- Kultur
- 60 Jahre »Frühstück bei Tiffany«
Aufstieg und Fall des Tiffeminismus
Kein »Material Girl«: Vor 60 Jahren kam »Frühstück bei Tiffany« in die bundesdeutschen Kinos
Es gibt genügend Gründe, das Kino zu hassen. Immer wieder kitzelt es unsere Erwartungen - und enttäuscht uns dann. Erinnert sich noch jemand an den ersten missglückten Film der Coen-Brüder (»The Big Lebowski«), an Peter Handkes Laberorgie, die Wim Wenders in Superzeitlupe einfing (»Der Himmel über Berlin«), oder an die verhunzten Fortsetzungen von »Matrix«. Am ärgerlichsten aber sind jene Filme, die eigentlich Meisterwerke hätten werden müssen. Weil alle Voraussetzungen stimmten, wie bei »Frühstück bei Tiffany«.
Als Regisseur hatte man Blake Edwards gewonnen. Da konnte eigentlich nichts schiefgehen. Edwards verfügte über ein sensationelles Gespür für Timing. Er wusste, wann man das Tempo herausnehmen muss, um den Zuschauer nervös zu machen. Seine Jahrhundertkomödie »Der Partyschreck« baut ihre Spannung dadurch auf, dass das Chaos, die Verwüstung, die von Anfang an in der Luft liegt, immer wieder hinausgeschoben wird - bis am Schluss ein Elefant im Swimmingpool landet. Auch »Frühstück bei Tiffany« lebt von solchen Verzögerungen, von jenen Szenen, die »nur« Atmosphäre vermitteln.
Leider konnte Edwards nicht lesen, zumindest nicht richtig. Sonst hätte er nicht aus Truman Capotes lebensklugem Roman einen Film mit einem dummen Ende gemacht. Im Buch laufen ein schläfriger, passiver Mann und eine aufgeweckte, aktive Frau nebeneinanderher. Dann verlieren sie sich aus den Augen. Im Film läuft Audrey Hepburn George Peppard in die Arme. Danach ist alles verloren.
Man müsste jetzt schwärmen von Audrey Hepburn. Darüber, dass sie niemals niedlich und unschuldig war. Und naiv schon gar nicht (auch wenn männliche Rezensenten dies in romantischer Verklärung gern voraussetzten). Man müsste erzählen von ihren Filmen. Zum Beispiel von »Ein Herz und eine Krone«, für den sie einen Oscar gewann. Davon, wie sie mit einem Augenaufschlag mehr erzählte als Doris Day mit ihren Wasserfall-Monologen. Man müsste schwelgen …, aber dann will man es eigentlich doch nicht, weil einem ständig die Schlussszene aus »Frühstück bei Tiffany« im Kopf herumschwirrt und man mit einem Mal gar keine Lust mehr hat, »Moon River« zu summen.
Reden wir stattdessen von George Peppard. Das ist der Mann, der später im »A-Team« mitmengte und dabei neben Mr. T verdammt alt aussah - und das war keine Frage von Lebensjahren. Anfang der 60er ging Peppard als James-Stewart-Verschnitt durch. Was in zweifacher Hinsicht fatal für die Karriere war: Zum einen, weil Stewarts Sprödheit bei Peppard zur Drögheit wurde. Zum anderen, weil sich Anfang der 60er kein Mensch mehr für James Stewart interessierte. Audrey Hepburn übrigens auch nicht. Die nämlich war ihren Geschlechtsgenossinnen um Jahrzehnte voraus, indem sie zwischen Männern (als Liebhabern) und Männern (als Servicestationen) zu unterscheiden wusste. »Tiffany-Feminismus« oder »Tiffeminismus« könnte man dies nennen. Oder einfach: Lebenskunst in patriarchalischen, materialistischen Zeiten. Denn während die Servicestation Peppard sich den Kopf zerbricht, wie eine spießbürgerliche Zukunft aussehen könnte, beweist die Hepburn Köpfchen auf der alltäglichen Party, die sich Leben nennt.
Es macht Spaß, ihr dabei zuzuschauen. Beim Beobachten ihrer Kapriolen versteht man auf einmal Rainald Goetz’ Diktum: »Mitten in der harten Jetztzeit kann man in aller Ruhe plötzlich entdecken, was man für eine wahnsinnig gute Laune davon bekommt, wenn man gute Laune hat.«
Mit einem Mal kommt einem der Gedanke, dass »Frühstück bei Tiffany« der Leitfilm einer ganzen Generation von Frauen hätte werden können. Ein Film, der Frauen Verhaltensmuster an die Hand gibt, wie sie sich in einer von Männern geprägten Welt behaupten können, ohne deren Spielregeln zu übernehmen. Denn bei aller Juwelenschwärmerei ist Audrey Hepburn eben kein typisches materialistisches Weibchen, kein »Material Girl«. Dem kapitalistischen Deal - Mann gibt Frau Geld, Frau gibt Mann Körper - verweigert sie sich. Zwar lässt sie sich immer wieder von Männern 50 Dollar (nach heutiger Kaufkraft gut 400 Euro) »für die Toilette« zustecken, doch die Kleider bleiben an. Am Ende der Party geht Audrey Hepburn alleine ins Bett. All die Harvey-Weinstein-Typen - selten wurden Männer in einem Film jener Zeit so armselig und lächerlich dargestellt - gehen bei ihr leer aus.
Nicht aber der Biedermann. Dem Regisseur Blake Edwards fehlte die Fantasie, sich vorzustellen, dass eine Frau einen Mann auch dann verlassen kann, wenn er dies nicht (wie in »Casablanca«) ausdrücklich wünscht. Das Happy-End in »Frühstück bei Tiffany« ist blanker Hohn: Audrey Hepburn in den Armen von George Peppard - es gibt genügend Gründe, das Kino zu hassen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.