• Kultur
  • Frauenbilder in der späten DDR

Stolze und wilde Tänze

»Hosen haben Röcke an« - eine Ausstellung in der nGbK über neue Frauenbilder in der späten DDR

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

»Gegen die Führungsrolle des Mannes, gegen die Führer, gegen die Rollen, gegen die Bilder, gegen die Frauenbilder der letzten 40 Jahre!« Diese Forderung wurde noch am 8. November 1989 im Erfurter Rathaussaal erhoben. Anlass war ein Treffen der Bürgerinneninitiative »Frauen für Veränderung« in Erfurt. Zu den Initiatorinnen gehörte die »Künstlerinnengruppe Erfurt« um Gabriele Stötzer. Die Worte, die damals fielen, entbehren auch heute, anderthalb Generationen später, nicht der Relevanz. Ein »Kleinkampf der Frauen mit den Söhnemännern im Großkampf mit den Machtvätern und im Eifersuchtskampf den anderen Frauen« wird konstatiert. Wer sieht das heute nicht in der politischen Arena, im Postenbesetzungspoker in Wirtschaft, Politik und Verwaltung und wer erlebt es nicht in den familiären Kämpfen?

Allein schon aus diesen Gründen ist es großartig, dass sich die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) entschlossen hat, ihre noch vorhandenen Galerieräume in der Kreuzberger Oranienstraße in der Mitte Berlins einem Rückblick auf diese Künstlerinnengruppe zu widmen. Kunst, Politik und soziale Praxis vermischen sich hier auf vielfältige, spannende Weise. Die Kunst drückte sich oft über Modenschauen aus. Mit Super 8-Kameras wurden die Models aufgenommen. In der Ausstellung erlebt man sie beim Flanieren über die Laufstege. Man sieht Frauen in quietschbunten Plastik-Outfits, die stolz und flirtend vor der Kamera posieren. Mal ist auch nacktes Fleisch zu sehen, mal bleibt der weibliche Körper hinter schrillen Panzerungen versteckt. Es sind Bilder eines ganz anderen Frauseins zu sehen: Weg vom Klischee der zwar selbstbewussten Arbeiterin, Lehrerin, Ingenieurin, die aber eingepasst war ins Produktions- und Ideologiegefüge, statt dessen frei, wild, schräg, eine Mischung aus Punk, Stilbewusstsein und Penthesilea.

Kostüme aus Textil, Metall und Plastik waren die Grundlage dieser Modenschauen. Von Marlies Schmidt, die ebenfalls zur Gruppe gehörte, ist ein aus Bewehrungsstahl vom Bauwesen gefertigter Brustpanzer in der Ausstellung zu bestaunen, der als Performanceobjekt diente. Modenschauen waren - neben Pleinair-Workshops, die Stötzer ebenfalls organisierte - Gelegenheiten, Menschen zu versammeln und künstlerische Ausdrucksformen jenseits der Akademien zu suchen und zu finden. Untergrundmodenschauen gab es in vielen Städten, in Berlin vor allem repräsentiert durch die Gruppe »Allerleihrauh«. Performancekünstler*innen wie Cornelia Schleime oder die Dresdner Autoperforationsartisten operierten ebenfalls an den Grenzen von Mode, Performance, Kunst.

Eine besondere, und wegen des Provinzstandorts ungerechtfertigterweise zu wenig beachtete Position in diesem Untergrundkunstmilieu hat die Künstlerinnengruppe Erfurt eingenommen. Ihr gehörten nur Frauen an; sie bildeten ein frühes feministisches Kunstkollektiv. Und sie hatten sich, im Gegensatz zu vielen anderen oppositionell eingestellten Künstlerinnen und Künstlern in der späten DDR dazu entschieden, das Land nicht verlassen, sondern es gestalten zu wollen, die Gesellschaft, den Alltag attraktiver und lebenswerter zu machen. Dies belegt unter anderem das Super 8-Video »Veitstanz«. In ihm geht es nicht nur um das wilde Tanzen von Frauen. In der altehrwürdigen Stadt Erfurt wurde diese lokale, aus dem Mittelalter stammende Tanz- und Versammlungspraxis aktualisiert, in die Gegenwart geholt.

