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In Prerow waren schöne Wochen ...

Auszüge aus dem Briefnachlass des Zeichners und Karikaturisten Albert Schaefer-Ast aus den Jahren 1939 bis 1951. Er enthält Briefe an seine Frau Steffi und Tochter Susanne, die vor dem Faschismus nach Großbritannien geflohen waren

  • Lesedauer: 8 Min.

25. 6. 1939

Liebe Steffie,

»... und wundere mich, dass ich noch lebe«

Albert Schaefer-Ast war in ganz Deutschland für seine humorvollen Zeichnungen, Illustrationen und aquarellierten Naturstudien bekannt. Die Nazis belegten ihn mit Berufsverbot. Der Maler zog sich nach Prerow auf dem Darß zurück und durchlebte gefährliche und von Hungertod und Typhus bedrohte Zeiten.

Seiner jüdischen Frau und ihrer Tochter Susanne gelang unabhängig voneinander die Flucht nach Großbritannien. Über Jahre schrieben sie sich, erst 1951 kam es zu einem Wiedersehen der drei in Berlin; kurz darauf starb Schaefer-Ast. Seine hier erstmals veröffentlichten Briefe an Frau und Tochter sind liebevolle private und berührende zeitgeschichtliche Zeugnisse eines Künstlers in schwierigsten Verhältnissen. Sie werden begleitet von Zeichnungen, deren schwungvoll-karger Strich die unverwechselbare Handschrift des Künstlers und seine den Widrigkeiten trotzende heitere Fantasie offenbaren.

heute Morgen das Telefongespräch hat mir wohlgetan, es war mein Sonntag. Zu schade, dass Du so wenig auf dem Posten bist. Hoffentlich stimmt Dich der normale Ablauf etwas ruhiger, und Du erholst Dich auf den Schreck, und Du trittst vergnügt deine Sommerreise an. So musst Du denken. Und siehst Mopsie! und Schottland. Es wird bestimmt alles gut werden. Zu Dienstag (Berlin) möge der Herr Dir Kraft verleihen, das muss schwierig sein. Wir waren erst einmal am Strand! Kannst Dir denken, wie wir schuften. Also morgen kommt Peter. Ich schreibe dann wieder.

Dein Ast

Der folgende Brief …[ist] an [Tochter] Susanne im Haus Rozelle, das ihren Pflegeeltern Claud und Veronica Hamilton gehörte, in Ayr adressiert.

Prerow, Freitag, 28. Juli

Liebe Susanne,

heute bekam ich Muttis Brief, dass sie schon Mittwoch abgefahren ist. [D. h., Steffie verließ Ayr nach einem Besuch bei Susanne im Haus Rozelle] Na! Das müssen ja wunderschöne Tage gewesen sein in Ayr. Mutti war auch ganz begeistert von der schönen Umgebung und vom Haus und von der lieben Familie Hamilton. Und von Craster und Dackelbaby. [Craster und Dackelbaby: die Dackel der Familie Hamilton, die eigentlich Castor und Pollux hießen.] Wir leben auch noch immer ein rechtes Ferienleben, nur dass ich jetzt Luise mitgebracht habe aus Berlin, die jetzt für uns kocht. Heute gab es Bratwurst mit grünen Bohnen und neuen Kartoffeln. Hinterher Kirschkompott von eigenen Kirschen. Zum Frühstück gibt es Peters Radieschen, auch Salat hat er gepflanzt und seinen Sonnenblumenpfad, aber den kann man nicht essen. Als ich in Berlin war, um Mami an die Bahn zu bringen, da haben Peter und ein Freund von mir aus der Düsseldorfer Zeit allein gekocht, da gab es viel Makkaroni, Pellkartoffeln und Hering und Bratkartoffeln mit Ei. Ich habe noch eine große schwarze Bratpfanne (handgeschmiedet, man sieht jeden Hammerschlag) beim Dorfschmied gekauft, nun braten sie doppelte Portionen; und als Luise kam, musste sie zuerst Kartoffelpuffer backen. Nächstens schicke ich als Drucksache die Blumen und Bilder aus der »Dame«, die ich in Prerow gemalt hatte.

Ich wünsche Dir noch recht schönes Wetter für deine Ferien und grüße Dich herzlich.

Dein Vater

BRIEFE 1946-1951

Man kann davon ausgehen, dass viele der Briefe von Schaefer-Ast an Steffie und Susanne nicht mehr existieren. Es ist jedoch unklar, inwieweit dies auf eine nicht erfolgte Zustellung aufgrund von Postschwierigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen ist. Die ersten unten aufgeführten Briefe aus der Nachkriegszeit deuten darauf hin, dass es nicht einfach war, den Kontakt wieder aufzunehmen.

