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- »Eine Nacht in Helsinki« von Mika Kaurismäki
Männer, die mit Männern reden
»Eine Nacht in Helsinki«: Mika Kaurismäki hat einen traurig reduzierten Film über den Lockdown gedreht
Treffen sich ein Krankenpfleger, ein Sozialarbeiter und ein Barkeeper in einer Kneipe … Nein, man muss anders beginnen. Helsinki - was Finnisch ist und Sonnenuntergang bedeutet, wie Carl, der Greenkeeper aus »Caddyshack«, versichert (und was wir ihm natürlich glauben), wobei das eher seine deutsche Stimme war, wenn man es genau nimmt, denn im Original sagt Bill Murray vermutlich etwas ganz anderes, und die Synchronstimme gehört Arne Elsholtz, den wir nicht mehr fragen können, weil er diese Welt hinter sich gelassen hat, aber nicht wegen Corona, das kannte damals noch keiner, nur jetzt kennt es jeder, besonders die Barbesitzer, womit wir beim Thema … Also dieses Helsinki jedenfalls scheint wie gemacht für eine Handlung bei Nacht. Als staatlich geprüfter Mitteleuropäer mit schier endlos weitem Blick innerhalb des eigenen kleinen Tellerrands fragt man sich gleich: Warum eigentlich Nacht, ist es denn jemals richtig Tag da oben? Himmel, es wird nicht mehr besser, ich habe die Exposition vermasselt, auch beim dritten Anlauf. Und könnte immer so weiterschreiben, die ganze Zeit, ohne Anfang, Mitte, Ende, wie Aristoteles es fordert, weil eine Handlung aus diesen dreien bestehen muss. Könnte meine Besprechung schreiben, wie Mika Kaurismäki seine »Nacht in Helsinki« drehte. Ansetzen, absetzen, ansetzen, absetzen. Sei es die Frage nach einem Mord, sei eine Brandstiftung oder die Szene einer Ehe - jedes Mal, wenn das Geschehen dramatisch zu werden droht, setzt die Handlung dieses Films neu an.
Anstelle der drei dramaturgischen Elemente nimmt Kaurismäki drei Männer, und das reicht eben nicht, wenn man mehr auf die Leinwand bringen will als abgefilmte Konversation. Die Exposition fühlt sich an, als sei man schon drin; in der Mitte gibt es weder Höhe- noch Wendepunkt, sie zerfasert; und das Ende ist einfach das Ende, will sagen: ein überaus starker Schluss mit einer schwachen Hinleitung. Dass nun das Ganze (das kein Ganzes ist) endlich doch fasziniert, berührt und bewegt, dass man die Bar als ein anderer verlässt, wie die drei Männer im Film, ist leichter zu erklären als nachzuvollziehen.
Die Nacht von Helsinki fällt auf den 1. Mai 2020. Wir befinden uns im ersten Lockdown der Pandemie. In Finnland, dem vernünftigen Nachbarn Schwedens (dessen Anteil von Corona-Toten an der Gesamtbevölkerung, bei vergleichbarer demografischer Struktur, nur ein Fünftel so hoch ist wie der in Schweden). Helsinkis leere Straßen und geschlossene Läden, die der Film zu Beginn zeigt, haben vielen Menschen das Leben gerettet. Jene Bar, die wiederholte Einblendung der Leuchtschrift verrät es, heißt »Corona«, nach dem Bier, das es dort gibt (das Etablissement existiert übrigens wirklich, es trägt ebendiesen Namen und gehört dem Regisseur).
Die Wahl des Tages ist nicht ohne Ironie. Arbeit ist an diesem Feiertag immer abwesend. Inmitten des Lockdowns aber, wo vieles ruht, fällt dann eher die Abwesenheit von Freizeit auf. Der Film macht hier keine Worte, er verlässt sich auf seine naturale Wirkung: Eine unfassbar gute, gestische Musik, die die Bilder von geleerten Straßen begleitet, vermittelt eindringlich, nicht aufdringlich, jene Stimmung dieser Tage, als man noch glaubte, alles bald durchgestanden zu haben, das Beieinander von Melancholie und Harmonie, die späterhin den hysterischen Rufen nach Freiheit und einer nicht minder enervierenden Beschwörung gesellschaftlicher Einheit weichen würden.
