Gesinnungscheck hat ausgedient

Jana Frielinghaus warnt vor neuen »Regelüberprüfungen« von im öffentlichen Dienst Arbeitenden

März 1976: Demonstration gegen die Folgen des sogenannten Radikalenerlasses
März 1976: Demonstration gegen die Folgen des sogenannten Radikalenerlasses

Wenn die Ampelkoalition plant, »Extremisten« aus Sicherheitsbehörden schneller als bisher zu entfernen, will man ihr zugestehen, dass sie das Richtige meint: Neonazis von dort zu verbannen, wo sie Zugriff auf Waffen, Munition, Fahrzeuge und staatliche Infrastruktur haben, was ihnen das Planen von Putschen und politischen Morden ermöglicht. Und sie sollen nicht mehr unbehelligt Demokrat*innen und Linke mit Drohmails terrorisieren können.

So weit, so nachvollziehbar. Doch der Extremismusvorwurf ist, gerade in der Zeit der sogenannten Regelanfragen beim Inlandsgeheimdienst zu politischen Aktivitäten angehender Lehrkräfte, Postbeamter und Eisenbahner, nachweislich fast ausschließlich gegen Linke in Anschlag gebracht worden. Für den Staatsrechtler Martin Kutscha ist »Extremismus« ein politischer Kampfbegriff, gerade weil er juristisch unscharf und daher »beliebig einsetzbar« ist. Solidarität und der Einsatz für die sozialen Rechte Unterdrückter wurden damit immer wieder als gleichermaßen menschenfeindliche Ideologie wie die von Neonazis und Rassisten diffamiert.

Breiter Widerstand gegen westdeutsche Praxis. Betroffene und Unterstützer gingen immer wieder gegen Berufsverbote auf die Straße. 1978/79 wurden diese Grundrechtsverletzungen auf einem Tribunal angeprangert

Dass dergleichen heute nicht mehr so oft wie in den 1970ern und 1980ern geschieht, ist ein Fortschritt. Doch dieses Denken prägte nicht zuletzt unter Horst Seehofer, bis zum Herbst Bundesinnenminister, die Bundespolitik, und es ist den verschärften Polizei- und Verfassungsschutzgesetzen vieler Bundesländer eingeschrieben, die den Behörden noch größere Macht geben als bisher. Richter, Soldaten oder Polizisten, die als Antisemiten, Rassisten und Umsturzplaner aktenkundig geworden sind, lassen sich, sofern der Wille der Zuständigen besteht, mit vertretbarem Aufwand aus verantwortlichen Positionen entfernen. Das geben Grundgesetz und Strafrecht locker her.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.