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Klima der Angst?

Die Vorwürfe gegen die Führung eines kommunalen Berliner Kita-Betriebs wiegen schwer

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.
Krieg im Büro: Gehen Mobbingvorfälle von der Chefetage, spricht man vom »Bossing«.
Krieg im Büro: Gehen Mobbingvorfälle von der Chefetage, spricht man vom »Bossing«.

»Widerspruch wird nicht geduldet. Es läuft so, wie die es wollen«, sagt Hansjörg Maier über die Führungsetage von Kindergärten City - einer der fünf Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin. Kindergärten City betreibt in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte aktuell fast 60 Kitas für rund 7000 Kinder. Mehrere Jahre hatte Maier hier in der Geschäftsstelle gearbeitet, der obersten Verwaltungsebene des Kommunalbetriebs. Dann, sagt Maier, habe er sich »auf der Abschussliste« wiedergefunden. »Mir wurde gesagt, dass sie mit mir nicht weiter planen.« Der Grund? »Ich hatte mal wieder widersprochen.« Bald darauf war Schluss mit seiner Arbeit in der Geschäftsstelle.

Maier sagt: »Das sind schwierige Verhältnisse, wenn einem der Mund verboten wird. Da kann ich nicht mehr mitgehen.« Maier schildert detailliert, wo genau er »nicht mehr mitgehen« wollte. Und er bittet darum, dass diese Details ebenso wenig in der Zeitung auftauchen wie sein richtiger Name. Wie alle ehemaligen und aktuellen Mitarbeiter, mit denen »nd« gesprochen hat, möchte er anonym bleiben. Sie alle lagen oder liegen mit der Chefetage von Kindergärten City im Clinch, nachdem diese vor gut zwei Jahren angefangen hat, Teile der Geschäftsstelle umzustrukturieren. Sie alle erzählen ähnliche Geschichten. Immer wieder wird von einem »Klima der Angst« berichtet, von Vertrauensverlust, von »Demütigungen« durch die Führungsebene.

Gibt es in der über 40 Mitarbeiter zählenden Geschäftsstelle von Kindergärten City ein sogenanntes Bossing-Problem? Ein von der Leitung ausgehendes Mobbing also? In einem Anfang Dezember verfassten Schreiben mehrerer Mitarbeiter der Geschäftsstelle an den Personalrat des Eigenbetriebs ist die Rede von »einer einseitigen Machtausübung« und vom »zunehmenden gefühlten Machtmissbrauch« der Chefetage, ja, vom »exzessiven Missbrauch«. Der »nd« vorliegende Brief gipfelt in der Forderung an den Personalrat, dass der Führungsebene »das Vertrauen entzogen wird«, sollten »hier keine sofortigen Änderungen spürbar« werden. Denn: »Wir möchten, dass MitarbeiterInnen ohne Existenzängste und Demütigungen ihrer Arbeit nachgehen können, damit deren Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten bleibt.«

Schwerwiegende Vorwürfe, zumal für einen Betrieb des öffentlichen Dienstes. Die Führung von Kindergärten City hat die Anschuldigungen strikt zurückgewiesen. »Der Sachverhalt Existenzbedrohung liegt unter keinem Blickwinkel vor, da alle Beschäftigten bei Kindergärten City Beschäftigte des Landes Berlin sind und als Angestellte im Öffentlichen Dienst besonderen Schutz insbesondere vor Kündigung haben«, heißt es Anfang Januar auf eine nd-Anfrage zu den Vorwürfen. Auch entspreche die aus der Anfrage »ersichtliche Wahrnehmung von Beschäftigten (...) in keiner Weise der Haltung und dem Handeln der Geschäftsleitung von Kindergärten City«. Ferner sei man »sehr betroffen darüber, dass Beschäftigte eine andere Wahrnehmung zu den Parametern des notwendigen Entwicklungsprozesses haben«.

Der notwendige Entwicklungsprozess: Kindergärten City ist - wie die anderen Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin auch - 2006 aus den Kindertagesstätten der Bezirke hervorgegangen, die im Rahmen eine seinerzeitigen Kita-Reform nicht an freie Träger übertragen wurden. Berlin wollte einen Teil der Kita-Plätze weiterhin in kommunaler Hand behalten und wählte dafür das Modell der Eigenbetriebe, bei denen Vertreter der Bezirke über den jeweiligen Verwaltungsrat ein Wörtchen mitreden können. Kritiker sprachen damals von »Kita-Kombinaten« und sahen schon ein großes finanzielles Desaster auf die Stadt zurollen.

Tatsächlich lief nicht alles glatt. Als riesiges Problem galt vielerorts vor allem der Sanierungsstau, ähnlich wie bei den Berliner Schulen - und so auch bei Kindergärten City. Hansjörg Maier sagt zu der Zeit vor dem, was die Geschäftsleitung »nd« gegenüber einen »umfassenden Organisationsentwicklungsprozess« nennt: »Mir war ja klar, dass wir auch an einige Sachen ranmüssen. Natürlich gab es Prozesse, die besser hätten laufen müssen. Aber die Leute haben sich ja Gedanken gemacht. Im Baugeschehen etwa ist man viel von anderen Faktoren abhängig, auch von den Leistungen Dritter.«

