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Knirpse und Knirpselinen

Nikolai Nossows »Nimmerklug-Geschichten«: Auch Kinder von heute werden sie lieben, fest versprochen

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass es in Blumenstadt nun eine Schilfrohrwasserleitung gibt, dass Springbrunnen plätschern - und vor allem, dass fortan kein Knirps mehr eine Knirpseline beleidigt, war wirklich erfreulich. Weil sich am Ende alles zur Harmonie wendet, habe ich dieses Buch als Kind wohl glücklich zugeschlagen.

Aber in Erinnerung behalten habe ich über all die langen Jahre den Wortwitz, die Turbulenzen, das Unerwartete, das Bizarre. Allem voran das »Brauseauto«, nicht wegen brausendem Fahren so genannt, sondern weil es tatsächlich mit Brause fährt. Schraubschnell und Schraubstift hatten es konstruiert, und die neueste Verbesserung war, dass sich am Tank ein Schlauch mit Hahn befand, man also während der Fahrt Brause trinken konnte, ohne das Auto anzuhalten. Klar, dass Saftschleck das Autofahren besonders liebte. Nimmerklug aber riss nur wild an den Hebeln, drückte auf die Pedale und stürzte mit dem Auto schließlich einen Abhang hinunter. Er wurde herausgeschleudert, hatte Splitter im Hintern, und der Wagen versank im Fluss.

Nicht dass er dafür bestraft worden wäre, nein. Was mir damals schon an Blumenstadt gefiel: Jeder von den Knirpsen darf so sein, wie er ist. Der Maler Farbenklecks, der Musiker Geigenstrich, der Arzt Rizinus, die Knirpseriche Rennefix, Brummer, Schweigestill, Nudeldick, Schussel, Schnurz und Piepe sind jeder für sich besonders und schon an ihren Namen zu erkennen. Man zankte sich, vertrug sich wieder, und niemand hatte Lust, sich mit den Knirpselinen anzufreunden. »Die wiederum bildeten sich etwas darauf ein, Knirpselinen zu sein.«

Am Schluss wird das anders, wie gesagt, doch nicht von ungefähr hat Nikolai Nossow gerade Nimmerklug in den Mittelpunkt seines Buches gestellt. Er liebte diesen Draufgänger und Prahlhans, und auch Kinder können sich an ihm freuen, wie er im Brustton der Überzeugung allerhand Unsinn von sich gibt. Selbst Immerklug, der Klügste unter den Knirpsen, akzeptiert ihn und nimmt ihn sogar auf seiner Ballonfahrt mit, die jäh in Grünstadt endet.

Dort leben selbstbewusste Knirpselinen, die natürlich ebenso verschiedene Charaktere und Vorlieben haben. Insgesamt scheinen sie disziplinierter als die örtlichen Knirpse zu sein, die vor der weiblichen Ordnung nach Drachenstadt ausgewandert sind. Da kannst du beim Lesen überlegen, wo du es schöner findest.

Nimmerklug läuft in Grünstadt zu großer Form auf und genießt die Bewunderung der Knirpselinen. Dann aber … Jedenfalls kehren die Blumenstädter Knirpse verändert in ihren Heimatort zurück, und auch in Grünstadt ist manches anders geworden.

Der mehrfach preisgekrönte sowjetische Kinderbuch- und Filmautor Nikolai Nossow, 1908 in Kiew geboren und 1976 in Moskau gestorben, entstammte einer Familie von Bühnenkünstlern und war auch selber voller Ideen. In seiner Schulzeit richtete er auf dem Dachboden des Hauses ein geheimes Chemielabor ein. Um die Familie zu ernähren, nahm er die verschiedensten Gelegenheitsarbeiten an. Mit 19 begann er am Kunstinstitut in Kiew zu studieren, wechselte von der Fotografie bald zur Filmkunst und später zur Kinderliteratur. Er war der Überzeugung, dass man Kindern »die höchste und wärmste Achtung« entgegenbringen müsse. Wobei der Witz ist, dass die winzigen Knirpse und Knirpselinen gleichzeitig Kinder und Erwachsene sind. Und Nimmerklug mit seinem Tatendrang, seiner Unkonzentriertheit und seinem Geltungsdrang ist unter ihnen wohl am meisten Kind, deshalb mag man ihn ja so sehr.

Das Lieblingsbuch meiner Kindheit - mit »Nimmerklug in Sonnenstadt« gibt es eine Fortsetzung, jetzt auch vom Leipziger Kinderbuchverlag Leiv zu haben. Die Buchumschläge sind original, im Format allerdings etwas kleiner. Die Illustrationen von Alexej Laptew habe ich als Kind schon großartig gefunden, die grandiose Übersetzung von Lieselotte Remané allerdings wie selbstverständlich hingenommen. Heute vermag ich hochzuschätzen, welche Herausforderungen sie zu bewältigen hatte. Und ich weiß auch, dass Nimmerklug im Buch »Das Reich der Knirpse« der russischen Schriftstellerin Anna Chwolson einen Vorgänger hat. Sie war nach Paris emigriert; Nossow besaß eine Ausgabe aus der Zeit vor der Revolution. Steckt in seinem Buch eine revolutionäre Utopie? In Knirpsenland herrscht soziale Gleichheit, Geld ist unbekannt, man arbeitet gemeinsam, glaubt an den Fortschritt. Nimmerklug aber verkörpert das Chaos, das auch zum Leben gehört.

Nikolai Nossow: Nimmerklug im Knirpsenland. A. d. Russ. v. Lieselotte Remané, Illustr. v. Alexej Laptew. Leiv, 175 S., geb., 14,90 €.

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