DGB-Landesvize: »Es fehlt der Blick für das große Ganze«

Sachsens DGB-Landesvize Daniela Kolbe verlangt einen Neustart des Strukturwandels und fürchtet ansonsten wachsende Unzufriedenheit in den Revieren

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Strukturwandel steckt in einer Sackgasse, sagt der DGB Sachsen. Warum?

Es werden bisher viel zu wenige Impulse für die Zukunft der Region gesetzt. Wenn die Kohle geht, und mit ihr viele gut bezahlte Jobs, dann müssen neue, gleichwertige Arbeitsplätze entstehen, damit den Menschen und den Regionen Sicherheit gegeben wird. Das sehen wir bisher zu wenig. Zugleich ist das Geld, mit dem der Bund den Wandel ermöglichen will, für die erste Förderperiode bis 2026 bereits vollständig verplant. Nun wächst der Druck, weil die neue Bundesregierung einen früheren Ausstieg bereits für 2030 anpeilt. Deshalb müssen wir jetzt darüber reden, ob der Prozess nicht neu gestartet werden muss, auch unter stärkerer Beteiligung der Sozialpartner.

Spaß und Verantwortung

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Für den Strukturwandel stehen 40 Milliarden Euro zur Verfügung. Ist Ihnen das zu wenig?

Formal ist von 40 Milliarden die Rede. Aber darauf werden zum Beispiel Mittel aus dem Just Transition Fund der EU angerechnet, für Sachsen allein 548 Millionen Euro. Auch Bauvorhaben wie die Autobahn 72, die schon lange im Bundesverkehrswegeplan stehen, soll mit 183 Millionen aus dem Topf für den Kohleausstieg finanziert werden. Das ist alles Geld, was für den eigentlichen Strukturwandel fehlt. Da muss korrigiert werden.

Zuletzt gab es viel Kritik an Vorhaben in Kommunen und die Frage, ob die Sanierung von Kitas oder der Bau von Radwegen wirklich dem Strukturwandel dient. Sind die Kommunen der Buhmann?

Ich kann verstehen, dass man in Rathäusern in die Schubladen schaut und lang geplante Projekte herauszieht, wenn plötzlich viel Geld vom Bund in Aussicht steht und schnelle Anträge gefragt sind. Als Mutter zweier Kinder habe ich auch nichts gegen sanierte Kitas. Aber man muss bei etlichen Projekten sicherlich fragen, ob sie wirklich der Zukunft der Region dienen. Da fehlt manchmal der Blick für das große Ganze. Unsere Forderungen richten sich daher an die Landesregierungen, die auf die großen Linien schauen müssen. Junge Familien nehmen Kitas nur in Anspruch, wenn sie in den Revieren gute, nach Tarif bezahlte Arbeitsplätze finden.

Derzeit fließt viel Geld in Orte fernab von Tagebauen und Kraftwerken, weil sich die Förderung an Landkreisgrenzen orientiert und nicht auf unmittelbar betroffene Gebiete begrenzt ist. Kann das so bleiben?

Geförderte Projekte müssen zumindest einen Effekt für die unmittelbaren Kohleregionen haben. Ich wohne in Leipzig. Dort wird aus Geldern für den Strukturwandel ein KI-Rechenzentrum gefördert. Ich finde das richtig; künstliche Intelligenz ist ein Zukunftsthema. Aber solche Vorhaben müssen unbedingt auch in die Reviere ausstrahlen.

Welche Folgen hätte es, wenn der Strukturwandel so weiterliefe wie bisher?

Ich sehe eine große Chance darin, dass ein gesellschaftlicher Konsens hergestellt wurde, einerseits aus der Kohle auszusteigen und zugleich den Regionen beim Strukturwandel zu helfen. Wir könnten zeigen, dass sich Veränderung gestalten lässt. Wenn wir jetzt aber nicht korrigieren, drohen wir die Chance zu verspielen. Das würde viel Vertrauen bei Menschen in den Revieren kosten und zu großer Sorge und Unzufriedenheit führen.

Mancher fürchtet schon, statt eines Strukturwandels könnte sich ein Strukturbruch wie 1990 wiederholen.

Ich würde sagen, die Ostdeutschen haben Erfahrung mit Transformation. Das könnte in der jetzigen Situation ein großes Pfund sein. Bisher war ihre Erfahrung aber auch: Der Wandel dauert 30 Jahre, und vorher geht es durch ein Tal der Tränen. Ich kann gut nachvollziehen, dass Menschen so etwas nicht noch einmal erleben wollen. Genau deswegen ist es so wichtig, jetzt umzusteuern. Das gilt um so mehr, falls der Kohleausstieg jetzt sogar schon binnen acht Jahren kommt.

Wie und durch wen müsste der Neustart erfolgen, zu dem der DGB auffordert?

Damit der Strukturwandel auch bei einem früheren Kohleausstieg gelingt, ist eine bundesweite Kraftanstrengung nötig. Das gilt für alle Reviere. Für Sachsen wollen wir, dass noch einmal über die langen Linien geredet wird. Wir Gewerkschaften möchten da gern stärker als bisher beteiligt werden. Von Wirtschaftsminister Martin Dulig vernehme ich zustimmende Signale. Und ich denke, auch beim Bund ist klar, dass man nicht einen Teil der Vereinbarung - sprich: das Ausstiegsdatum - ändern kann und ansonsten alles gleich lässt. Auf geänderte Bedingungen muss man eine vernünftige Antwort finden.

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