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Weihnachtsduft mit Potenzial
Medizin aus dem Mittleren Osten: Das Harz der Myrrhe ist mehr als ein Räuchermittel
Die wertvolle Myrrhe ist seit Tausenden von Jahren bekannt. Das aromatisch-bittere Harz des Myrrhenbaumes ist eines der am meisten gebräuchlichen Arzneimittel im arabischen Raum. Die Bevölkerung verwendet es dort bis heute mittels Abkochung oder Mazeration in Öl. Bei dem letztgenannten Verfahren werden Pflanzenteile in eine Flüssigkeit eingelegt, womit Wirkstoffe gelöst werden.
Ärzte aus dem Mittleren Osten, die um die lange Tradition wissen, haben Myrrhe mit modernen wissenschaftlichen Verfahren und Erklärungsmodellen in den vergangenen Jahren auf einen westlichen Prüfstand gestellt. Im Fokus der Forschung stehen dabei unter anderem Entzündungen im Mund-Rachen-Raum. Auch mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten der Schulmedizin wurden untersucht. In klinischen Studien, etwa an der Universität Duisburg-Essen, wurde die Wirksamkeit von Myrrhe-Extrakten bei Darmentzündungen mit chemisch-synthetischen Standardmedikamenten verglichen. Auch aufgrund der neueren Forschungen wurde der Myrrhenbaum zur Arzneipflanze dieses Jahres gekürt.
Das gelbliche bis jadegrüne durchscheinende und harte Harz von Commiphora myrrha, einem dornigen Strauch, wird bereits seit Langem im Referenzwerk für die Qualitätskontrolle, dem Europäischen Arzneibuch (Pharmacopoea Europaea, Ph. Eur.) beschrieben. Botanisch gehört Myrrhe zu den Balsambaumgewächsen und ist eng verwandt mit dem Weihrauchbaum. Der dornige Myrrhestrauch oder -baum mit silbrig abblätternder Rinde und kleinen ledrigen Blättern kommt hauptsächlich in pantropischen Regionen wie Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel vor. Die Ernte beginnt meist nach der Regenzeit, wenn das flüssige Harz spontan aus den Ästen austritt. Das durch Anschneiden der Rinde gewonnene Harz ist zum Teil nicht so wirksam und damit nicht so wertvoll.
Am bekanntesten dürfte die Myrrhe hierzulande als eines der biblischen Geschenke (neben Gold und Weihrauch) der drei Sterndeuter an die Mutter von Jesus - heute datiert auf den 6. Januar - geblieben sein. Für Maria, die ihren Sohn in Armut in einem Stall zur Welt brachte, könnte die desinfizierende und schmerzlindernde Myrrhe zur Erholung nach der Geburt beigetragen haben. Der Wohlgeruch kann nämlich ab einer bestimmten Dosis den Körper entspannen, Schmerzen betäuben und die Sinne von äußeren negativen Reizen abschirmen.
Das Harz des Myrrhenbaumes, nicht nur zum Räuchern von Innenräumen benutzt, wird auch als Tinktur, Gel, Tablette, Trunk oder in Mundwasser und Kosmetik verarbeitet. Es enthält ätherisches Öl, das nach dem Öl von Gewürznelken das zweithöchste antioxidative Potenzial aller Medizinalpflanzen aufweist und weit vor sogenannten Superfoods wie Traubenkernen oder Aroniabeeren rangiert. Zu den Inhaltsstoffen des ätherischen Öls echter Myrrhe gehören vor allem Terpene, Phenole und Sterole. Im wasserlöslichen Anteil sind heilsame Schleimstoffe bzw. Glycoproteine enthalten.
In einer arabischen Studie mit 90 Teilnehmern, die an einer wiederkehrenden Mundschleimhautentzündung, verbunden mit schmerzhaften Mundbläschen, sogenannten Aphthen, litten, wurde jetzt eine Myrrhe-Kombination geprüft. Das Gel enthält außerdem Aloe Vera. Entzündungen im Mund mit schmerzhaften Aphthen können durch Gifte wie Nikotin oder einen Mangel an Vitamin C entstehen, aber auch durch schlecht sitzende Zahnprothesen, Stress oder Lebensmittelallergien bedingt sein.