Schaefer-Asts Briefe sind in einer Mischung aus der deutschen Vorkriegsschrift Sütterlin und der modernen Handschrift verfasst, manchmal mit verblasstem Bleistift und auf minderwertigem, sich auflösendem Papier. Wörter und Passagen, die nicht lesbar sind oder bei denen die Bedeutung unklar ist, sind durch Punkte gekennzeichnet [...].

Hochschule Weimar, den 9. 4. 1946

Liebe Steffie, liebe Susanne!

Ich freue mich so, Euch endlich ein Lebenszeichen geben zu können. Ich bin gesund geblieben und sitze seit Nov. 45 in Weimar als Professor der Hochschule für Bildende Kunst.

Peter ist im Osten vermisst, und ich bin bis heute noch ohne Nachricht. Es ist ja vieles geschehen, aber für heute erst mal die Grüße voll Freude über die Wiedersehensmöglichkeit.

Euer Pap

Wilhelm-Bode-Straße 9

Weimar, 13. IV. 1946

Liebe Steffie, liebe Susanne!

Na endlich, endlich habe ich Nachricht von Euch! Ich habe mich mächtig gefreut und von Tag zu Tag darauf gewartet. So oft geschrieben, zuletzt über Mrs Edith Pollitt. Und nun seid Ihr doch die Ersten! Mir ist es gut und schlecht ergangen, doch am Schluss wieder gut, und nun sitze ich im Weimarer Idyll in kleiner 3-Zimmer Mansarden Wohnung eines Einfamilienhauses am Stadtrand und wundere mich, dass ich noch lebe.

Der Architekt H. Henselmann, den ich von der »Dame« her kenne, ist Direktor der Hochschule hier, und der hat mich aus der schrecklichen Hunger-Misere von Prerow hierher gelotst als Professor für Buchkunst und Pressegrafik. In Berlin wurde ich am 23. Nov. 43 ausgebombt, und alles ist dort verbrannt. Zweimal hatte ich schon Brand in der Wohnung gehabt, und das dritte Mal fiel eine schwere Mine drauf, und obwohl wir drüben in der Bauschule im Keller saßen, waren wir fast tot. (Ernst war dabei.) Auch Wilhelm hat alles verloren. Na überhaupt, das ganze Tiergartenviertel war über Nacht weg, vom Bahnhof Zoo bis Brandenburger Tor, restlos weg, das kommt nie wieder. Nur leer gebrannte Pappkartons, die jetzt alle einstürzen, und was vom Tiergarten noch stand, ist jetzt im Winter abgeholzt und verheizt. Ein ganz verrückter Anblick. Kein Baum steht mehr, tatsächlich keiner - alles kahl. Die armen Meisen und Eichhörnchen!

Na! In Prerow war es noch gut bis Kriegsende, und dann kam es dicke, der Darß war Kampfgebiet, und da habe ich Schreckliches erlebt und war oft in Todesgefahr. Später kam der Hunger, ich kriegte die Ruhr, es war eine schwere Not, wie im 30-jährigen Krieg. Krähenschwärme, tote Pferde, der Typhuskarren rumpelte durchs Dorf, und so allerhand passierte, es ist wie ein böser Traum. Das ist nun alles vorbei, und nun wird’s wohl langsam besser werden.

Peter ist im Osten »vermisst«, doch hoffen wir, dass er lebt, weil er in einem großen »Kessel« bei Witebsk 1943 verschollen ist. Kurt Heinz ist tot, Ursula ist verheiratet und hat schon einen Sohn. W + K [Wilhelm und Käthe] leben in kl. Zimmer in Westend. Willy Jackel ist tot (Bombe). Käthe Möller und ihre dänische Mutter haben sich in Berlin vergiftet beim Einmarsch der - na, genug der schrecklichen Sachen. Ernst und Otto sind kriegsgefangen im Westgebiet. Von Lotte nix zu hören. Heute kriegte ich von Else Plöger ’ne Karte (aus Prerow, nachgesandt). Sie will mir was Interessantes mitteilen, schreibt sie. Aber genug für heute. Ich bin so glücklich, von Euch zu hören, und glaube, dass nun alles gut wird. Zuerst nun mal brieflich alles Gute und herzliche Grüße und Küsse von Eurem Pap

Wilhelm-Bode-Straße 9

Weimar 13. 9. 51

Liebe Steffie, liebe Susanne!

