- Sport
- Diplomatenboykott der USA
Olympia auf politischem Glatteis
Die USA verkünden einen diplomatischen Olympiaboykott der Spiele in Peking. Der Druck auf Deutschland wächst
Wer das Wort Olympiaboykott hört und die 40 schon überschritten hat, denkt unweigerlich an Moskau und Los Angeles. Zunächst hatten 1980 Athleten aus westlichen Staaten auf ihren Start in der sowjetischen Hauptstadt verzichten müssen. Vier Jahre später kam die Retourkutsche des Ostblocks für die Spiele in den USA. Davor und danach gab es weitere Beispiele für politische Boykotte, und in einem sind sich fast alle Beobachter einig: Das zugrunde liegende Problem wurde nie gelöst. Immerhin hatte man es aber auch nicht schlimmer gemacht wie einst 1936, als sich die Welt gegen einen Boykott entschied und somit zum Handlanger der Nazipropaganda bei den Olympischen Spielen in Garmisch-Partenkirchen und Berlin machte.
2022 dürfen die Sportler bei den Winterspielen in Chinas Hauptstadt Peking antreten. Einen Boykott soll es dennoch geben, allerdings »nur« einen diplomatischen. Den verkündete am Montag US-Regierungssprecherin Jennifer Psaki: »Die Biden-Regierung wird keine Vertreter zu den Olympischen und Paralympischen Winterspielen in Peking entsenden. Grund sind der Genozid und Verstöße gegen Menschenrechte in Xinjiang sowie weitere Menschenrechtsverletzungen.«
Überraschend kam das nicht; schon mehrfach hatte Präsident Joe Biden diesen Schritt öffentlich in Erwägung gezogen. Den Vorwurf, dass in der Region Xinjiang ein Völkermord an der muslimischen Minderheit der Uiguren geschehe, hatten die USA erstmals unter seinem Vorgänger Donald Trump erhoben. Biden hat ihn nie revidiert, selbst wenn es ob der schwierigen Nachrichtenlage weiter umstritten ist, ob die Kombination aus Internierungslagern, Zwangsarbeit, Sterilisierungskampagnen und den von China so euphemistisch bezeichneten Umerziehungsmaßnahmen tatsächlich der Definitionen eines Genozids entspricht.
Mit der Boykottankündigung rückt diese Frage ohnehin in den Hintergrund. Vielmehr erhöht sich der Druck auf die US-Verbündeten, inklusive Deutschland. Wer schließt sich an? Der an diesem Mittwoch zum Bundeskanzler aufsteigende Olaf Scholz will sich noch nicht festlegen: Seine Regierung werde sich, »sehr sorgfältig und mit den Partnern in Europa und der Welt beraten«, sagte Scholz am Dienstag. Viele Länder hätten Regierungsformen, »die vollständig anders ausgerichtet sind, als das, was wir richtig finden«. Dennoch sei es wichtig, »gut miteinander auszukommen in der Welt«.
Das klang eher nach dem Standpunkt, den der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, einnimmt. Er erinnerte an die erst vergangene Woche verabschiedete UN-Resolution, die dazu auffordert, »den Sport als Instrument zur Förderung von Frieden, Dialog und Versöhnung während der Olympischen und Paralympischen Spiele zu nutzen«. Ansonsten sei die Boykottdebatte »rein politisch«, und das IOC bleibe wie immer neutral. Dieser Standpunkt spielt wiederum Olympiagastgeber China in die Karten, denn auf die Neutralität des Sports berufen sich chinesische Politiker nur allzu gern, wenn sie kritisiert werden. Washington solle aufhören, den Sport zu politisieren, sagte etwa Außenamtssprecher Zhao Lijian am Dienstag. Er kündigte zum wiederholten Male »entschiedene Gegenmaßnahmen« an, jedoch auch dieses Mal ohne Details zu nennen. Olympia sei jedenfalls keine Bühne für »politische Manipulationen«.
Dabei ist eindeutig, dass China selbst die Olympischen Spiele auch politisch zur Selbstdarstellung nutzt. Das Event hatte schon bei den Sommerspielen 2008 eine Größe erreicht, die Chinas Führung zur Demonstration von Macht und Einfluss in der Welt sowie von Vorherrschaft und Überlegenheit in der Region nutzten. Selbst wenn dies 14 Jahre später nicht der Fall wäre, würden Besuche ausländischer Politiker zu den Spielen in der heutigen Zeit als stillschweigende Anerkennung der Gegebenheiten im Gastgeberland angesehen werden. Und dieses Bild wollte Biden vermeiden. »US-Repräsentanten würden die Spiele trotz der ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten in Xinjiang als business as usual aussehen lassen. Und das können wir einfach nicht tun«, sagte Sprecherin Psaki.
Verhaltenes Lob gab es am Dienstag von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: »Das ist ein Schritt in die richtige Richtung«, sagte Sprecherin Mei Fong der Nachrichtenagentur AFP: »Es ist wirklich unmöglich, die Olympischen Spiele zu einer Zeit in China zu feiern, in der das Land so viele Menschenrechtsverletzungen begeht, insbesondere in Xinjiang.« Mit einer Reise von US-Politikern nach Peking war ohnehin nie gerechnet worden. Ebenso wenig werden deutsche Diplomaten an Schanzen, Pisten und Eiskanälen erwartet. Bislang aber stand noch die Begründung dafür aus: Corona oder Menschenrechte? Die USA haben sie für sich beantwortet. Den anderen chinakritischen Staaten steht dieser Schritt auf dem diplomatischen Drahtseil noch bevor.
Für Deutschland wäre ein diplomatischer Boykott übrigens gar keine Neuigkeit. Der letzte liegt gerade einmal acht Jahre zurück: Als russische Soldaten Ende Februar 2014 die ukrainische Halbinsel Krim besetzt und annektiert hatten, entschied sich die Bundesregierung wenige Wochen später, keine Diplomaten zu den Paralympics ins russische Sotschi zu entsenden. Die deutschen Behindertensportler durften am Schwarzen Meer aber antreten. Den Krieg in der Ostukraine, dem seither mehr als 13 000 Menschen zum Opfer gefallen sind, hat das nicht stoppen können. Ob sich an der Lage der Uiguren in China nun etwas ändert, scheint bis jetzt auch ziemlich unwahrscheinlich zu sein.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.