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Zwei Planeten krachen aufeinander

Die großen Fragen zur menschlichen Existenz: Der Roman «Zwischen Du und Ich» von Mirna Funk

  • Helen Roth
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich will irgendwas. Irgendwas, das anders ist. Ich will ein anderes Leben. Ich bin vor einer Woche fünfunddreißig Jahre geworden und allein. Ich bin Jüdin und war noch nie in Israel. Ich habe mich in den letzten Jahren meinem Studium und der Forschung gewidmet, und dabei ist mein Leben auf der Strecke belieben.« Nike Waldmann, die Protagonistin von Mirna Funks neuem Roman »Zwischen Du und Ich« steckt fest.

Ihr Leben in Berlin verläuft streng nach Plan. Nike bewältigt ihren Alltag als Mitarbeiterin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gewissenhaft und strukturiert, doch unter der Oberfläche brodelt es. Die sicheren Wände der Ordnung, die die Akademikerin fein säuberlich um sich hochgezogen hat, werden immer mehr zum Gefängnis.

Jeden Tag kommt sie am Stolperstein ihrer Urgroßmutter Dora vorbei. Was genau die Nazis ihr angetan haben, ist ungewiss, ein dunkles Familiengeheimnis, über das der Schmerz das Schweigen gelegt hat. Instinktiv spürt Nike, dass sie daran etwas ändern muss, wenn sie zu sich selbst finden will.

So wagt sie den Neuanfang, indem sie sich auf eine Spurensuche in die Vergangenheit begibt. Ein Jahr will Nike in Tel Aviv ein Alija, ein Einbürgerungsjahr machen. Ihre langjährige Freundin Trang gibt ihr noch den Rat mit: »Mach einfach alles, was du eigentlich nicht machen willst. Vieles davon ist unnötig, einiges wird dein Leben verändern.« Gesagt, getan. Nike verliebt sich in Noam. Der Anfang 40-Jährige ist Kolumnist bei der israelischen Tageszeitung »Haaretz«. Seine Zeilen und sein Wesen faszinieren sie.

Als ersten Mann seit Jahren lässt Nike ihn in ihr Leben - wie zwei Planeten lässt Funk ihre beiden Protagonisten in der pulsierenden Stadt Tel Aviv aufeinanderkrachen. Sie verschmelzen förmlich miteinander, reiben sich aber auch aneinander auf. Denn Noam verbirgt einen großen Teil seiner Lebensgeschichte vor Nike. Sein Vater ist gestorben, als Noam noch klein war. Seine Mutter hat daraufhin Israel verlassen und ist nach Deutschland zurückgekehrt. Noam ist deshalb bei seinem Onkel groß geworden, der sich, gelinde gesagt, mehr schlecht als recht um ihn gekümmert hat. Anschaulich und ergreifend legt Funk offen, wie die junge Liebe von Ereignissen der Vergangenheit überschattet wird. Die Wunden der beiden scheinen zu frisch, zu weit offen, als dass sie eine schnelle Heilung beieinander finden könnten.

Wie ihre Hauptprotagonistin ist Mirna Funk in Ost-Berlin geboren und lebt mittlerweile zeitweise in Tel Aviv und der deutschen Hauptstadt. Die Kenntnisse über die beiden Städte und deren Bewohner lässt sie unmittelbar in ihren Roman einfließen. Fast hat man beim Lesen das Gefühl, selbst durch die Straßen zu streifen. Damit zeichnet die Autorin ein liebevolles wie schonungsloses Porträt besonders von Tel Aviv und zeigt zugleich anschaulich, was es heißt, als Teil der dritten Generation der Holocaust-Überlebenden sein Dasein zu behaupten.

Mirna Funk ist mit »Zwischen Du und Ich« ein furchtloser wie einfühlsamer Roman über Gewalt, Liebe und die Hoffnung auf einen Neuanfang gelungen. Wie schon in ihrem ersten Roman »Winternähe«, der 2015 mit dem Uwe-Johnson-Preis ausgezeichnet wurde, nimmt die Frage, wie sich die Gegenwart mit der Vergangenheit in Einklang bringen lässt, eine zentrale Rolle im Roman ein.

Mittlerweile ist sich die Wissenschaft darüber einig, dass Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden können. Aber wie geht man mit diesen Bruchstellen im Leben um? Kann es überhaupt gelingen, sich mit diesen zu versöhnen?

Dieser großen Fragen zur menschlichen Existenz hat sich Mirna Funk angenommen und damit ein Werk vorgelegt, das uns alle angeht - eine klare Leseempfehlung.

Mirna Funk: Zwischen Du und Ich. dtv, 304 S., geb., 22 €.

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