So, nun bin ich wieder in Weimar gelandet. Mein Häuschen war ganz wild zugewachsen und die Wege voll Gras.

In Prerow waren schöne Wochen, sie haben mich sehr erfrischt. Zurückgereist bin ich mit dem Reiseomnibus »Brandenburg« Express direkt Prerow-Berlin mit allem Comfort. Ich habe ein paar Tage bei Henselmann gewohnt. Es war gerade Hitzewelle, und ich saß im Garten unterm Apfelbaum. Gubalkes waren verreist nach Bad Gastein wegen Konrads Rheumafingerchen. Zu komisch, dass Jeanette so großzügig war und Schmalhausen so kleinlich (er hat 15,- Westmark = 75,- Ostmark für das Besorgen der Flugkarten berechnet!). Ich habe ihn zwar angerufen, aber abgelehnt, ihn zu besuchen, »ich hätte keine Zeit«. Dafür war ich mit anderen Künstlern zusammen.

Na! Und nun sitze ich wieder in Weimar. Lotte hat in Berlin noch mit Wonne die letzten Westmark verquetscht, hat sich eine blaugestreifte Waschbluse und gem. Pfeffer und mir eine Armbanduhr (dieselbe wie Deine) gekauft. Wahrscheinlich hofft sie, sie zu erben, wenn ich eine bessere kriege.

So ist nun auch unser Urlaub zu Ende. An der Schule geht alles erst mal weiter. Ich will versuchen, noch eine Nachkur in Bad Liebenstein auf Staatskosten zu kriegen, um die schönen Spätherbsttage zu genießen.

Das schöne gelbe Tablett steht auf der Kommode und Susannes Nonsenbuch auf meinem Nachttisch; so ziehe ich die Erinnerung an die schönen Tage in die Länge.

Nun seid herzlich gegrüßt, auch die Omi

von Eurem Pap

Zwei Tage nach dem Schreiben dieses Briefes starb Albert Schaefer-Ast am 15. September 1951 im Alter von 61 Jahren.

John Buck (Hrsg)/Albert Schaefer-Ast
»... und wundere mich, dass ich noch lebe«
Briefe und Burlesken von Albert Schaefer-Ast
240 Seiten, gebunden
16,00 EUR
ISBN: 978-3-359-03016-4 Erschienen im Eulenspiegel-Verlag

John Buck, Herausgeber der »Briefe und Burlesken von Albert Schaefer-Ast«, wurde 1925 geboren und war der Ehemann von dessen Tochter. Der ehemalige Offizier der Royal Army und Journalist lebt in London. Buck hat seinen Schwiegervater nie persönlich kennengelernt. »Leider«, sagte er mal in einem Gespräch für die »Frankfurter Rundschau«, »wir hätten uns bestimmt gemocht.« 1954, drei Jahre nach Schaefer-Asts Tod, heiratete er in England die Tochter des Künstlers, Susanne. 2002 ist sie gestorben, mit 75 Jahren. Für John Buck ist es daher auch eine Art Vermächtnis seiner Frau, die Erinnerung an ihren Vater wachzuhalten und der Familie eine späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Albert Schaefer-Ast (1890-1951) war als Zeichner und Karikaturist in Berlin, Weimar und Prerow tätig. Nach Bildhauer-Lehre, Besuch der Kunstgewerbeschule Düsseldorf und Wanderjahren in Europa arbeitete er ab 1913 für diverse Zeitschriften, darunter »Simplicissimus«, »Uhu« und »Der heitere Fridolin«. Im ersten Weltkrieg verlor er durch eine Kriegsverletzung ein Auge. Er war befreundet mit Erich Kästner, E. O. Plauen, Erich Knauf, Hermann Henselmann sowie Jeanne Mammen. Da die Nationalsozialisten Schaefer-Asts Arbeiten als »entartet« einstuften, wurde er mit einem Ausstellungs- und Arbeitsverbot belegt und zog sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in das Fischerdorf Prerow auf dem Darß zurück. Im Jahr 1945 erhielt er eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Baukunst und bildende Künste in Weimar, die er bis zu seinem Tod innehatte. Schaefer-Ast illustrierte viele Bücher, etwa »Die Geschichte von dem Hute« von Christian Fürchtegott Gellert, »Der kleine Gustav« von Wolf Durian und »Das Traumboot« von Erich Knauf.

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