Die Methfesselstraße ist kein Einzelfall
»Hat das Bezirksamt ein Verfahren, um verfallende Wohngebäude frühzeitig zu erkennen?«, wollte der Linke-Fraktionsvorsitzende im Juli in einer Kleinen Anfrage wissen. Die Antwort am 1. November lautete lapidar: »Nein.« Von zwielichtigen Methoden der Vermieter erfährt die Behörde meist erst, wenn es zu spät ist, und eher zufällig, wenn ein Fall Aufsehen erregt. Dagegen regt Rolf Bosse vom Mieterverein ein »Wohnraum-Kataster« an, in dem der Zustand von Gebäuden verzeichnet ist und regelmäßig geprüft wird. Von rund 150 Fällen wie dem in der Methfesselstraße 80 soll das Bezirksamt Kenntnis haben.
Die großen Wohnungsbaugesellschaften wie Vonovia oder Deutsche Wohnen, die zuletzt im Fokus standen, sind nur ein Teil des Problems, findet Bosse. Die »vielen, allzu vielen kleinen Einzelfälle« geraten leicht aus dem Blick. Würden häufiger Bußgelder verhängt, meint Mikey Kleinert, könnte sich das Amt das Personal leisten, um stärker zu kontrollieren. Er weiß von keinem einzigen Bußgeld gegen einen Vermieter, der seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.
Markus Kienast muss unterdessen ständig damit rechnen, dass seine Wohnung, die sein Leben ist, für unbewohnbar erklärt wird. Der Kampf um die Wohnung ist zu seiner Lebensaufgabe geworden. Dass über seine Misere in Zeitungen und im Fernsehen berichtet wurde, hat seine Lage nicht verändert. Nachdem die TV-Satire-Sendung »Extra 3« ihn mit den Eimern gezeigt hatte, in denen er das Wasser auffängt, das durchs Dach tropft, waren diese plötzlich geleert worden. Und im November bemerkte er, dass sich Arbeiter auf dem Dach zu schaffen machten. Er fotografierte und filmte sie. Prompt meldete sich sein Vermieter bei ihm, von dem er seit Monaten nichts gehört hatte: Er solle die Aufnahmen löschen, weil sie gegen Persönlichkeitsrechte verstießen. Außerdem wurde er aufgefordert, seine Sachen aus dem Treppenhaus fortzuschaffen, weil dadurch Fluchtwege blockiert würden. »Das Zeug gehört mir gar nicht«, sagt er. Es stammt noch vom vorletzten Mieter, der das Haus im Frühjahr verließ.
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