Schuldenlast nimmt Entwicklungsländern Handlungsspielraum

83 Staaten des Globalen Südens mussten bei Gesundheit und Bildung sparen, um trotz Pandemie Kredite zu bedienen

Angola ist hoch verschuldet. Der Schuldendienst geht zu Lasten der Ausgaben für Bildung und damit zu Lasten von Schülern.
Angola ist hoch verschuldet. Der Schuldendienst geht zu Lasten der Ausgaben für Bildung und damit zu Lasten von Schülern.

Eine Welle von Staatspleiten hat die Corona-Pandemie im Globalen Süden noch nicht ausgelöst. Doch 135 Länder sind laut des Schuldenreports 2022 inzwischen kritisch verschuldet. Und das Schuldenmoratorium lief Ende 2021 aus.

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An Sri Lanka ist der Kelch der Staatspleite noch vorübergegangen – im Gegensatz zu Sambia, Belize und Surinam. Einbrechende Staatseinnahmen infolge der Coronakrise haben bei den drei Genannten die Bedienung der schon zuvor großen Schuldenlast nicht mehr zugelassen. Laut dem am Mittwoch virtuell vorgestellten Schuldenreport 2022, den das katholische Hilfswerk Misereor zusammen mit dem Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de alljährlich herausgibt, galt auch der »südasiatische Inselstaat Sri Lanka bei Finanzfachleuten als sicherer Kandidat für die nächste Staatspleite, als im Juli 2021 eine Staatsanleihe in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zur Zahlung fällig wurde.« Denn durch die Pandemie »kam der Tourismus, ein zentraler Wirtschaftszweig, 2020 praktisch vollständig zum Erliegen und hat sich bis heute nicht erholt.« Klaus Schilder nannte Sri Lanka und Angola bei der Vorstellung als Beispiele für Länder, deren Schuldenlage besonders kritisch sei.

»Die Schuldenindikatoren des Landes zählen zu den höchsten weltweit, mit einer Verschuldung im Verhältnis zu den öffentlichen Staatseinnahmen von mehr als 1000 Prozent. Die Schuldendienstbelastung ist hoch – und das nicht nur kurzfristig. Zwischen 2020 und 2028 sind Jahr für Jahr im Schnitt 4,4 Milliarden US-Dollar an Schuldendienstzahlungen an das Ausland fällig – bei jährlichen Staatseinnahmen in Höhe von durchschnittlich sieben Milliarden US-Dollar«, heißt es im Schuldenreport. Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor, sagte bei der Vorstellung: »Vier von fünf Indikatoren der Überschuldung sind bei Sri Lanka erfüllt.« Bei den Indikatoren handelt es sich um die öffentlichen Schulden, die Auslandsschulden sowie den Schuldendienst in Relation zur Wirtschaftsleistung, zu den Staatseinnahmen und den Exporteinnahmen. Leicht kritisch ist, wenn der Schuldendienst zwischen 15 und 22,5 Prozent der Exporteinnahmen ausmacht, sehr kritisch ist es ab über 30 Prozent.

In entwicklungspolitischen Kreisen hat sich längst der Begriff Polypandemie breitgemacht, meinte Schilde. Im Globalen Süden seien als Folge der Coronakrise unter anderem große Rückschritte bei der Gesundheitsversorgung und Armutsbekämpfung zu verzeichnen. Die von der Uno für 2030 anvisierten nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) seien vielfach außer Reichweite, gerade bei Hunger und Armut.

»Unsere Untersuchungen zeigen, dass sich die gefährliche Dynamik aus steigender Verschuldung und schlechter werdender Schuldentragfähigkeit drastisch verschärft hat«, erklärte Kristina Rehbein, Politische Koordinatorin vom Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de. 39 Staaten seien besonders akut von Überschuldung bedroht oder bereits betroffen. »Das sind dreimal so viele Länder wie noch vor der Corona-Pandemie. Wir sprechen nicht nur von besonders einkommensschwachen Staaten, sondern von Ländern aller Einkommenskategorien. Dazu zählen sowohl kleine Inselstaaten mit höherem Einkommen wie Dominica als auch fragile Entwicklungsökonomien wie Sri Lanka oder Tunesien« so Rehbein weiter.

Sri Lanka ist ein Mitteleinkommensland – und damit nicht qualifiziert für das Schuldenmoratorium, dass die G20-Staaten im April 2020 auf den Weg brachten, um wenigstens den ärmsten 73 Staaten gemessen am Pro-Kopf-Einkommen eine Aussetzung ihrer Zins und Tilgungszahlungen zu gewähren. Dieses DSSI genannte Moratorium lief Ende 2021 aus. Seit 2022 müssen alle Länder wieder versuchen, ihren regulären Schuldendienstverpflichtungen nachzukommen, ab 2023 müssen die im Moratorium gestundeten Zahlungen verzinst nachgezahlt werden. Somit sind ab 2023 weitere Staatspleiten programmiert.

Bereits 2021 wurden, um den Schuldendienst weiter bedienen zu können, »die öffentlichen Primärausgaben in 83 Ländern des Globalen Südens gekürzt. Bis 2023 steigt diese Zahl voraussichtlich auf 115 Länder an, was 85 Prozent aller Länder des Globalen Südens entspricht, für die Daten vorhanden sind«, heißt es im Schuldenreport. Dabei handele es sich nicht um kurzfristige Ausgabenkürzungen, durch die »lediglich« die Mehrausgaben von 2020 wieder zurückgenommen werden: »Vielmehr ist nach den vorhandenen Daten davon auszugehen, dass die Kürzungen bis 2026 anhalten werden und die öffentlichen Primärausgaben 2026 in 80 Ländern unter dem Ausgabenniveau von 2019, also von vor der Pandemie, liegen werden. «Im Klartext: Die Kosten der Pandemie tragen die Menschen im Globalen Süden, denen weitere Kürzungen in der öffentlichen Daseinsfürsorge bevorstehen. Weiter fein raus sind dagegen die privaten Gläubiger aus dem Norden, die sich standhaft allen Umschuldungsversuchen bisher verweigert haben. Der Druck seitens der G20-Staaten auf sie beschränkte sich bisher auf unverbindliche Appelle. Die Folge: Durch diese unzureichenden Krisenreaktionen nahm die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben müssen, allein 2020 um mehr als 100 Millionen Menschen zu.

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