- Politik
- Klimaaktivismus
»Im Zweifel auch ins Gefängnis gehen«
Eine neue Klimagruppe will deutlich entschiedener zivilen Ungehorsam leisten, als es bislang getan wurde
Die Klimagerechtigkeitsgruppe »Aufstand der letzten Generation« ging aus einem Teil des »Hungerstreiks der letzten Generation« hervor. Warum wollten Sie noch eine neue Klimagruppe gründen?
Alma Jeschke: Aus demselben Grund, aus dem es den Hungerstreik gegeben hat: Weil die Regierung es nicht schafft, uns auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, sondern wir auf eine 2 Grad heißere Welt zusteuern. Millionen Menschen leiden jetzt schon unter Dürre oder Überschwemmungen und das wird noch schlimmer. Dagegen müssen wir auch in Deutschland noch mehr rebellieren.
Lea Bonasera: Wir vom »Aufstand« wollen Protestmittel aktiver nutzen, sie öfter wiederholen und nach Blockaden nicht einfach nach Hause gehen. Wir wollen entschlossener auf die Straße gehen, mit unseren Namen und Gesichtern für unsere Aktionen einstehen und dafür im Zweifel auch ins Gefängnis gehen.
Lea Bonasera (24) studierte Internationale Beziehungen in Amsterdam und Oxford und promoviert nun zu zivilem Ungehorsam am Wissenschaftszentrum in Berlin. Im September war sie im Hungerstreik, um ein Gespräch mit Olaf Scholz (SPD) über den Klimanotstand durchzusetzen.
Alma Jeschke (19) hat ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinder- und Jugendzentrum in Leipzig begonnen und abgebrochen, um die Gruppe »Der Aufstand der letzten Generation« mit aufzubauen.
Sie fordern von der neuen Bundesregierung ein Essen-Retten-Gesetz nach dem Vorbild Frankreichs und eine Agrarwende hin zu nachhaltiger Landwirtschaft bis 2030. Warum diese beiden Forderungen?
Jeschke: Ein Wegwerf-Verbot wäre einer der einfachsten Schritte, um unnötige Emissionen zu vermeiden. Und über Landwirtschaft wurde bislang in der Politik viel zu wenig geredet, obwohl darin eine große Chance liegt. Wenn wir die nicht nutzen, ist langfristig unsere Nahrung nicht gesichert.
Lea Bonasera, wie zufrieden sind Sie mit dem Gespräch mit dem SPD-Politiker Olaf Scholz, das Sie und ein weiterer Aktivist durch den Hungerstreik erstritten haben?
Bonasra: Es war wichtig, dass Olaf Scholz sich mit uns zu dem Thema zusammengesetzt hat, obwohl er uns ja lange ignoriert hatte. Wir wollten öffentlich darüber reden, dass es um Leben und Tod geht. Aber das Gespräch hat deutlich gezeigt, dass er kein Klimakanzler ist.
Da Ihre Forderungen bis Ende des Jahres vermutlich nicht umgesetzt werden, werden Sie ab Januar also wie angekündigt Autobahnen blockieren?
Bonasera: Wenn die neue Regierung die Forderungen nicht umsetzt und Ihrer Verantwortung nicht nachkommt, unser Recht auf Leben und Nahrung zu schützen, sehen wir die Notwendigkeit zu stören.
Was erwarten Sie davon? Glauben Sie wirklich, dass Sie so lange Autobahnen blockieren können, bis Ihre Forderungen erfüllt werden?
Jeschke: Ziviler Ungehorsam hat in der Geschichte schon viele Veränderungen vorangetrieben und wir sehen, dass das politische System gerade nicht in der Lage ist, die mutigen Lösungen zu liefern, die wir brauchen. Die Verantwortlichen müssen entweder unser Recht auf Leben schützen oder friedliche Klimaaktivist*innen wegsperren.
Bonasera: Und nur weil manche Proteste bislang vielleicht nicht zu den notwendigen Veränderungen geführt haben, heißt das nicht, dass ziviler Ungehorsam nichts bringt, sondern nur, dass er bislang vielleicht nicht gut genug gemacht wurde.
Sie haben zu Olaf Scholz gesagt, dass Sie eigene Träume aufgeben, um Ihr Leben dem Klimaschutz zu widmen. Was für Träume sind das bei Ihnen beiden?
