Auslieferung rückt näher

Gericht in London hebt das Überstellungsverbot für den Wikileaks-Gründer Julian Assange an die US-Justiz auf

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Julian Assange hat im Kampf gegen seine Auslieferung an die US-amerikanische Strafjustiz einen Rückschlag erlitten. Ein Berufungsgericht in London hat am Freitag entschieden, dass der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks an die USA ausgeliefert werden darf, wo ihm eine langjährige Haftstrafe droht. Damit hat der High Court den Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts aufgehoben: Dieses hatte im Januar eine Auslieferung abgelehnt. Der Australier wird das Urteil wahrscheinlich anfechten.

In den USA ist Assange unter anderem der Spionage und der Anstiftung zum Hacken von Netzwerken angeklagt, ihm droht lebenslange Haft. Das Urteil sei »gefährlich und verfehlt«, sagte Assanges Anwältin und Verlobte Stella Moris. Sie kündigte an, gegen den Entscheid »zum frühestmöglichen Zeitpunkt« Berufung einzulegen. Es handle sich um eine »schwere Rechtsbeugung«. Auch Menschenrechtsgruppen kritisierten das Urteil der Richter: Reporter ohne Grenzen spricht von einer »zutiefst beschämenden Entwicklung«.

Im Januar hatte ein Gericht die Auslieferung untersagt, weil ein »erhebliches Risiko« bestünde, dass Assange Selbstmord begehen könnte. Die Richterin verwies auf die labile psychische Verfassung Assanges sowie auf seinen schlechten Gesundheitszustand. Sie sagte, eine menschliche Behandlung in US-amerikanischer Haft könne nicht garantiert werden. Während des Berufungsverfahrens beschwichtigten die Anwälte der USA: Der Beschuldigte würde nicht im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis ADX Florence in Colorado inhaftiert, und ihm drohe während der Haft in US-amerikanischen Gefängnissen keine unmenschliche Behandlung, versicherten sie.

Das Berufungsgericht akzeptierte diese Zusicherungen: Richter Lord Burnett sagte am Freitag, dass diese das Risiko des Suizids ausschlössen. »Wenn die [erstinstanzliche] Richterin diese Zusicherungen bereits gehabt hätte, dann hätte sie die relevanten Fragen anders beantwortet«, sagte Burnett. Damit gab er den Fall zurück an die tiefere Instanz und wies das Gericht an, den Entscheid über die Auflieferung dem Innenministerium zu übergeben.

Der Gerichtsfall gegen den 50-jährigen Assange geht zurück auf das Jahr 2010, als die Plattform Wikileaks eine riesige Sammlung von geheimen Militärdokumenten und Videos publizierte. Der Whistleblower Chelsea (damals Bradley) Manning hatte ihm das Material zugespielt. Am berüchtigtsten ist ein Video, in dem zu sehen ist, wie amerikanische Soldaten 18 Iraker von Helikoptern aus erschießen.

Kurz nach der Veröffentlichung der Dokumente im Jahr 2010 begannen die Ermittlungen der amerikanischen Justiz gegen Assange. Sie wirft ihm vor, das Leben von US-Informanten gefährdet zu haben. 2019 gingen die USA weiter und erhoben darüber hinaus Anklage unter dem Spionagegesetz, das noch aus dem Ersten Weltkrieg stammt. Im Fall eines Schuldspruchs könnte der Wikileaks-Gründer zu einer Gefängnisstrafe von bis zu 175 Jahren verurteilt werden.

2012 floh Assange in die Botschaft von Ecuador in London, wo ihm Asyl gewährt wurde. Fast sieben Jahre lange hielt er sich dort auf. Im April 2019, nach einem Regierungswechsel in Ecuador, wurde Assange das Asylrecht entzogen, die britische Polizei betrat die Londoner Botschaft und nahm ihn in Haft. Seither befindet sich Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Sein Gesundheitszustand habe sich in den vergangenen zwei Jahren markant verschlechtert, sagen Angehörige und Anwälte.

Der unabhängige Berichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Mils Melzer, bezeichnete das Londoner Urteil im Fall Assange als »ein Armutszeugnis für die britische Justiz«. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sprach Melzer am Freitag von einem »politisch motivierten Urteil«.

Menschenrechtsgruppen haben wiederholt vor einer Auslieferung gewarnt. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und Human Rights Watch bezeichnen die strafrechtliche Verfolgung von Assange als »eine Bedrohung der Pressefreiheit rund um die Welt«.

Der Entscheid vom Freitag wurde denn auch von vielen Gruppen scharf kritisiert. Die Richter hätten »die zutiefst mangelhaften diplomatischen Zusagen der USA akzeptiert«, sagte Nils Muižnieks von Amnesty International. Sollte der Wikileaks-Gründer ausgeliefert werden, drohten ihm Haftbedingungen, »die der Folter gleichkommen«. Der Chefredakteur von Wikileaks, Kristinn Hranfsson, sagte nach der Urteilsverkündung: »Julians Leben ist erneut in großer Gefahr und genauso das Recht von Journalisten, Material zu veröffentlichen, das Regierungen und Konzerne für unangenehm halten.«

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