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  • Komödie »Notre Dame«

Fabelhafte Ohrfeigen

In der französischen Komödie »Notre Dame« möchte Valérie Donzelli Paris realistisch und trotzdem poetisch zeigen, wie sie es selber meint. Das ist ihr gelungen, aber warum »trotzdem«?

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 5 Min.
Sie ist keine Antiheldin, man hat sie eigentlich gern. Und doch fällt es schwer, ihre Wurschtelei gelassen zu verfolgen. Valérie Donzelli als Maud Crayon.
Sie ist keine Antiheldin, man hat sie eigentlich gern. Und doch fällt es schwer, ihre Wurschtelei gelassen zu verfolgen. Valérie Donzelli als Maud Crayon.

Es gibt Städte, die will man eigentlich nicht mehr auf der Leinwand sehen. Jahrzehntelang sind New York, Berlin, Paris vom Kino derart gründlich in Kitsch verwandelt worden, dass selbst Emmanuel Benbihys peinliche Cities-of-Love-Reihe (2006, 2008, 2019) da kaum noch mehr zerstören konnte. Wer heute was mit Paris macht, muss es anders angehen. Der plakative Titel »Notre Dame« war schon zum Angstkriegen, doch der Film, der dranhängt, ist in der Tat anders. Und auch wenn er sich mit konkreten Bezügen zurückhält, kann er zeitlich eingeordnet werden. Seine Handlung findet irgendwann nach den Terroranschlägen 2015 und vor dem Notre-Dame-Brand 2019 statt. In der Amtszeit von Anne Hidalgo, die sich dann auch in der karikaturhaften Rolle der Bürgermeisterin (Isabelle Candelier) wiedererkennen lässt.

Die Heldin des Films wird von der Autorin und Regisseurin Valérie Donzelli selbst gespielt, und mehr Hauptfigur geht nicht. Aufgrund der personalen Erzählweise ist Maud Crayon, denn so heißt sie, in fast jeder Szene anwesend. Aus den Vogesen stammend, lebt sie in Paris, getrennt von ihrem Ex-Mann Martial (Thomas Scimeca), mit dem sie zwei Kinder hat. Als Angestellte in einem Architekturbüro wird sie von ihrem Chef (Samir Guesmi) getriezt, doch dann gewinnt sie aufgrund einer magischen Begebenheit die Ausschreibung zur Neugestaltung des Vorplatzes der Notre-Dame-Kathedrale: Mauds Modell schwebt aus dem Fenster ihrer Wohnung durch die Pariser Nacht in das Büro der Bürgermeisterin. Recht bald führt der artifizielle Entwurf sexueller Konnotationen wegen zu einem Shitstorm der katholischen Gemeinde, und auch privat hat Maud, von ihrem Ex-Mann schwanger und verliebt in ihren Jugendschwarm Bacchus (Pierre Deladonchamps), gehörig zu strampeln.

Sie ist keine Antiheldin, man hat sie eigentlich gern. Und doch fällt es schwer, ihre Wurschtelei gelassen zu verfolgen. Maud bekommt den Alltag nicht in den Griff: Chaos als Regel, Rückfälle mit dem Ex, parentifizierte Kinder, Notlügen, die immer nur weitere Probleme schaffen - eine unbeabsichtigte Schwangerschaft fällt da kaum aus dem Rahmen. Privat ist Maud das Gegenteil einer Architektin: gestaltet nicht, plant nicht. Es dauert eine ganze Filmhandlung, bis sie begreift: »Es gibt kein Zurück, jedes Zurück ist in Wahrheit eine neue Reise.«

