Werbung

Hallo, ist da jemand?

Georg Kleins neuer Roman ist ein anspruchsvolles und verlockendes Labyrinth

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wo »selig gleichschwingende Sehnsuchtsmenge« oder »geleeartig verdickte Luft« um sich greifen, wo man »morgendumm« in den Tag startet und »binnenfemininen Busenneid« hegt, ist man eindeutig im literarischen Universum Georg Kleins angekommen. Niemand anders unter den aktuellen Romanciers versteht sich auf ein vergleichbares rhetorisches Spiel, mit Wortneuschöpfungen sowie seltsamen Wendungen ganz eigene und entrückte Welten aufschimmern zu lassen.

Wie in seinen anderen Büchern geht es auch in »Bruder aller Bilder« zunächst scheinbar völlig realistisch zu. Wir befinden uns in einer süddeutschen, wohl autobiografisch an seinen Geburtsort Augsburg angelehnten Stadt, wo auch eine Zeitung mit dem passenden Namen »Allgemeine« erscheint. Zu Ruhm und Ehre ist hier bereits der Sportkolumnist Addi Schmuck gelangt, der sich für ein unbekanntes Rechercheprojekt die neue Hospitantin MoGo freistellen lässt.

Im Weiteren wird weder den Leser*innen noch der Protagonistin richtig klar, worauf die Ereignisse hinauslaufen. Mitunter besuchen die beiden Figuren ein in die Jahre gekommenes Stadion, um dort Näheres über einen Vogelbefall zu erfahren. Den eigentlichen Raum nimmt aber eine weitere Person ein, der »Auskenner«. In einer auf einem verwachsenen Grundstück stehenden Halle mit Münztelefon lebend, erweist er sich bald nicht nur als eigenartiger Tierliebhaber, sondern steht auch in einem rätselhaften Zusammenhang mit MoGos Vergangenheit.

Und schon drängt sich das Gespenstische und Rätselhafte in den Roman, wie es die treuen Leser*innen der Klein’schen Prosawerke »Libidissi« (1998), »Roman unserer Kindheit« (2010) und »Die Zukunft des Mars« (2013) nur allzu gut kennen. Mehr und mehr verlagert sich das Geschehen vom Dies- ins Jenseits, die verstorbene Mutter der Protagonistin nimmt bald schon allen voran den Part der dominanten Erzählerin ein.

Während andere Schriftsteller direkt den Wechsel in fantastische Gefilde oder das dystopische Sci-Fi-Genre wählen, zeichnet sich das Schreiben des 1958 geborenen Autors eher durch subtilere Operationen aus. Es bringt sukzessive Risse in den nur vermeintlich festen Grund der Realität ein und lässt uns immer wieder stolpern und in immer tiefere Furchen abgleiten - so lange, bis die Grenze zwischen den Sphären kaum noch vernehmbar ist. Wohl auch deswegen bedient sich Klein so häufig des Begriffs »inwendig«. Nachdem er uns in der äußeren Wirklichkeit abholt, reißt er uns in einen Seelenraum mit, der zahllose Irritationen, Wunder und Unheimlichkeiten bereithält.

Natürlich spart der Autor hierfür an keiner Stelle. Statt knapper Wortökonomie bildet Klein bewusst künstliche Satzketten, ganz so, als wäre jede Silbe, jeder Buchstabe, jede Zeile Teil eines undurchdringbaren Labyrinths. Mit viel Witz, Komik und Ironie erweckt er Orte zum Leben und lässt Flora und Fauna als rätselhafte Akteure in Erscheinung treten. Dadurch schafft er einen Raum voller verschiedener Stimmen und Nebenschauplätze. Stringenz und Handlung stellen in den ausladenden Fabuliermanövern ein rares Gut dar. Mal ergeht sich die Erzählung in der Beschreibung der Wirkung des neuen Großraumfußbodens, eines - Achtung wichtig! - »sogenannten falschen Sisal«, mal schildert sie ausgiebig Unfälle von letztlich kaum relevanten Figuren.

Viele Spuren werden somit gelegt, die meisten führen ins Nirgendwo. Genau das ist auch das Problem dieses Romans. Ihm mangelt es an einem Ziel. Sieht man von den bewährt ästhetischen Finessen des Preisträgers der Leipziger Buchmesse ab, enthält sein Text ziemlich viel ablenkenden Klimbim. Gemessen an seinem letzten Werk »Miakro« (2018) fällt sein neuer Entwurf daher signifikant schwächer aus. Hierin ließ er seine Figuren noch auf eine abenteuerliche Erkundungsreise in einen zwielichtigen Kosmos im Schatten einer großen Überwachungsmaschinerie gehen. Die Textstruktur war dicht, die Sprache gänzlich fremd, flirrend und umso bestechender.

Nichtsdestotrotz kann man aber auch »Bruder aller Bilder« guten Gewissens empfehlen. Allein schon weil er in einem mit klassischen Erzähler*innen gesättigten Markt eine Seltenheit ist. Und wäre Avantgarde bekömmlich, wäre sie auch keine Avantgarde.

Georg Klein: Bruder aller Bilder. Rowohlt, 272 S., geb., 22 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!