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Rojava-Berichterstattung unerwünscht
Der Journalist Matt Broomfield unterstützt die Selbstverwaltung im Norden Syriens und darf deshalb nicht mehr in den Schengenraum einreisen - auf Ersuchen Deutschlands
Als Matt Broomfield im Frühjahr dieses Jahres mit einem Freund von Griechenland nach Italien reist, erwartet ihn in der adriatischen Hafenstadt Ancona eine böse Überraschung: Beim Verlassen der Fähre versperrt ihnen plötzlich eine Gruppe vermummter und bewaffneter Grenzpolizisten den Weg. Matt Broomfield wird gestoppt und festgesetzt. Man informiert ihn darüber, dass er mit einem zehnjährigen Einreiseverbot in den Schengenraum belegt wurde und schiebt ihn kurzerhand nach Griechenland ab, wo er am 27. April wegen »illegaler Einreise« festgenommen wird.
Broomfield, 27, akzeptiert seine Abschiebung innerhalb von 24 Stunden formell, dennoch vergehen ganze neun Wochen, ehe er nach Hause ins Vereinigte Königreich transportiert wird. Neun Wochen, in denen der junge Mann am eigenen Leib erfahren musste, was es bedeutet, im Europa von heute der »illegalen Einreise« bezichtigt zu werden und auf seine Abschiebung warten zu müssen. Was für einen britischen Staatsbürger ein ungewöhnlicher Einzelfall ist, ist für Tausende von Geflüchteten an der europäischen Außengrenze alltägliche Realität.
Nach einer Woche in der Polizeistation von Patras wird Broomfield in das berüchtigte Abschiebehaftzentrum von Korinthos verlegt. Das Lager ist in der Vergangenheit schon häufig wegen der miserablen Bedingungen, unter denen die Geflüchteten gehalten werden, in die Schlagzeilen geraten. Suizid und Selbstverletzung von verzweifelten Gefangenen, Übergriffe durch Wärter, teils mehrere Tage ohne Wasserversorgung und mangelnde medizinische Versorgung - Konrinthos steht symbolisch für die untragbaren Zustände in den Lagern an der EU-Außengrenze. Auch Broomfield wird Zeuge von Misshandlungen durch Wärter und erlebt die bedrängende Enge der Zellen, in welchen sich bis zu 40 Männer gemeinsam ein Leben auf engstem Raum teilen müssen.
»Den Geist der Menschen brechen«
»Korinthos ist ein riesiges, von der Polizei geführtes Gefängnis. Die Insassen werden sechs bis achtzehn Monate oder sogar länger festgehalten. Diese Zentren sind Gefängnisse, die dazu dienen, den Geist der Menschen zu brechen«, berichtet Broomfield, als er sich an seine Zeit in dem mit Stacheldraht umzäunten Lager erinnert. »In der Zelle, in der ich untergebracht war, hatte sich kürzlich ein kurdischer Flüchtling umgebracht, indem er sich mit zwei zusammengeflochtenen Handy-Ladegeräten erhängte.« Insgesamt sechs Wochen verbringt der junge Journalist im Lager Korinthos, wird Zeuge von Gefangenenaufständen und der Brutalität des europäischen Abschiebesystems, bevor er nach zwei Wochen Einzelhaft in Petroarali in Athen, seine erzwungene Ausreise ins Vereinigte Königreich antreten kann.
Das europäische Festland wird er wohl so schnell nicht wieder zu Gesicht bekommen. Das Einreiseverbot verbannt ihn bis auf weiteres aus den 26 europäischen Ländern des Schengener Abkommen. Laut den Angaben der italienischen Grenzschützer waren es deutsche Sicherheitsbehörden, die Broomfield als »unerwünschte Person« im Schengen-Informationssystem signalisiert hatten.
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Der Grund scheint Broomfields Engagement in den Gebieten der Autonomen Selbstverwaltung im Norden Syriens zu sein, wo Broomfield seit 2018 als professioneller Journalist für verschiedene internationale Medien wie »Vice«, »The Independent« und den »New Statesman« berichtet hat. Medien und journalistische Berichterstattung beschäftigen Broomfield schon lange und so brachte er seine Erfahrung auch in lokale Strukturen und Projekte ein: Er moderierte eine Dokumentationsreihe für einen kurdischen Fernsehsender und betätigte sich aktiv als einer der Mitbegründer. Offensichtlich genug Engagement, um in den Augen der deutschen Sicherheitsbehörden als Gefahr für die innere Sicherheit zu gelten.
Kein Einzelfall
Für Broomfield liegt auf der Hand, dass es »die engen wirtschaftlichen und strategischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei« sowie die »Rolle der Türkei als zweitgrößter Nato-Armee und Bollwerk westlicher Kapitalinteressen im Nahen Osten« sind, die die Bundesrepublik und die anderen europäischen Staaten dazu bewegen, »legitimen Journalismus und politische Interessensvertretung zu unterdrücken.«
Er schließt zumindest nicht aus, dass das Einreiseverbot gegen ihn auf Geheiß des türkischen Regimes erlassen wurde. Bei Broomfield handelt es sich wohl nicht um einen Einzelfall, derzeit wisse man von »mindestens einem anderen Genossen, der auch in Rojava arbeitete und dem ein Einreiseverbot erteilt wurde«, sagt Broomfield. Die europäischen Regierungen würden »regelmäßig ihre eigenen Staatsangehörigen ins Visier nehmen, sie schikanieren und festnehmen, weil sie das demokratische Projekt in Nordostsyrien unterstützen oder sich solidarisch mit der kurdischen Bewegung zeigen.« Für das Rojava Information Center (RIC) sind die Maßnahmen gegen Matt Broomfield ein klarer »Versuch, legitimen Journalismus im In- und Ausland zum Schweigen zu bringen.«
Das 2019 ins Leben gerufene Nachrichten- und Forschungszentrum berichtet zuverlässig über die Geschehnisse im Norden Syriens und arbeitet eng mit sämtlichen führenden Nachrichtenagenturen der Welt zusammen. »Hunderte von ausländischen Journalisten verlassen sich auf unsere Informationen, Kontakte und unseren Ruf als zuverlässige Nachrichtenquelle und Menschenrechtsbeobachter. Wir sind natürlich äußerst besorgt über die Art und Weise, wie die Türkei es geschafft hat, unseren Kollegen ins Visier zu nehmen, ihn inhaftieren zu lassen und ihm in Zusammenarbeit mit europäischen Regierungen die Einreise in den Schengen-Raum zu verbieten«, so Clara Moore, die derzeit als Researcherin beim RIC in den Autonomiegebieten tätig ist.
Broomfield selbst sieht die Maßnahmen im Kontext der allgemeinen Verfolgung der kurdischen Bewegung und erklärte, dass man entschlossen sei, sich Gehör zu verschaffen sowie alle medialen und legalen Kanäle nutzen werde, um auf die Zusammenarbeit westlicher Regierungen mit dem Erdogan-Regime aufmerksam zu machen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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