Ungefragte Ikone

Scharbat Gula, westliches Sinnbild des afghanischen Elends, wurde nach Italien evakuiert

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie ist das Gesicht der afghanischen Flüchtlinge seit den 1980er Jahren: Scharbat Gula, das paschtunische Mädchen mit den stechend grünen Augen, abgelichtet im Dezember 1984 vom Fotojournalisten Steve McCurry in einem Flüchtlingslager bei Peschawar, nahe der Grenze zu Afghanistan. Im Juni 1985 zierte das Foto die Titelseite des US-Magazins »National Geographic«; damals war Gula gerade mal zwölf Jahre alt und hatte noch keinen Namen. Erst 17 Jahre später bekam das Gesicht einen Namen.

Unter dem Titel »Afghan Girl« wurde sie inzwischen eine Art Ikone, ihr Foto schmückte Broschüren von Amnesty International oder Plakate von Kunstausstellungen. Wegen des ausdrucksstarken Blicks Sharbat Gulas wurde es mit dem weltberühmten Gemälde Leonardo da Vincis verglichen, gedeutet als »Mona Lisa der Dritten Welt«. Der orientalistische Blick der sogenannten Ersten Welt auf das Mädchen von damals konstruiert die Repräsentation einer bedauernswerten Geflüchteten in einem weit entfernten Lager, die das Mitgefühl des westlichen Betrachters verdient: Gula wurde im Westen zum Symbol für Afghanistan und musste ungefragt als Legitimation herhalten für die Intervention in Afghanistan im Namen der Frauenrechte.

Obwohl das Bild weltbekannt wurde, blieb die Abgebildete ein eher unbeschriebenes Blatt, hatte nur wenig Glück im Leben. Mehr als 30 Jahre lebte Scharbat Gula als Geflüchtete in Pakistan, »ein sehr gutes Leben«, wie sie in einem BBC-Interview von 2017 sagte, auch wenn ihr Mann und die älteste Tochter an Hepatitis C gestorben seien. Im Oktober 2016 wurde sie in Peschawar festgenommen, weil sie mithilfe falscher Dokumente in Pakistan gelebt habe. Sie wurde nach Afghanistan abgeschoben, der damalige Staatspräsident Aschraf Ghani versprach ihr eine Wohnung, damit sie »in Würde und Sicherheit in ihrem Heimatland leben kann«. Es kam anders, wie wir wissen. Nun hat die italienische Regierung die heute 49-Jährige nach Rom ausgeflogen, teilte das Büro von Ministerpräsident Mario Draghi am Donnerstag mit.

Gula wollte Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban verlassen, Hilfsorganisationen hätten ihren Appell weitergetragen. Die italienische Regierung habe daraufhin ihre Ausreise nach Italien organisiert.

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