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Glückselige Dreieinigkeit des Tuns

Wer ist die wichtigste Person auf See? »Der Schiffskoch« - wer denn sonst? Auf einen Ritt mit Mathijs Deen

  • Thomas Bruhn
  • Lesedauer: 5 Min.

Lange ist es mir nicht mehr passiert, dass ich nach dem Mittagessen - Lammcurry mit Camargue-Reis, Camembert, Mousse au Chocolat und Espresso - ein Buch aufschlug und die Uhr kurz nach sieben zeigte, als ich den letzten Satz gelesen hatte. Auf einen Ritt, sagt man wohl. Passiert so etwas, müssen gute Gründe vorliegen. In diesem Fall drei - eine glückselige Dreieinigkeit des Tuns.

Der Text des Niederländers Mathijs Deen ist nicht lang, knapp über 100 Seiten, und normalerweise wäre das Lesen in zwei, drei Stunden erledigt. Normalerweise. Aber was ist bei einer Geschichte über einen Schiffskoch schon normal?

Es fängt damit an, dass der Koch nicht auf einem Dampfer am Herd steht, der die Meere befährt, sondern auf einem Feuerschiff - auf einem Schiff, das mit elf Mann Besatzung an der Kette liegt. Ich vermute, keiner Landratte muss man erklären, was ein Feuerschiff ist und was seine Aufgabe ist beziehungsweise war, denn mit dem Einzug von GPS und AIS werden mehr und mehr Feuerschiffe ausgemustert. Und wenn doch: Es ist so etwas Ähnliches wie ein Leuchtturm. Auf jeden Fall sollte man wissen: Der Dienst auf einem Feuerschiff war kein Zuckerschlecken und nicht ungefährlich, denn ein Feuerschiff hatte keine Maschine, keine Schraube und kein Ruder; es war nicht möglich sich bei Gefahr aus dem Staub - oder besser aus der Gischt - zu machen. Die Mannschaft konnte bei Sturm nur hoffen, dass die Ankerkette nicht bricht, und bei Nebel, dass sie nicht versenkt wird.

Das Feuerschiff »Texel«, von dem hier die Rede ist, wurde 1992 außer Dienst gestellt. Man kann es heute noch im Hafen von Den Helder besichtigen. »Elbe 1«, an dem ich noch vorbeigesegelt bin, und »Elbe 2« folgten ein paar Jahre später. Übrigens: »Texel« oder »Elbe« waren nicht die Namen der Schiffe, sondern die Namen der Positionen, unter denen sie in Karten und Handbüchern verzeichnet waren. So wie andere Tonnen auch.

»Texel« also. Der Koch Lammert redet nicht viel, so wie die meisten Leute an der Küste sich unerklärlicherweise einem Schweigegelübde hingeben. Und er hat, so wie jeder Koch, ein Geheimnis. Je besser der Koch, desto ungewöhnlicher sein Geheimnis. Die Menagerie auf dem Feuerschiff ist bunt, und jeder kann seinem Spleen frönen. Lammert zum Beispiel hat es nicht leicht mit den Vorgesetzten, grantelt eher mit ihnen, als dass er es locker angehen lässt. Er könnte entspannt und gelassen sein, denn auf jedem Schiff, egal ob Kreuzfahrer, Container oder Fischer, ist der Koch wichtiger als der Kapitän. Der Kapitän hat zwar das Kommando, aber ob es der Mannschaft gut geht, ob sie bei bester Laune ist und Lust auf Arbeit hat - das entscheidet der Koch. Die Mahlzeiten teilen den Tag ein und lassen die Anzahl der Tage an Bord überschaubar erscheinen: Noch dreimal Kuchen, dann können sie uns suchen!

Es ist wohltuend, einen Text zu lesen, der sich von der unsäglichen Mittelstandsmeterware unterscheidet, die uns allerorten gepriesen wird. Was interessieren schon die hübsch aufgeputzten Befindlichkeiten von Protagonisten, die irgendwas mit Medien machen? Da kommt eine unaufgeregt erzählte Geschichte, in der die Poesie des Alltags entdeckt wird und die handfeste Arbeitswelt das Sujet gibt, gerade recht.

Lob gebührt dem Übersetzer Andreas Ecke, der es verstanden hat, eine im wahrsten Sinne des Wortes köstliche und gut lesbare Sprache zu finden, sodass es ein Vergnügen ist, Satz für Satz zu lesen. Die Lektüre war ein Balanceakt: Je weiter ich in der Geschichte vorankam, desto langsamer las ich, weil ich nicht vorzeitig zum Schluss kommen wollte; aber ich las weiter, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht.

Andreas Ecke hatte eine schwierige Aufgabe zu lösen: Zum einen wollte er die nautischen Fachbegriffe verwenden, um dicht und glaubhaft am Geschehen zu sein; auf der anderen Seite sollten die Begriffe auch denen verständlich sein, die noch nie einen Fuß auf Planken gesetzt haben und denen die Seemannssprache ein Buch mit sieben Siegeln ist. Dass eine Treppe auf einem Schiff Niedergang heißt, auch wenn sie nach oben begangen wird, scheint mittlerweile allgemein bekannt zu sein, aber der Unterschied zwischen Kajüte und Kammer ist trotz »Traumschiff« noch nicht klar. Wer die Serie »Zur See« gesehen hat, für den schon eher. Also: Wer die Reise bezahlt, logiert in einer Kajüte; wer auf dem Schiff arbeitet, wohnt in einer Kammer. Ecke changiert geschickt von der Kajüte zur Kammer und schlägt damit alle Fliegen.

Zum Schluss ein Wort zu denen, die sonst kaum in Rezensionen erwähnt werden: Der Mare-Verlag ist bekannt für seine nobel gearbeiteten Bücher. So auch hier: Von der Schrift über den Satz bis zum Einband ist alles aus einem Guss. Schlägt man das Buch auf, stellt man fest, dass es sogar gut riecht! Schnuppern Sie mal an einem E-Book ... Und jenen, die gern Titelbilder betrachten und zu entschlüsseln imstande sind, stellt sich auf dem Umschlag die zweite Hauptperson vor. Die Damen und Herren vom Verlag haben sich alle Mühe gegeben, sodass den Lesern das Vergnügen bleibt.

Mathijs Deen: Der Schiffskoch. A. d. Niederl. v. Andreas Ecke. Mare-Verlag, 112 S., geb. 18 €.

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