Die mit der persönlichen bloß lose verflochtene öffentliche Handlung erzählt eine andere Geschichte. Hier ist die Heldin im Grunde für gar nichts verantwortlich, das ihr zustößt - es sei denn, man will ihr vorwerfen, nicht daran gedacht zu haben, prüde Christen könnten in ihrem Intervallspringbrunnen eine Modern-Art-Auflage des Manneken Pis erblicken. Der Film ist in diesem Fabelstrang viel zu weich, führt das, was er ganz offenkundig erzählen will, nicht scharf genug aus. Die Neugestaltung des Vorplatzes, erfährt der Zuschauer beiläufig, ist Teil einer Kampagne, die von den Terroranschlägen geprägte Stadt in ihren alten Zustand zurückzuholen. Dass jedes Zurück in Wahrheit eine neue Reise ist, müsste auch hier gelten, aber wir sehen es nicht. Vielmehr als um Laizismus scheint es um Fremdenverkehr zu gehen. Paris soll wieder Welthauptstadt des Sightseeing werden: Tourismus versus Terrorismus. Doch der Schuss verpufft noch im Lauf. Die katholischen Eiferer sehen, heißt es treffend, »das Böse überall, nur nicht bei sich«.

Dass der Architekturentwurf zu einem gigantischen Peniswitz gerät, entspricht derweil dem Konzept des Films überhaupt. Jede Anbahnung von Pathos wird im Keim erstickt. Wann immer Romantik, Sentimentalität, Selbstgerechtigkeit oder das Gefühl eigener Bedeutsamkeit auch bloß im Anmarsch scheinen, stechen eine Pointe oder ein Missgeschick wie eine heiße Nadel in den Ballon. Oder klatschen ins Gesicht wie eine Ohrfeige. Ohrfeigen nämlich durchziehen diesen seltsamen Film. Alle paar Minuten haut irgendwer irgendwem eine runter. Bevorzugt einander zufällig begegnende Passanten. Das erhält Bedeutung im Politischen, wenn Bacchus am Ende in einer Rede vor Gericht die Ohrfeigen zum Symbol eines lebendigen, diskursiven Laizismus hernimmt. Zugleich aber scheint der Film sie zu benutzen, wie sie eben auch benutzt werden können: als Mittel des Wachmachens. All die dichten surrealen Elemente - ein Presslufthammer, der erdbebengleich das ganze Gebäude durchrüttelt, bunte Montagen, Traumszenen, Gesangseinlagen (aber nicht nervend), eine Stummfilmsequenz (aber in Farbe) - lösen den Film von platter Alltagsprosa. Und die Ohrfeigen arbeiten gegen diese poetische Natur wie ein nötiges Gegengewicht, durch das der beständig abhebende Körper immer wieder auf den Boden zurückehrt.

»Notre Dame« will sich gerade nicht verlieren im Fantastischen wie »Die fabelhafte Welt der Amelie« (2001) es dereinst vorgeturnt hat, possierlich und zynisch gleichzeitig. Der Vergleich beider Filme drängt sich mit Rücksicht auf Machart und Schauplatz auf. Und er lässt sich ausweiten, denn indem »Notre Dame« mit dem Subgenre »Liebe im Pittoresken« bewusst spielt, zerstört es dessen Oberflächlichkeit. Gleich in der ersten Szene konterkarieren TV-Töne über Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Klimakatastrophen das Bild der Kamera, die über das fabelhafte Paris hinwegfährt. Dieser Liebesfilm soll einen sozialen Ort haben. »Amelie« hat das Soziale im Poetischen ausblenden, Richard Linklaters »Before«-Filme (1995, 2004, 2013) es in einem nicht enden wollenden, scheintiefen Gelaber ersticken und die Upper-Class-Schmonzetten »Love Actually« (2003) und »Call Me by Your Name« (2017) es durch striktes Standesbewusstsein erledigen wollen. Sie möchte, schreibt Valérie Donzelli, Paris »realistisch und trotzdem poetisch« zeigen. Das ist ihr gelungen, aber warum »trotzdem«? Poesie ist dem Vermögen nach immer realistisch. Weil sie Metapher sein, also bedeuten muss. Eine Poesie hingegen, die an der Oberfläche bleibt, die klingelt und funkelt, aber nichts aus sich hervorholt, verhält sich zur veritablen Poesie wie Klassizismus zu Klassik.

»Notre Dame - Die Liebe ist eine Baustelle«: Frankreich, Belgien 2019. Regie: Valérie Donzelli, Drehbuch: Valérie Donzelli, Benjamin Charbit. Mit: Valérie Donzelli, Pierre Deladonchamps, Bouli Lanners. 88 Minuten, Start: 9. Dezember.

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