Neben zahlreichen Super 8-Filmen sind auch einige künstlerische Objekte ausgestellt, so von Stötzer ein Wollanzug mit Maske und ein Coca Cola-Dress, gefertigt aus Büchsen des frisch in den Osten gelangten Getränks. Und Verena Kyselka fertigte ein Nachrichtensprecherinnenkostüm aus Drähten und Antennenelementen an.

Kleine abgetrennte Kabinette sind Sonderthemen gewidmet. Die Künstlerinnengruppe bot etwa auch einer jungen Frau, der beide Kinder durch Adoption weggenommen worden sind, eine Heimstatt. Ihre so traurige wie wütend machende Geschichte kann man im MDR-Feature »Fremde Mutter, fremdes Kind« in der Ausstellung nacherleben, nachhören.

Ein weiteres Kabinett problematisiert die Bespitzelung durch die Staatssicherheit. Gleich mehrere sogenannte »Operative Vorgänge« dienten der Einschüchterung und Verfolgung der couragierten Künstlerinnen. Durch die kopierten Akten der Geheimdienstbehörde wird das dichte Überwachungsnetz deutlich, das fast flächendeckend die ganze Republik erfasste. Im Gegensatz zu vielen anderen vergleichbaren Geschichten gibt es hier aber ein (selbst-)befreiendes Finale. Denn die Künstlerinnengruppe organisierte auch die DDR-weit erste Besetzung einer Zentrale der Staatssicherheit. Dazu gingen Stötzer und Kolleginnen in Erfurter Betriebe und forderten Arbeiterinnen und Arbeiter auf, mit ihnen zu kommen. Die Frauen drohten dem damaligen Dienststellenleiter der Staatssicherheit mit einem Generalstreik, wenn er nicht spätestens zwölf Uhr mittags die Tore seines Hauses öffne. Tatsächlich öffneten sich Punkt zwölf Uhr mittags die Tore, berichtet Stötzer nicht ohne Stolz in einer Videodokumentation. Eine Generalstreikandrohung konnte im Herbst 1989 also schon manches bewirken.

»Hosen haben Röcke an« ist eine vielschichtige Ausstellung über Frauen mit Lust auf Veränderung und auf Selbstbestimmung. Sie hatten gelernt, mit den eigenen Ängsten umzugehen. Stötzer erwarb sich ihre Willenskraft und Unbedingtheit teils allerdings ausgerechnet im Gefängnis. Weil sie Unterschriften gegen die Ausbürgerung des Liedermachers und Systemkritikers Wolf Biermanns sammelte, wurde die junge Frau ins Frauengefängnis Hoheneck inhaftiert, dem damals härtesten Frauenknast der DDR. »Dort gab es neben politischen Gefangenen auch Schwerstverbrecherinnen, etwa Mörderinnen und Bankräuberinnen. Mich hat damals umgehauen, wie viel zerstörerische Kraft in Frauen liegen kann. Über die Zeit wurde daraus auch die Erkenntnis, wie viel kreatives Potenzial es in Frauen gibt, welche starken Leidenschaften sie entwickeln können«, erzählt Stötzer in einer Interviewserie mit dem Journalisten Axel Reitel.

Die Disziplinierungsmaßnahmen, egal von wem gegen wen praktiziert und egal in welchem System, bewirken bekanntlich oft das Gegenteil des Beabsichtigten. So auch in der DDR jene gegen oppositionelle Gruppen und Individuen. Aber auch die andere Seite ist Fakt: Viele einstige Oppositionelle in der DDR sind heute nicht mehr sicht- und hörbar, haben sich enttäuscht und resigniert zurückgezogen. Auch die Künstlerinnengruppe, die den ostdeutschen Staat verändern wollte und der sich diese Ausstellung verdankt, gibt es nicht mehr. Die Emanzipation, die sie anstrebte, leider auch nicht. Das macht die historische Schau verdammt aktuell.

»Hosen haben Röcke an. Künstlerinnengruppe Erfurt 1984-1994«, nGbK/neue Gesellschaft für bildende Kunst, Oranienstraße 25, 10999 Berlin, bis 30. Januar, geöffnet 12 bis 18 Uhr, Fr. 12 bis 20 Uhr, Di. geschlossen, Eintritt frei

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