- Kultur
- QR-Codes und bildende Kunst
Ausdruck Nr. 1 (2021)
Das Kunstwerk des Jahres ist ein QR-Code
Was ist das Kunstwerk des Jahres? Es findet sich überall, ist gewissermaßen Kunst im öffentlichen Raum: der QR-Code. Darin steckt die halbe Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts; hier trifft die Aleatorik auf Theo van Doesburgs Lob des rechten Winkels und Piet Mondrians wohlgeordnete Kästchenkunst, zeitgemäß in Schwarz und Weiß. Aus der Ferne erinnert es an Jackson Pollocks abstrakten Expressionismus, ein unentwirrbares Gewusel von Linien als höchster Ausdruck der bürgerlichen Subjektivität. Vor allem ist es die Dekonstruktion von Kasimir Malewitschs »Das Schwarze Quadrat«, der Ikone des Suprematismus, und von ebenso rätselhafter metaphysischer Qualität. Gibt es noch einen Zugang zu höheren - oder nun auch niederen - Gefilden oder nicht? Für den ausgelieferten Einzelnen ist das nahezu unbeantwortbar.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Mit dem QR-Code lässt sich eine Sozialgeschichte der modernen Kunst erzählen - vom Gadget über den Ausweis von Zugehörigkeit zur besseren Gesellschaft zum Instrument sozialer Kontrolle. Für die Rezeptionsästhetik konstituiert sich das Kunstwerk im Blick des Betrachters. Was dem Menschen ein Rätsel ist, liegt dem Scanner qua göttlicher Wesensschau offen. Folgt man der These, dass noch die abstrakteste Kunst nur getreu die Verdinglichung der Gesellschaft widerspiegelt, so ist der QR-Code das Kunstwerk unserer Zeit. Der moderne Mensch trägt es mit sich herum, man zeigt es, man schaut darauf, man versteht nichts, man geht die vorgegebenen Wege, die anderen geht man nicht. Vielleicht hat die abstrakte Malerei uns einst warnen wollen: vor ihrer Verwirklichung.
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