Parteinahme für Unterdrückte

Weil Amnesty Israel »Apartheid« gegenüber den Palästinensern vorwirft, wird ihr Bericht als antisemitisch verurteilt

Wenn Amnesty International einen Bericht veröffentlicht, fühlt sich immer jemand auf der Welt zu Unrecht angeprangert. Auch Linke mögen die Menschenrechtsorganisation nur von Fall zu Fall. Denn sie legt stur überall die gleichen Maßstäbe an, wenn es um Verletzungen von Meinungs- oder Pressefreiheit, Polizeigewalt, Folter oder Unterdrückung von Volksgruppen geht. Da stößt es manchem übel auf, wenn AI zum Beispiel die kubanische, die venezolanische oder die chinesische Regierung kritisiert.

Von der deutschen Politik und den meisten Medien hierzulande kommt in solchen Fällen stets Zustimmung. Ganz anders, wenn es wie im jüngsten Bericht um die Lage der Palästinenser geht. Die darin aufgelisteten Menschenrechtsverletzungen des israelischen Staates beziehungsweise israelischer Sicherheitskräfte und Justiz gegenüber diesen Menschen kommen in den deutschen Reaktionen nicht oder nur am Rande vor: die radikale Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Palästinenser; fragwürdige Gerichtsverfahren, etwa gegen Minderjährige; Vergeltungsaktionen nach Raketenabschüssen durch die islamistische Hamas inklusive extralegaler Tötungen; das stundenlange Anstehen bei Kontrollen auf dem Weg zur und von der Arbeit; die Ungleichbehandlung durch das 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz, nach dem nur noch Hebräisch als Amtssprache und der illegale Bau jüdischer Siedlungen in den Palästinensergebieten als Staatsziele gelten. Auf Territorium also, das den Palästinensern einst durch Verträge zugesichert worden ist und das stetig verkleinert wird.

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Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Das Einzige, was hierzulande die Politik - am Mittwoch verurteilte auch das Auswärtige Amt »unfreiwilligen Antisemitismus« im AI-Bericht -, Medien und die dem Staat Israel nahestehenden Organisationen interessiert, ist ein Wort. Es steht im Titel des neuen Reports, und es ist von den bis 1994 in Südafrika herrschenden Europäischstämmigen für ihr System der Rassentrennung geprägt worden: Apartheid. Es beinhaltete die brutale Unterdrückung und Segregation insbesondere der Schwarzen Bevölkerungsmehrheit in zum Schein autonomen »Homelands«.

Die Verwendung des Begriffs ist vielleicht kontraproduktiv, weil dadurch die Befunde des Berichts in den Hintergrund geraten. Doch deutliche, eben nicht weichgespülte Formulierungen sind generell das Markenzeichen von AI. Die Organisation rief den Internationalen Strafgerichtshof auf, den Tatbestand der Apartheid bei Ermittlungen zu berücksichtigen, und verlangte vom UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo und Sanktionen gegen Israel. Wegen alledem bezeichnete der Zentralrat der Juden in Deutschland den Report als »antisemitischen Bericht«. Dabei stellt AI eben nicht, wie von jüdischen Verbänden in der BRD behauptet, das Existenzrecht Israels in Frage. Vielmehr sieht die Organisation die Existenz dieses Staates durch dessen eigene Politik bedroht - so sehen das viele liberale und linke Israelis. Sie weisen immer wieder darauf hin, dass durch die Politik des Siedlungsbaus und der Repression gegenüber den Palästinensern ein friedliches Zusammenleben aller in Israel ohne tägliche Risiken von Terror und Gewalt auch in Zukunft unmöglich sein wird. Auch sie werden deshalb - oft auch von Deutschen - immer wieder zu Antisemiten erklärt.

Ein Antisemit wäre der Kritik am AI-Bericht zufolge wohl auch der erste israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion. Er warnte nach dem Sechstagekrieg 1967, in dem Israel die syrischen Golanhöhen, die ägyptische Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem besetzte, im israelischen Rundfunk, man müsse »so schnell wie möglich« die besetzten Gebiete »und ihre arabische Bevölkerung loswerden«. Anderenfalls werde Israel »bald ein Apartheidstaat werden«. Auch der spätere Friedensnobelpreisträger Yitzhak Rabin warnte 1976 unter Verwendung des Begriffs vor einer Entwicklung, die heute Status quo ist.

Die deutsche Politik wäre gut beraten, sich auf die Inhalte des Berichts zu konzentrieren. Gerade jetzt, da die Palästinenser infolge der Aussöhnungsabkommen Israels mit mehreren arabischen Staaten von reaktionärer Seite kaum noch Unterstützung bekommen, bestünde die Chance, einerseits progressive Kräfte auf ihrer Seite zu stärken und andererseits die israelische Politik entschiedener als bisher zu kritisieren.

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