Über eine Woche viermal täglich aufgetragen, konnte das myrrhehaltige Gel die Schmerzen erheblich lindern sowie die Aloe vera dabei helfen, dass diese Aphthen im Mundraum besser abheilten. Auch das Abtupfen der betroffenen Stellen oder das Spülen des Mundraums mit verdünnter Myrrhe-Tinktur kann hilfreich sein. Bestimmte Mundwässer oder Zahnpasten enthalten ebenfalls Myrrhe und können Zahnfleischentzündungen vorbeugen.
An der Charité in Berlin konnte im Jahr 2017 und an der Universität in Duisburg-Essen bereits 2013 die antiinflammatorische Wirkung eines Myrrhe-Medikaments besonders bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Reizdarm nachgewiesen werden. Dabei schützt die Heilpflanze die Darmschleimhaut vor entzündlichen Botenstoffen, bestimmten Zytokinen, und trägt zur Regeneration der Darmbarriere bei. Auch bei akuten Durchfällen kann ein Präparat aus Kamille, Myrrhe und Kaffeekohle empfohlen werden.
Aufgrund der Eigenschaft, das Blut zu verdünnen, und wegen der adstringierenden, sprich zusammenziehenden, Wirkung auf die Blutgefäße wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin eine Abkochung mit dem Harz der Myrrhe vor allem bei Blutstau angewendet. Patienten, die gängige Blutverdünner wie Warfarin oder Aspirin einnehmen, sollten daher vor einer innerlichen Anwendung dieser Pflanze stets ihren behandelnden Arzt befragen.
Für Frauen, die kurz vor dem Einsetzen der monatlichen Menstruationsblutung stehen, empfehlen die Hamburger Autorinnen Ulja Krautwald und Christine Li in ihrem an modernen Denkweisen ausgerichteten Buch »Der Weg der Kaiserin« einen Trunk, der unter anderem aus dem Harz des Myrrhebaumes bereitet wird. Dafür werden wärmende Gewürze wie Zimtrinde, Wurzeln von Ingwer und Kurkuma zusammen mit chinesischen Heilpflanzen und einigen Stückchen des Myrrheharzes 20 Minuten in kaltem Wasser eingeweicht, zum Kochen gebracht und bei geschlossenem Deckel weitere 20 Minuten bei geringer Hitze ziehen gelassen. Dieses warme Elixier können Frauen drei Tage vor der erwarteten Menstruation täglich trinken. Es erleichtert den Rückzug aus einem stressigen Arbeits- oder Familienalltag, wirkt beruhigend, erwärmt den Unterleib und lindert Schmerzen. Die Zutat Myrrhe darf nicht mehr als drei Gramm pro Tag betragen. Die innerliche Anwendung in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen, möglicherweise können größere Mengen des Harzes eine Fehlgeburt auslösen.
Wegen des herb-würzigen und bitter-aromatischen Geschmacks ist das Harz auch Bestandteil einiger Schwedenkräutermischungen, die mit Alkohol angesetzt werden, weil die Inhaltsstoffe auf diese Weise sehr gut herausgelöst werden. In afrikanischen Ländern, im Mittleren Osten sowie in Indien wird die Myrrhe außerdem bei Verletzungen, Wunden, Schmerzen, Tumorerkrankungen sowie Infektionen aller Art genutzt.
Die breite Anwendung der Arzneipflanze »Mir’rah«, wie sie im Arabischen ausgesprochen wird, häufig parallel zu bereits verschriebenen Standardmedikamenten, hat Forscher an der King-Abdullah-Universität in Saudi-Arabien dazu bewogen, ihren Einfluss auf den Medikamentenabbau in der Leber näher zu untersuchen. In der Tat werden bestimmte Enzyme in der Leber durch die Inhaltsstoffe der Myrrhe aktiviert, was einen schnelleren Abbau von Medikamenten bewirken kann. Dafür sind noch weitere wissenschaftliche Studien erforderlich. Als Duft in der Weihnachtszeit kann die Myrrhe in jedem Fall auch weiterhin zu einer besinnlichen Stimmung beitragen.
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