Mit Blick auf die vom Gebäudemanagement betreuten Bau- und Sanierungsvorhaben von Kindergärten City erinnert sich auch Thomas Groß an Projekte, »bei denen es nicht rundlief«, bei denen Planer pleitegegangen seien. »Aber das ist im Baugewerbe normal«, sagt Groß, der wie Maier jahrelang bei Kindergärten City gearbeitet hat. Ihm zufolge habe die Führungsebene nicht akzeptieren wollen, dass es auf dem Bau »auch mal deutliche Verzüge« gibt: »Das ging jetzt alles nicht schnell genug. Und überhaupt war plötzlich alles schlecht. Bis hin zu langjährigen externen Dienstleistern.«

Groß sagt, dass die Chefetage beim Gebäudemanagement »mit dem Stahlbesen durchgegangen« sei: »Diese hat das dann auch quasi übernommen. Da gab es nun kein Miteinander mehr, nur noch Konfrontation, teils lief das wie bei Tribunalen. Die Abteilung Gebäudemanagement wurde, so war zumindest mein Eindruck, komplett gespalten. Dadurch wurde jede einzelne Person angreifbarer.«

Die Leitung von Kindergärten City bestätigt zwar die Probleme im Bau- und Sanierungsbereich. »Insbesondere im Bereich Gebäudemanagement waren und sind strukturelle Anpassungen erforderlich, um dem Gebot einer effektiven Aufgabenerfüllung und vergaberechtlichen Anforderungen sowie der Landeshaushaltsordnung Berlin auch organisatorisch gerecht zu werden«, heißt es in der schriftlichen Antwort an »nd«.

Den Vorwurf, man habe bei der Suche nach Lösungsansätzen die Mitarbeiter des Gebäudemanagements nicht ausreichend einbezogen, will man aber nicht stehen lassen: »Um alle langjährigen Beschäftigten des Bereichs mitzunehmen, wurden zusätzlich umfassende Unterstützungsangebote in Form von Teamsupervision und Einzelsupervision offeriert. Der Geschäftsleitung war und ist die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und Bedarfslagen besonders wichtig.«

Thomas Groß’ Wahrnehmung ist eine gänzlich andere. Er sagt: »Die Kommunikation im Betrieb wurde von einem offenen Dialog zu allen Angehörigen durch restriktive Anordnungen der Chefetage so beeinflusst, dass das damit einhergehend fortan zu einer wesentlichen Verschlechterung des Betriebsklimas geführt hat.«

Auffällig ist bei alldem die Zurückhaltung des Personalrats. Zumindest die Antwort auf die nd-Anfrage fällt denkbar knapp aus: »Dem Personalrat liegt ein Schreiben von Mitarbeiter*innen vor. Das Anliegen wird derzeit im Rahmen unseres gesetzlichen Kontextes (Personalvertretungsgesetz) bearbeitet. Zum jetzigen Zeitpunkt möchten wir zu diesem Sachverhalt keine Auskünfte geben.«

Ex-Mitarbeiter Hansjörg Maier sagt, es gebe eine »Angst beim Personalrat, bestimmte Dinge auf den Tisch zu bringen«. Die Beschäftigtenvertretung wisse sehr wohl um die Ängste der Mitarbeiter. »Aber der Personalrat tut nichts gegen die Zustände. Die haben keine Eier in der Hose.« Ähnlich drücken es die Verfasser des Brandbriefs aus. In einem kurz vor Weihnachten verschickten nächsten Brief an den Personalrat schreiben sie erbost: »Wir erleben erneut, dass sich der Personalrat nicht positioniert; nicht benennen kann, was er unternommen hat; ja nicht einmal eingesteht, dass er nichts unternommen hat.« Auch dieser Brief liegt »nd« vor.

Hansjörg Maier hat Kindergärten City inzwischen ein Stück weit hinter sich gelassen. Thomas Groß dagegen sagt, es nage bis heute an ihm, wie man vor gut zwei Jahren mit ihm umgesprungen sei. »Ich war wie gelähmt. Mir wurde gesagt: Entweder Sie gehen in Krankheit oder es werden arbeitsrechtliche Schritte gegen Sie verhängt.« Nein, das könne er natürlich nicht belegen. »Aber es war so. Und das hat mir den Genickschuss gegeben.« Groß sagt, er habe erst einmal Abstand gebraucht. Sehr viel Abstand. »Ich komme gerade erst wieder zu mir und bin überhaupt so weit, dass ich darüber reden kann.« Und: Er gehe mit seiner Geschichte auch für diejenigen an die Öffentlichkeit, »die dort arbeiten und Existenzängste haben«.

Klären könnte den Konflikt schlussendlich der Verwaltungsrat, das Aufsichtsgremium, in dem Vertreter der Bezirksämter Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte das Sagen haben. Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats, will sich gegenüber »nd« zwar nicht zu den Vorwürfen äußern. Über die Pressestelle des Bezirksamts lässt von Dassel mitteilen, dass der Brandbrief der Mitarbeiter seinem Haus nicht vorliege und daher nicht kommentiert werden könne. Aber: »Unabhängig davon wird sich der Verwaltungsrat der Kindergärten City Mitte März neu konstituieren, die geschilderten Vorgänge gewissenhaft prüfen und sich zu gegebener Zeit dazu äußern.«

Auch wenn bis dahin noch viel Wasser die Spree hinunterfließt - immerhin passiere etwas, sagt Hansjörg Maier: »Der Verwaltungsrat muss endlich tätig werden.«

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