Heikki betritt seine Bar, die geschlossen bleiben muss, vermeintlich, um etwas aufzuräumen. Später genießt er bei Rotwein und Musik ein Beefsteak. Da klopft sein Freund Risto an die Tür, ein Krankenpfleger, der soeben eine 14-jährige Patientin verloren hat und noch nicht nach Hause will. Mehr oder weniger zufällig tritt später auch Jussi ein. Er berichtet, dass seine Tochter vor der Entbindung stehe und er einen Anschluss für sein Handy brauche, um für sie erreichbar zu sein. Während man im Radio hört, dass ein Mörder in der Stadt umgehe, verwickeln die drei Männer sich in Gespräche, manchmal sprunghaft, manchmal stringent, mal beiläufig, mal tiefsinnig. Über Notwehr und Zivilcourage, Freiheit von und Freiheit zu, Sozialstaat, Schuldfähigkeit, Ethos des Helden, das glückliche Leben. Keineswegs herbeigeschrieben ergibt sich alles organisch aus der persönlichen Situation der Redenden. Jeder der drei trägt etwas mit sich, das er rauslassen muss, ehe die Nacht durch das Erscheinen einer vierten Person ein Ende bekommt.
Sieht man vom Einsatz der prätentiös-unprätentiösen Handkamera ab - tatsächlich taugt eine stabile Einstellung in einem Kammerspiel viel mehr -, passt an diesem Film ästhetisch alles. Musik, Schauspiel, Beleuchtung, Szenenbild schaffen jene Einheit, die das dramatische Geschehen nicht herstellen kann. Zugleich sind es die starken Dialoge, die dafür sorgen, dass man dranbleiben möchte.
Der Lockdown ist ein ideales Setting, spielt aber weniger eine Rolle, als man zunächst denkt. Die drei Männer stehen als Repräsentanten dreier Gruppen, die während der Pandemie gesteigerte Aufmerksamkeit bekamen. Ein Krankenpfleger, ein Sozialarbeiter, ein Barkeeper. Drei Dienstleister. Einer für den Körper, einer für das Leben, einer für die Seele. Von der Arbeiterklasse schweigt dieses Drama, was dem Corona-Konsens entspricht, nach dem Mediziner die Triage, Sozialarbeiter Homeschooling wie häusliche Gewalt und Gastronomen die Schließung ihrer Häuser beklagen durften, während sich für das veritable Proletariat in der Arbeitswelt kaum etwas änderte, es also weder mehr Freizeit noch Aufmerksamkeit erhielt und dennoch beständig den Verlust des Arbeitsplatzes zu befürchten hatte.
Und auch in einer anderen Hinsicht ist dieser Film traurig reduziert. So sehr dieses unterschwellig komische, zugleich nachdenkliche Gespräch dieser drei Menschen bezaubert, so sehr man binnen weniger Minuten meint, ein Teil davon zu sein, es ist eine geschlossene Gesellschaft, eine Gesellschaft von Männern, die nur wegen der strengen Einheit von Ort, Handlung und Zeit etwas weniger befremdlich wirkt als etwa Tolkiens Welt ohne Frauen oder ein Wimmelbuch von Ali Mitgutsch. Wer will, mag ins Feld führen, dass Kaurismäki hier nur sein Drei-Männer-Motiv aufnimmt, das er in »Kolme viisasta miestä« (2008) begonnen und in »Veljekset« (2012) fortgesetzt hat (mit denselben Schauspielern). Es ist aber nicht bloß die Auslese, die hier verstört, es ist der Charakter des Gesprächs. Das wirkt wie eine gedehnte Therapiestunde, bei der es am Ende gar noch um die gestorbene Liebe zu einer Frau geht.
Was in einem durchaus wunderschönen Monolog endet, der die verloren geglaubte Liebe zurückzuholen scheint, haben zuvor die Männer unter sich ausgeknobelt. In Kaurismäkis Welt können offenbar nur Männer mit Männern reden, und natürlich ist der Mann das fragile Geschöpf, ausgeliefert einer (irgendwie auch ganz tief drin verletzlichen) Dame, die gleich einem Bulldozer über sein zartes Gemüt fährt. Was wie gesagt nicht heißt, dass die Worte nichts wiegen oder dass keine Schönheit in ihnen liege.
Der Film gibt sich wenig Mühe zu verbergen, dass er eine Bewältigung der pandemie- und lockdownbedingten Depression sein soll. Heikki, Risto und Jussi stehen zu Beginn der Nacht jeweils an einem Abgrund. Am Ende der Nacht trifft jeder von ihnen seine Entscheidung. Das Ende ist der Anfang, die Botschaft lautet: Es geht weiter.
»Eine Nacht in Helsinki«: Finnland 2020. Regie: Mika Kaurismäki. Buch: Sami Keski-Vähälä, Mika Kaurismäki. Mit: Timo Torikka, Kari Heiskanen, Pertti Sveholm, Anu Sinusalo. 90 Minuten. Start: 20. Januar.
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