Bonasera: Ich hatte im Kopf schon meinen lang ersehnten Doktor aufgegeben, aber zum Glück bekomme ich nun mehr Zeit dafür. Abgesehen davon ist es sehr schwierig für die Familie, wenn die Tochter beschließt, in den Hungerstreik und ins Gefängnis zu gehen.
Jeschke: Ich habe mein Freiwilliges Soziales Jahr abgebrochen, um in den »Aufstand« zu gehen, weil ich mich verpflichtet fühle, für das Richtige einzustehen. Eine Ausbildung zu machen, ist für mich nicht mit dieser Krise vereinbar. Dabei möchte ich auch zeigen, dass junge Menschen ohne Abitur gerade viel riskieren.
Lea Bonasera, Sie waren am Anfang Sprecherin der Hungerstreikenden und haben erst gegen Ende, als die meisten den Streik schon beendet hatten, entschieden, mit einem weiteren Aktivisten in den Hungerstreik zu treten. Wie kam es dazu?
Bonasera: Das hatte drei Gründe: Strategisch war ich der Meinung, dass wir an diesem schwächsten Punkt nicht aufgeben sollten, sonst zeigt das nur, dass man Klimaaktivist*innen einfach ignorieren kann. Zweitens wollte ich Henning Jeschke unterstützen, ihm drittens als Mann aber auch nicht das Feld überlassen. Mir war wichtig, dass auch noch eine Frau mit dem Hungerstreik in Verbindung gebracht wird.
Sie beide und Henning Jeschke touren gerade durch ganz Deutschland, um möglichst viele Menschen für die anstehenden Blockadeaktionen zu mobilisieren. Wie sieht Ihr Alltag gerade aus?
Jeschke: Wir sind eine Weile jeden Tag in einer anderen Stadt gewesen und haben versucht, möglichst viele Menschen zu erreichen. Zuletzt waren wir aber ein paar Tage in Hamburg, um auch mal durchzuatmen. An diesem Dienstag wollen wir mit einer Aktion in Berlin auf unsere Forderungen aufmerksam machen.
Bonasera: Die restliche Zeit bis Januar nutzen wir auch zur Vorbereitung der Aktionen. Es ist schön, das nicht alleine zu machen, nicht allein mit den eigenen Ängsten zu sein.
Wie reagieren die Teilnehmer*innen auf Ihre Vorträge?
Bonasera: Viele Leute sagen, sie seien uns dankbar, dass wir das machen, aber sie könnten sich das nicht vorstellen, was ich nachvollziehbar, aber sehr frustrierend finde. Manche werfen uns vor, die Regierung zu erpressen. Das Argument kann ich nicht verstehen, da die Regierung ihre eigenen Gesetze nicht einhält.
Zurzeit wird ja viel über eine Spaltung der Klimagerechtigkeitsbewegung in moderate und radikalere Gruppen geredet. Fridays for Future Berlin hat sich beim vergangenen Klimastreik zum Beispiel gegen die Aktionen zivilen Ungehorsams gesträubt. Auch Ihr Hungerstreik wurde innerhalb der Klimabewegung teilweise als »zu radikal« kritisiert. Wie sehen Sie das?
Jeschke: Ich finde es schwierig von einer Spaltung zu reden, weil wir eigentlich alle dasselbe Ziel haben.
Bonasera: Das Einzige, das uns unterscheidet, sind die Methoden. Ich respektiere die der anderen, aber habe natürlich meine Meinung über den strategisch richtigen Weg. Und ich denke, dass Demos nicht das Ausmaß der Krise widerspiegeln. Fridays for Future hat einen guten Job gemacht und viele Menschen erreicht. Trotzdem sehe ich gerade den »Aufstand« als vielversprechendsten Weg, um wiederholt und deutlich Druck auf die Regierung zu machen.
Auch aus dem Hungerstreik gingen ja auch zwei neue Gruppen hervor, der »Aufstand« und der »Aufbruch«. Warum?
Bonasera: Ein Teil von uns hatte sich entschieden, den Hungerstreik zu beenden, weil die Regierung lange genug gezeigt hatte, dass ihr die Ängste unserer Generation egal sind. Bei mir war es andersherum und ich fühle mich darin bestärkt, denn hätten Henning Jeschke und ich nicht weitergemacht, hätte Scholz bestimmt nicht angerufen. Da hat sich herauskristallisiert, dass wir unterschiedliche Theorien von Veränderung haben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.